18.10.2016

Zu den Anforderungen an die Begründung der Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung bei einem Mittelbetrieb

Die Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung für ein gewerbliches Einzelunternehmen, das im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Prüfungsanordnung als Mittelbetrieb eingestuft ist, bedarf grundsätzlich keiner über § 193 Abs. 1 AO hinausgehenden Begründung. Eine derartige Prüfung ist ermessensgerecht, wenn keine Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung bestehen und sie nicht gegen das Übermaßverbot verstößt; sie ist nicht übermäßig, wenn das Unternehmen während des vorgesehenen Prüfungszeitraumes zeitweise als Großbetrieb eingeordnet war und sich aufgrund vorliegenden Kontrollmaterials aus Sicht des Finanzamts ein Prüfungsbedarf ergibt.

BFH 15.6.2016, III R 8/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger betreibt in mehreren Filialen einen Einzelhandel mit Waren verschiedener Art. Gem. § 3 der Betriebsprüfungsordnung 2000 (BpO) war der Betrieb des Klägers zum 1.1.2004 als Kleinbetrieb, zum 1.1.2007 als Mittelbetrieb, zum 1.1.2010 als Großbetrieb und mit Wirkung ab dem 1.1.2013 wieder als Mittelbetrieb eingestuft. Für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 sowie für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2007 führte das Finanzamt beim Kläger Außenprüfungen durch, die zu keinen nennenswerten Beanstandungen führten. Am 22.1.2013 ordnete das Finanzamt eine weitere Außenprüfung an, die sich auf die Feststellung der Einkünfte sowie die Gewerbesteuer für die Jahre 2008 bis 2011 erstrecken sollte. Auf den Einspruch des Klägers hin erließ das Finanzamt am 20.2.2013 eine neue Prüfungsanordnung, in der es den Prüfungszeitraum auf drei Jahre (2008 bis 2010) begrenzte. Der Kläger hielt an seinem Einspruch fest.

Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies es darauf, dass es sich bei der Anordnung einer routinemäßigen Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO um eine Ermessenentscheidung handele, die mit der Angabe der Rechtsgrundlage hinreichend begründet sei. Dies gelte auch im Falle einer Anschlussprüfung, die weder ein zu erwartendes Mehrergebnis noch relevante Prüfungsfeststellungen in den vorangegangenen Prüfungen voraussetze. Das Finanzamt habe sich auch durch den Wechsel der Größenklasse vom Groß- zum Mittelbetrieb zum 1.1.2013 zur Prüfung veranlasst gesehen.

Der Kläger erhob daraufhin Klage. Während des Klageverfahrens übersandte das Finanzamt dem FG Auszüge aus ihm vorliegenden Kontrollmaterial. Auf einen rechtlichen Hinweis des FG, dass zweifelhaft sei, ob die Prüfungsanordnung vom 20.2.2013 ausreichend begründet sei, erließ das Finanzamt während des Klageverfahrens am 13.3.2014 eine neue Prüfungsanordnung, die wiederum auf § 193 Abs. 1 AO gestützt war. Sie ergehe aufgrund einer Ermessensentscheidung, bei der das Kontrollmaterial von ausschlaggebender Bedeutung sei, da es den Schluss zulasse, dass im Prüfungszeitraum nicht alle Geschäftsvorfälle zutreffend erfasst worden seien. Es sei daher notwendig, eine zweite Anschlussprüfung durchzuführen, obgleich die letzte Betriebsprüfung nicht zu nennenswerten Beanstandungen geführt habe.

Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Die Prüfungsanordnung vom 13.3.2014 ist rechtmäßig.

Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur eingeschränkt zu prüfen ist. Das Finanzamt hat vorliegend die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und frei von Ermessensfehlern entschieden. Das Finanzamt hat von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Die Anordnung der zweiten Anschlussprüfung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Andere Ermessensfehler sind nicht erkennbar.

Die Finanzbehörden sind verpflichtet, für eine steuerliche Belastungsgleichheit zu sorgen und diese auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges zu gewährleisten. Die Herstellung der steuerlichen Lastengleichheit spricht für eine möglichst lückenlose Prüfung; die Verwaltung kann daher grundsätzlich alle Veranlagungszeiträume durch eine Außenprüfung kontrollieren. Da eine umfassende Prüfung der unter § 193 Abs. 1 AO fallenden Steuerpflichtigen nicht realisierbar ist, kann sich die Finanzbehörde zumindest die prophylaktische Wirkung nutzbar machen, die in der Unberechenbarkeit eines prüfungsfreien Zeitraums zwischen den turnusmäßigen Prüfungen liegt. Daher ist bei der Ermessensausübung nach § 193 Abs. 1 AO für die Berücksichtigung eines Individualinteresses auf Verschonung von den durch eine Außenprüfung ausgelösten Belastungen vorbehaltlich des Übermaß- sowie des Willkür- und Schikaneverbots grundsätzlich kein Raum.

Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung des Klägers sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger wurde durch die Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung auch nicht in ermessensfehlerhafter Weise übermäßig belastet. Ob ein Ermessensfehler gegeben ist, beurteilt sich grundsätzlich nach Begründung der Prüfungsanordnung durch das Finanzamt. Da die Anordnung einer Prüfung grundsätzlich ermessensgerecht ist, wenn sie nicht gegen das Übermaß-, das Willkür- oder das Schikaneverbot verstößt, bedarf sie indessen regelmäßig keiner über die Angabe der gesetzlichen Grundlage --hier § 193 Abs. 1 AO-- hinausgehenden Begründung. Dies gilt nicht nur für die erste Anschlussprüfung bei einem Mittelbetrieb, sondern auch - wie hier - für die zweite Anschlussprüfung.

Der Kläger wurde durch die Prüfungsanordnung nicht übermäßig belastet. Denn das Unternehmen des Klägers war, worauf sich das Finanzamt auch berufen hat, zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 4 Abs. 4 BpO) als Mittelbetrieb eingestuft, aber zuvor - zum 1.1.2010 und damit innerhalb des vorgesehenen Prüfungszeitraums - als Großbetrieb eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Kriterium, das es als ermessensfehlerfrei erscheinen lässt, den Prüfungsabstand kürzer als bei anderen Mittelbetrieben zu bemessen.

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