Weitere Lagerung von eingefrorenen Eizellen im Rahmen einer künstlichen Befruchtung durch einen Arzt kann umsatzsteuerfrei sein
BFH 29.7.2015, XI R 23/13Die Klägerin ist eine GbR. Sie betrieb in den Streitjahren 2004 bis 2007 eine Arztpraxis für Reproduktionsmedizin (sog. Kinderwunsch-Klinik). Die Praxis führte künstliche Befruchtungen durch. Dabei wurden befruchtete Eizellen in flüssigem Stickstoff bei -196°C eingefroren (kryokonserviert) und gelagert. Das Einfrieren und die Lagerung erfolgte nur für eigene Patienten mit der Diagnose "Unfruchtbarkeit", d.h. wenn bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner eine organisch bedingte Sterilität vorlag.
Die Klägerin schuldete aufgrund der abgeschlossenen Verträge die Aufbereitung der Eizellen für das Einfrieren, das Einfrieren selbst und die erstmalige Lagerung für die Dauer von zwei Jahren (erstmalige Konservierung). Die Abrechnung der erstmaligen Konservierung erfolgte durch eine Abrechnungsstelle. Die Verträge konnten - und darum ging es im Streitfall - verlängert werden. Kurz vor Ablauf der Lagerungszeit forderte die Klägerin die Patienten auf, mitzuteilen, ob das gelagerte Material vernichtet oder die Lagerung der Eizellen für ein weiteres Jahr gegen ein bestimmtes Entgelt verlängert werden solle. Dies wurde danach jährlich wiederholt. Die Abrechnung der Kosten für die Vertragsverlängerung nahm die Klägerin gegenüber den Patienten selbst vor.
Die Klägerin behandelte sämtliche Leistungen als nach § 4 Nr. 14 UStG a.F. steuerfrei. Das Finanzamt folgte dieser Auffassung nur hinsichtlich der Leistungen für die erstmalige Konservierung und Lagerung. Die Umsätze der Klägerin aus der verlängerten Lagerung behandelte es als steuerpflichtig und ließ die damit zusammenhängenden Vorsteuerbeträge zum Abzug zu.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH erfolglos.
Gründe:
Das FG hatte zu Recht entschieden, dass die infolge der Vertragsverlängerung ausgeführten Umsätze der Klägerin steuerfrei waren.
Nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG a.F. waren die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker umsatzsteuerfrei. Zwar müssen Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen Zweck dienen, doch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist. Dagegen sind Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt werden und keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen.
Insofern ist die weitere Lagerung von im Rahmen einer Fruchtbarkeitsbehandlung eingefrorenen Eizellen durch einen Arzt gegen ein vom Patienten gezahltes Entgelt umsatzsteuerfrei, wenn damit ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, z.B. zur Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft bei einer andauernden organisch bedingten Sterilität. Auf die ausdrückliche Äußerung eines entsprechenden (weiteren) Kinderwunsches kommt es dabei nicht an. Im vorliegenden Fall hatten die Patienten regelmäßig über die Fortsetzung der Lagerung neu entschieden und sich diese etwas kosten lassen.
Allerdings umfasst die Steuerbefreiung keine Tätigkeiten, die etwa in der Entnahme, der Beförderung und der Analyse von Nabelschnurblut sowie in der Lagerung der in diesem Blut enthaltenen Stammzellen bestehen, wenn die Heilbehandlung, mit der diese Tätigkeiten nur eventuell verbunden sind, weder stattgefunden noch begonnen hat, noch geplant ist. Das gilt auch für die Lagerung von Eizellen oder Spermien ohne medizinischen Anlass (sog. Social Freezing). Nach den Feststellungen des FG lag jedoch in allen streitbefangenen Fällen eine organisch bedingte Sterilität, d.h. eine Krankheit, vor, zu deren Linderung die Lagerung von befruchteten Eizellen medizinisch möglich und geboten ist.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.