13.04.2023

Wegzugsbesteuerung und "lediglich vorübergehende Abwesenheit"

Das zum Entfallen der sog. Wegzugsbesteuerung führende Merkmal der "nur vorübergehenden Abwesenheit" in § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG ist unabhängig von einer "Rückkehrabsicht" erfüllt, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens von fünf Jahren nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird.

Kurzbesprechung
BFH v. 21. 12. 2022 - I R 55/19

AStG § 6 Abs 3 S 1
EStG § 1 Abs 1 S 1, § 17 Abs 1


Streitig war, ob im Zusammenhang mit einem Wohnsitzwechsel in das Ausland ein Vermögenszuwachs (Beteiligungsbesitz) der Besteuerung nach § 17 EStG unterliegt. Der BFH hat dies im Streitfall verneint.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. An Stelle des Veräußerungspreises (§ 17 Abs. 2 EStG) tritt bei Anwendbarkeit des § 6 AStG der gemeine Wert der Anteile in dem nach § 6 Abs. 1 Satz 1 oder 2 AStG maßgebenden Zeitpunkt (§ 6 Abs. 1 Satz 4 AStG).

Unstreitig war, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG erfüllt sind. Der Steueranspruch auf der Grundlage der sog. Wegzugsbesteuerung ist aber mit Blick auf den (schon im Rahmen der Veranlagung des Streitjahres bekannt gewordenen) Wiedereintritt der unbeschränkten Steuerpflicht im Jahr 2016 "nachträglich" (und mit Wirkung auf das Streitjahr) entfallen, denn es liegt eine sog. vorübergehende Abwesenheit des Steuerpflichtigen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG - sog. Rückkehrerregelung) vor.

Beruht die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht auf vorübergehender Abwesenheit und wird der Steuerpflichtige innerhalb von fünf Jahren seit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig, entfällt der Steueranspruch nach § 6 Abs. 1 AStG, soweit die Kapitalgesellschaftsanteile in der Zwischenzeit nicht veräußert und die Tatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 3 AStG nicht erfüllt worden sind und der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht nicht nach einem DBA als in einem ausländischen Staat ansässig gilt.

Die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht des Steuerpflichtigen beruhte im Streitjahr auf "vorübergehender Abwesenheit". Dieses im Gesetzeswortlaut mit der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Bezug gesetzte Merkmal wird nach Auffassung der Finanzverwaltung und Teilen der Literatur im Sinne einer "subjektiven Theorie" dahin gedeutet, dass bei Wegzug der Wille des Steuerpflichtigen zur Rückkehr und damit der Wille, wieder unbeschränkt steuerpflichtig zu werden, bestehen muss, und dass dies glaubhaft zu machen ist. Demgegenüber wird in der Literatur auch im Sinne einer "objektiven Theorie" ein Rückkehrwille als Tatbestandserfordernis abgelehnt, da das Merkmal der "vorübergehenden Abwesenheit" allein das gesetzgeberische Motiv für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung benenne, ohne dass dies als absichtsbegründete eigentliche Tatbestandsvoraussetzung verstanden werden könne.

Der BFH folgt der zuletzt angeführten Auslegung. Auch wenn man aus dem durch einen bestimmten Zeitrahmen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG: 5 Jahre) konkretisierten Tatbestandsmerkmal der "lediglich vorübergehenden Abwesenheit" das Erfordernis einer Rückkehrabsicht ableitet, gibt der Wortlaut zum Zeitpunkt der entsprechenden Willensbildung keine Auskunft. Es geht daher bei der Auslegung nicht darum, die Anwendung von Absatz 3 "für gescheiterte oder 'abgebrochene' Auswanderungen" auszuschließen und Absatz 3 nicht einen Zweck als "'Reparaturvorschrift' für steuerlich 'missglückte' Wegzüge" zuzuweisen. Vielmehr soll angesichts des nicht abschließend klaren Wortlauts und der systematischen Zusammenhänge dem teleologischen Leitprinzip der Regelung Geltung verschafft werden, das auf die Bewahrung des nationalen Besteuerungsrechts mit Blick auf die stillen Reserven der Kapitalgesellschaftsbeteiligungen ausgerichtet ist.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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