Was setzt das Rechnungsmerkmal "vollständige Anschrift" bei der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug voraus?
BFH 13.6.2018, XI R 20/14Die Klägerin war eine im Dezember 2007 gegründete GmbH. Sie befand sich ab 2015 in Liquidation und wurde im Februar 2017 im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht. Im Streitjahr 2008 hatte die Klägerin mit Kfz gehandelt. Ihr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war A, der die Klägerin während der Liquidation auch als Liquidator vertrat.
Bei einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung stellte die Prüferin fest, dass von der Klägerin als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen nach Mallorca behandelte Umsätze steuerpflichtig seien, was zu Mehrsteuern führe. Nach den Feststellungen der Steuerfahndung seien die betroffenen Fahrzeuge tatsächlich nicht nach Spanien verbracht, sondern im Inland weiter vermarktet worden. Zudem seien Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, weil eine Scheinfirma involviert gewesen sei.
In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr gab die Klägerin u.a. - entgegen den vorgenannten Prüfungsfeststellungen - steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an. Sie machte Vorsteuerbeträge geltend. Darin enthalten waren Vorsteuerbeträge, die sie Lieferungen nach Mallorca betrafen.
Das seinerzeit zuständige Finanzamt folgte den Angaben der Klägerin nicht und setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr entsprechend den Feststellungen der vorgenannten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen fest. Das FG gab der Klage nur insoweit statt, als die Lieferung eines Porsche 997 S Cabrio besteuert worden war. Im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab. Die Klägerin war der Ansicht, das FG habe rechtsfehlerhaft auf geschäftliche Aktivitäten des leistenden Unternehmers unter der von ihm in seinen Rechnungen angegebenen Anschrift abgestellt. Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das erstinstanzliche Urteil aufgehoben die die Sache an das FG zurückverwiesen.
Gründe:
Das FG hat den Abzug der aus den Rechnungen geltend gemachten Vorsteuerbeträge zu Unrecht mit der Begründung versagt, dass die fraglichen Rechnungen nicht die nach § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG erforderliche zutreffende vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthielten. Die Feststellungen des FG lassen keine Beurteilung zu, ob die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 UStG erfüllt sind. Es steht nicht fest, ob sämtlichen Rechnungen tatsächlich Fahrzeuglieferungen zugrunde gelegen haben.
Eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung erfordert, dass die Rechnung den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entspricht, was gem. § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers sowie des Leistungsempfängers notwendig macht. Im Hinblick auf das EuGH-Urteil Geissel vom 15.11. 2017 (C 374/16 u. C 375/16; UR 2017, 970) ist § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Vorsteuerabzug nicht den Besitz einer Rechnung mit der Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift einschließlich einer Briefkastenanschrift aus, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
Im vorliegenden Fall waren diese Anforderungen an eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung erfüllt, da der Unternehmer unter der von ihm angegebenen Rechnungsanschrift Post erhalten hatte. Unter dieser Anschrift befanden sich u.a. der statuarische Sitz des Unternehmers und ein Buchhaltungsbüro, das die Post für den Unternehmer entgegengenommen und für ihn Buchhaltungsarbeiten erledigt hatte.
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