25.02.2021

Zum Begriff der erzieherischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG

Eine erzieherische Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist --über die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten hinaus-- auf die umfassende Schulung des menschlichen Charakters und die Bildung der Persönlichkeit im Ganzen gerichtet. Keine erzieherische Tätigkeit liegt demgegenüber vor, wenn eine im Rahmen ambulanter Eingliederungshilfe gewährte Unterstützung für behinderte oder erkrankte Menschen darauf zielt, gemeinsam erkannte, individuelle Defizite einer Person auszugleichen.

Kurzbesprechung
BFH v. 29.9.2020 - VIII R 10/17

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2
GewStG § 2 Abs. 1, § 3 Nr. 20 Buchst d
SGB 11 § 71 Abs. 1


Streitig war, ob die Einkünfte der Steuerpflichtigen aus ihrer betrieblichen Tätigkeit im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe im Streitjahr 2010 der Gewerbesteuer unterliegen.

Tätigkeit mit gewerblichem Charakter

Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehört zu den freiberuflichen Tätigkeiten die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit sowie die Tätigkeit in einem der dort aufgezählten Berufe oder in einem diesen ähnlichen Beruf. Die Steuerpflichtige hat weder einen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausdrücklich aufeführten Katalogberufe ausgeübt, noch ist sie - mangels Vergleichbarkeit von Ausbildung und Tätigkeit - in einem ähnlichen Beruf tätig gewesen.

Sie ist auch nicht erzieherisch tätig geworden. Denn eine Tätigkeit, die - wie im Streitfall - darauf zielt, Klienten darin zu unterstützen, bestimmte individuelle Verhaltensprobleme und "Persönlichkeitsdefekte" zu überwinden, ist keine erzieherische Tätigkeit.

Letztlich liegt auch keine unterrichtende Tätigkeit vor, da die Tätigkeit die Erarbeitung und Entwicklung eines auf die speziellen Bedürfnisse einer Person abgestellten, nicht auf einen Fachbereich beschränkten Programms erforderte, so dass es an einer Lehrtätigkeit in organisierter und institutionalisierter Form fehlte.

Keine Gewerbesteuerfreiheit

Die Steuerpflichtige erfüllte auch nicht die Voraussetzungen des § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG. Nach dieser Vorschrift sind Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen von der Gewerbesteuer befreit, wenn im Erhebungszeitraum die Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG bezieht sich auf den Bereich der ambulanten Pflege und befreit Einrichtungen für die medizinische und pflegende Versorgung von Menschen.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen ergeben sich aus dem Pflegeversicherungsrecht. Zur Auslegung des Begriffs der Einrichtung zur ambulanten Pflege ist auf § 71 Abs. 1 SGB XI zurückzugreifen. Gemäß § 71 Abs. 1 SGB XI sind ambulante Pflegeeinrichtungen (Pflegedienste) selbständig wirtschaftende Einrichtungen, die unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft Pflegebedürftige in ihrer Wohnung pflegen und hauswirtschaftlich versorgen. Für die Anerkennung als verantwortliche Pflegefachkraft ist neben einem Abschluss als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann, Gesundheits- und Krankenpflegerin oder Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder Altenpflegerin oder Altenpfleger eine näher beschriebene praktische Berufserfahrung erforderlich (§ 71 Abs. 3 Satz 1 SGB XI). Bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, die überwiegend behinderte Menschen pflegen und betreuen, gelten auch nach Landesrecht ausgebildete Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspfleger sowie Heilerzieherinnen und Heilerzieher mit näher beschriebener Berufserfahrung als ausgebildete Pflegefachkraft (§ 71 Abs. 3 Satz 2 SGB XI).

Im Streitfall erfüllt die Steuerpflichtige diese, an die Annahme einer ambulanten Pflegeeinrichtung zu stellenden Anforderungen bereits deshalb nicht, weil sie als Diplomsozialarbeiterin keine ausgebildete Pflegefachkraft ist.

Ob die von der Steuerpflichtigen betriebene Einrichtung auch deshalb keine Pflegeeinrichtung i.S. des § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG ist, weil sie nicht das gesamte Spektrum der häuslichen Pflegehilfe abdeckt, die eine Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung umfasst (vgl. § 36 Abs. 1 SGB XI), konnte daher ebenso dahinstehen wie die Beantwortung der Frage, welchen Einfluss die erst nach dem Streitjahr eingetretenen Gesetzesänderungen, insbesondere die zum 01.01.2017 erfolgte Neudefinition des Begriffs der häuslichen Pflegehilfe in § 36 SGB XI in Bezug auf eine Befreiung gemäß § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG haben.

Schließlich ergab sich im Streitfall auch aus § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG, der Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation betrifft, keine Befreiung von der Gewerbesteuer, da die Vorschrift gemäß § 36 Abs. 1 GewStG in der durch das Kroatien-Anpassungsgesetz geänderten Fassung erstmals für den Erhebungszeitraum 2015 - und damit nicht im Streitjahr - anzuwenden ist.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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