21.04.2020

Zolltarifliche Einreihung von Lenk- und Bockrollen

Das FG München hat sich vorliegend mit der zolltariflichen Einreihung von Lenk- und Bockrollen für Rollbehälter, die im Lebensmittelhandel benutzt werden, befasst.

FG München v. 20.2.2020 - 14 K 507/17
Der Sachverhalt:
Die Klägerin vertreibt u.a. sog. Rollbehälter. Zu ihren Kunden gehören Supermarktketten, die die Rollbehälter zum Transport ihrer Waren verwenden. Der Boden dieser Behälter besteht aus einer Kunststoffpalette, an deren Rahmen vier Rollen angebracht werden, zwei davon sind drehbar (sog. Lenkrollen) und zwei davon fest (sog. Bockrollen). Die Seitenteile der Rollbehälter bestehen aus Metallgittern. Alle Bauteile werden auch separat angeboten. Die Rollen sind bei einer Bewegungsgeschwindigkeit von bis zu 4 km/h für eine Tragfähigkeit von mindestens 100 kg ausgelegt.

In der Zeit zwischen März 2012 und Oktober 2013 ließ die Klägerin die aus China kommenden Lenk- und Bockrollen jeweils unter der Codenummer: 8716 9090 900 der Kombinierten Nomenklatur (KN; Zollsatz: 1,7%) zur Überführung in den freien Verkehr anmelden.

Im Anschluss an eine Zollprüfung kam das beklagte Hauptzollamt (HZA) zu der Auffassung, dass die von der Klägerin angemeldeten Lenk- und Bockrollen in die KN-Codenummer: 7326 9098 900 (Zollsatz 2,7%) einzureihen seien. Es erhob deshalb mit Bescheid vom 11.2.2014 insgesamt ... € Zoll nach.

Das FG hat die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage abgewiesen. Die Revision wurde zugelassen.

Die Gründe:
Das HZA hat zu Recht Zoll nacherhoben. Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 11.2.2014 ist Art. 220 Abs. 1 S. 1 der VO - EWG - Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK). Nach dieser Vorschrift hat eine Nacherhebung zu erfolgen, wenn der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist.

Vorliegend waren die Abgaben ursprünglich unzutreffend auf der Basis eines Zollsatzes von 1,7% ermittelt worden. Die von der Klägerin angemeldeten Lenk- und Bockrollen sind nämlich nicht in die KN-Codenummer: 8716 9090 900 (Zollsatz 1,7%), sondern in die KN-Codenummer: 7326 9098 (Zollsatz: 2,7%) einzureihen.

Grundlage des Zolltarifs der Europäischen Union (EU) ist die KN in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23.7.1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (VO Nr. 2658/87).

Nach Art. 12 Abs. 1 der VO Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom 31.1.2000 (ABl EG L 28/16) geänderten Fassung veröffentlicht die Kommission jährlich in Form einer Verordnung die vollständige Fassung der KN zusammen mit den Zollsätzen, wie sie sich aus den vom Rat der EU oder von der Kommission beschlossenen Maßnahmen ergeben. Diese Verordnung gilt jeweils ab dem 1. Januar des folgenden Jahres.

Die Klägerin hat die hier zu beurteilenden Waren in den Jahren 2012 und 2013 zur Verzollung anmelden lassen. Dementsprechend richtet sich die zolltarifliche Einreihung für 2012 nach der KN in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1006/2011 der Kommission vom 28.10.2011 (ABl EU L 282/1) und für 2013 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom 9.10.2012 (ABl EU L 304/1).

Für die in den Monaten September und Oktober 2013 angemeldeten Waren (Bezugsvorgänge 50 bis 53) folgt die Einreihung in die KN-Codenummer: 7326 9098 aus der ab dem 19.8.2013 - für den Streitfall entsprechend - geltenden DVO Nr. 728/2013.

