Wirkt eine Bescheinigung über die Feststellung der Eigenschaft als Spätaussiedler nach § 15 BVFG auf den Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland zurück?
FG Münster v. 7.2.2019 - 8 K 2476/17 KgDie Klägerin ist Witwe und die Mutter des im Oktober 2009 geborenen Z. L.. Sie reiste am 25.6.2016 aus der Russischen Föderation nach Deutschland ein. Damals trug sie noch den Namen M. L1., ihr Sohn trug den Familiennamen L2.. Die Familiennamen ließ sie später in L. ändern. Im August 2016 beantragte die Klägerin bei der Familienkasse Kindergeld für ihren Sohn. Im Antrag gab sie an, russische Staatsangehörige zu sein. Die Familienkasse lehnte die Gewährung von Kindergeld ab Juni 2016 ab mit der Begründung, die Klägerin habe die mit Schreiben vom 12.8.2016 angeforderten Unterlagen nicht eingereicht.
Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Die Familienkasse forderte die Klägerin zur Vorlage einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) auf. Die Klägerin reichte daraufhin eine Kopie ihres Bundespersonalweises ein, aus dem sich ergibt, dass sie seit August 2016 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Daraufhin setzte die Familienkasse Kindergeld ab August 2016 fest. Der Einspruch hinsichtlich der Monate Juni und Juli 2016 wurde als unbegründet zurückgewiesen, weil die Klägerin im Zeitraum Juni und Juli 2016 die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht erfüllt habe. Die Klägerin sei erst ab August 2016 deutsche Staatsbürgerin. Im Streitzeitraum habe sie keine Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis gehabt. Das Visum für Spätaussiedler gelte nur i.V.m. einer Bescheinigung des Bundesverwaltungsamts nach § 15 Abs. 2 BVFG als gültiger Aufenthaltstitel. Diese Bescheinigung sei trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt worden.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld für die Monate Juni und Juli 2016, § 101 Satz 1 FGO. Der Anspruch ergibt sich aus §§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Die Klägerin hatte im Streitzeitraum ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Ihr Kind Z. ist nach §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG berücksichtigungsfähig. Die Einschränkung der Kindergeldberechtigung des § 62 Abs. 2 EStG kommt für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer im Streitfall nicht zur Anwendung, weil die Klägerin im Streitzeitraum keine Ausländerin i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG war. Deutsche Staatsangehörige und Statusdeutsche unterfallen mit Blick auf die Kindergeldberechtigung gleichermaßen § 62 Abs. 1 EStG.
Die Klägerin war als Abkömmling eines Spätaussiedlers im Zeitraum ab ihrer Einreise und Aufenthaltnahme bis zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gem. § 7 Staatsangehörigkeitsgesetz durch Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG Statusdeutsche i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG. Nach Art. 116 Abs. 1 GG ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung Deutscher, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat. Die Klägerin ist nach dem Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 3.8.2016 Abkömmling eines Spätaussiedlers. Das Gericht ist diesbezüglich an die Statusbeurteilung des Bundesverwaltungsamts gebunden.
Der Eigenschaft als Statusdeutsche im Streitzeitraum steht nicht entgegen, dass die Bescheinigung erst im August 2016 ausgestellt wurde. Denn die Bescheinigung nach § 15 BVFG ist nicht konstitutiv, sondern entfaltet als rein deklaratorische Feststellung Rückwirkung auf den Zeitraum ab der Einreise. Die Eigenschaft als Statusdeutscher ist mithin nicht vom Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 BVFG abhängig. Der Status als Spätaussiedler oder Abkömmling eines Spätaussiedlers entsteht mit der Aufnahme in das Bundesgebiet, also mit der Einreise und ständigen Aufenthaltnahme im Inland. Dieser Zeitpunkt fällt im Streitfall, wie es zwischen den Beteiligten unstreitig und auch in der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ausdrücklich aufgeführt ist, auf den 25.6.2016.
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