Zinszahlungen im Zusammenhang mit Rentennachzahlungen unterliegen immer noch der Steuerpflicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG
BFH 9.6.2015, VIII R 18/12Die Klägerin bezog im Streitjahr 2006 von der Deutschen Rentenversicherung Bund Einkünfte aus einer Witwenrente sowie einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Mit Bescheid aus November 2005 wurde die letztgenannte Rente neu festgestellt. Der Klägerin wurden im Streitjahr für die Zeit vom 1.5.1999 bis 31.12.2005 eine Nachzahlung i.H.v. rund 10.850 € netto sowie hierauf entfallende Zinsen nach § 44 Abs. 1 SGB I i.H.v. 1.399 € ausgezahlt.
Das Finanzamt berücksichtigte die Nachzahlung und die Zinsen im Einkommensteuerbescheid 2006 erklärungsgemäß als sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 1 S. 3a, aa EStG mit einem Besteuerungsanteil von 50 % (§ 22 Nr. 1 S. 3a, aa S. 3 EStG). Im Einspruchsverfahren begehrte die Klägerin die Zuordnung der Zinsen nach § 44 SGB I zu den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, weil nach Abzug des Werbungkostenpauschbetrages i.H.v. 51 € (§ 9a S. 1 Nr. 2 EStG) und des Sparerfreibetrages i.H.v. 1.370 € (§ 20 Abs. 4 S. 1 EStG) keine steuerpflichtigen Einkünfte verbleiben würden.
Einspruch und Klage blieben allerdings erfolglos. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil des FG auf und gab der Klage statt.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz waren die der Klägerin im Streitjahr zugeflossenen Zinsen nach § 44 Abs. 1 SGB I Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Nach ständiger BFH-Rechtsprechung bezieht Einnahmen aus Kapitalvermögen, wer Entgelt zur Nutzung überlässt; zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung sind. Unerheblich ist es, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder ein anderer Rechtsgrund zugrunde liegt. Auch die vom Schuldner erzwungene Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Auszahlung des Kapitals selbst steuerpflichtig ist (BFH-Urt. v. 13.11.2007, Az.: VIII R 36/05).
Unter Anwendung dieser Grundsätze führen Zinsen nach § 44 Abs. 1 SGB I, die für eine verspätet gezahlte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gezahlt werden, zu steuerpflichtigen Einnahmen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Nach § 44 Abs. 1 SGB I sind sozialversicherungsrechtliche Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 % zu verzinsen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen mit der Zinszahlung Nachteile ausgeglichen werden, die der Berechtigte, für den die sozialen Geldleistungen regelmäßig die Lebensgrundlage bilden, durch die verspätete Zahlung der Sozialleistungen erleidet. Wirtschaftlich betrachtet sind die Zinsen damit auch Entgelt für die verspätete Zahlung, d.h. die Vorenthaltung von Kapital, und unterliegen deshalb der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch nach Änderung des § 22 Nr. 1 S. 3a, aa EStG durch das AltEinkG fest. Zinsen nach § 44 SGB I stellen keine "anderen Leistungen" i.S. dieser Norm dar (entgegen BMF-Schreiben v. 13.9.2010 - IV C 3-S 2222/09/10041). Zwar wurde der Wortlaut des § 22 Nr. 1 S. 3a EStG - soweit hier entscheidend - dahingehend geändert, dass neben "Leibrenten" auch "andere Leistungen", die aus gesetzlichen Rentenversicherungen erbracht werden, zu den in § 22 Nr. 1 S. 1 EStG bezeichneten Einkünften gehören. Bei der Auslegung einer Norm ist jedoch nicht allein deren Wortlaut entscheidend. Maßgebend ist vielmehr der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Auch die Gesetzesmaterialien lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber entgegen der in § 22 Nr. 1 S. 1 EStG angeordneten Subsidiarität auch Zinszahlungen der gesetzlichen Rententräger oder diesen gleichgestellten Einrichtungen als "andere Leistungen" behandelt wissen wollte. Durch die Einfügung der "anderen Leistungen" sollte vielmehr eine Gesetzeslücke im Hinblick auf Einmalzahlungen in Folge von (Teil-)Kapitalisierungen berufsständischer Versorgungseinrichtungen geschlossen werden.
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