Um die einheitliche Anwendung der KN in der Gemeinschaft sicherzustellen, kann die Kommission nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 2658/87 Verordnungen über die Einreihung einzelner Waren in die KN erlassen. Solche Einreihungsverordnungen haben nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Normcharakter, da sie nicht für einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer gilt, sondern für die Gesamtheit der Waren, die mit der in der Verordnung beschriebenen Ware identisch sind. Sind die einzureihenden Waren und die in der Einreihungsverordnung bezeichneten Waren zwar nicht identisch, aber einander hinreichend ähnlich, ist die Einreihungsverordnung entsprechend anzuwenden.

Die im Streitfall einzureihenden Rollen und die in der DVO Nr. 728/2013 beschriebenen Rollen (im Folgenden: Rolle der DVO) sind sich in den einreihungsentscheidenden Merkmalen hinreichend ähnlich.

Es handelt sich jeweils um Waren, die aus einem Rad und einer Befestigungsvorrichtung zusammengesetzt sind. Die Befestigungsvorrichtung besteht jeweils u.a. aus einer rechteckigen Befestigungsplatte aus Stahl, die mit vier Befestigungslöchern versehen ist. Sowohl die einzureihenden Rollen als auch die Rolle der DVO sind dazu bestimmt, an Bodenplatten oder Rahmenkonstruktionen befestigt zu werden, um das Bewegen von Gegenständen zu erleichtern. Dabei werden Lenk- und Bockrollen zumeist paarweise kombiniert. Für die Zweckbestimmung spielt es deshalb keine Rolle, ob die Befestigungsvorrichtungen als drehbare, kugelgelagerte Lenkgabel oder als feststehende Bockgabel gearbeitet sind. Die Abweichungen in den Abmessungen der Waren (bei den streitgegenständlichen Rollen ist die Befestigungsplatte etwas kleiner, der Durchmesser und die Breite der Reifen etwas geringer) sind so minimal, dass sie die Zweckbestimmung ebenfalls nicht entscheidend beeinflussen.

Auch die Unterschiede in der stofflichen Beschaffenheit der jeweiligen Rollen schließen deren Vergleichbarkeit nicht aus. Sowohl die Befestigungsvorrichtungen der streitgegenständlichen Rollen als auch diejenigen der Rolle der DVO sind aus Stahl gefertigt. Ob es sich dabei um nicht rostenden Stahl, verzinkten Stahl oder gelb chromatierten Stahl handelt, ist nicht einreihungsentscheidend. Dies gilt auch für das Material, aus dem die Reifen hergestellt sind. Bei der Rolle der DVO handelt es sich zwar um einen Reifen aus Kautschuk, während die einzureihenden Rollen mit Reifen aus Kunststoff versehen sind. Weil aber der Reifen nicht als der Bestandteil anzusehen ist, der den Rollen ihren wesentlichen Charakter verleiht, ist das für die Reifen verwendete Material für die Einreihung der Ware in die KN nicht relevant.

Nach Nr. 3 Buchst. b der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN (AV) werden Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

Das Merkmal, das den Charakter einer Ware bestimmt, ist je nach Art der Ware verschieden. Es kann sich allgemein z.B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus seinem Umfang, seiner Menge, seinem Gewicht, seinem Wert oder aus der Bedeutung des Stoffes in Bezug auf die Verwendung der Ware ergeben. Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend.

Um den charakterbestimmenden Stoff einer Ware festzustellen, ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ferner zu prüfen, ob die Ware auch ohne den einen oder den anderen ihrer Bestandteile ihre charakteristischen Eigenschaften behalten würde.

Ausgehend von diesen Grundsätzen bestimmen die Befestigungsvorrichtungen aus Stahl den Charakter der streitgegenständlichen Waren. Sie haben nicht nur das höhere Gewicht und den höheren Wert; ihnen kommt auch die entscheidende Bedeutung für die bestimmungsgemäße Verwendung der Ware zu, da sie die notwendige Verbindung zwischen dem Rad und der Bodenplatte bzw. Rahmenkonstruktion schaffen und als Halterung für das Rad dienen.

Der Senat hat auch keine Zweifel an der Gültigkeit der DVO Nr. 728/2013.

Die Revision war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) zuzulassen, weil der Senat von der Entscheidung des FG Düsseldorf im Verfahren 4 K 816/17 Z abweicht.

Bayerische Staatskanzlei online
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