29.11.2019

Zum Direktanspruch in der Umsatzsteuer

Ein sich aus dem Unionsrecht entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma vom 15.03.2007 - C-35/05 ergebender Direktanspruch setzt voraus, dass der Rechnungsaussteller eine Leistung an den Rechnungsempfänger erbracht hat, für die er Umsatzsteuer in der Rechnung zu Unrecht ausgewiesen hat.

BFH v. 22.8.2019 - V R 50/16
Der Sachverhalt:
Die nach ihrer entgeltlichen Umsatztätigkeit dem Grunde nach zum Vorsteuerabzug berechtigte Klägerin machte den Vorsteuerabzug aus Rechnungen geltend, die das Einzelunternehmen HC, Inhaberin GM, mit Steuerausweis erteilt hatte. Die Rechnungen standen im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die ihr Ehemann JM (JM) für die Klägerin ausgeübt hatte. Die der Klägerin von HC in Rechnung gestellte Umsatzsteuer betrug in den Jahren 1998 bis 2001 rd. 72.000 €. In den Jahren 2002 und 2003 belief sich die in den Rechnungen der HC ausgewiesene Umsatzsteuer auf rd. 23.000 € (2002) und rd. 11.000 € (2003). Die Rechnungen der Jahre 1998 bis 2002 beglich die Klägerin vollständig. Von den aus dem Jahr 2003 herrührenden Rechnungen ließ sie zwei Rechnungen unbezahlt. Der darauf entfallende Umsatzsteuerbetrag betrug rd. 2.400 €. Die von der Klägerin an die HC gezahlte Umsatzsteuer belief sich damit auf rd. 103.000 €.

In Anschluss an steuerstrafrechtliche Ermittlungen und eine Außenprüfung ging das gem. § 21 AO für die Besteuerung der Klägerin zuständige Finanzamt davon aus, dass es sich bei den von HC abgerechneten Leistungen um Leistungen einer für die Klägerin als Arbeitnehmer tätigen Person gehandelt habe und daher der Klägerin der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der HC zu versagen sei. Dementsprechend änderte das Finanzamt gem. § 164 Abs. 2 AO die Umsatzsteuerfestsetzungen. Es ging davon aus, dass der Klägerin zivilrechtlich Ansprüche gegen GM als Inhaberin der HC wegen der an diese gezahlten Umsatzsteuer zustünden, so dass auch unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 15.3.2007 - C-35/05 (Reemtsma) kein Anspruch auf Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen bestehe. Dies komme nur in Betracht, wenn GM erwiesenermaßen zahlungsunfähig sei.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte vor dem BFH keinen Erfolg. Im Juni 2012 wurde GM zivilrechtlich verurteilt, wegen ungerechtfertigter Bereicherung an die Klägerin rd. 106.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Ferner wurden die der Klägerin zu erstattenden Kosten auf rd. 11.000 € nebst Zinsen festgesetzt. Mit einer Vereinbarung vom 14.5.2013 berichtigte GM, als Inhaberin der HC, die der Klägerin erteilten Rechnungen. GM machte gegenüber dem für sie nach § 21 AO zuständigen Finanzamt B Berichtigungsansprüche nach § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG geltend und trat diese zur Tilgung der ihr gegenüber titulierten Forderungen an die Klägerin ab. GM ermächtigte die Klägerin, die Ansprüche gegenüber dem Finanzamt B geltend zu machen. In der Folge zahlte das Finanzamt B rd. 98.000 € an die Klägerin. Zwischen GM und der Klägerin war die Geltung von § 367 BGB vereinbart worden. Am 30.11.2012 beantragte die Klägerin beim Finanzamt erneut, unter Berufung auf das EuGH-Urteil Reemtsma, die Vorsteuer aus den Eingangsrechnungen der HC im Billigkeitswege zum Vorsteuerabzug zuzulassen und die Erstattungsbeträge zu verzinsen. Dabei legte sie ein Schreiben der L-GmbH vom 26.11.2012 vor, in dem diese vortrug, sich als langjährige Bevollmächtigte der GM zu äußern. Diese sei nicht in der Lage, auf die titulierten Forderungen der Klägerin Zahlungen zu leisten. Den Antrag der Klägerin lehnte das Finanzamt ab.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Ein sich aus dem Unionsrecht entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma ergebender Direktanspruch setzt voraus, dass der Rechnungsaussteller eine Leistung an den Rechnungsempfänger erbracht hat, für die er Umsatzsteuer in der Rechnung zu Unrecht ausgewiesen hat. Hieran fehlt es vorliegend.

Hat ein nach seiner Unternehmenstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigter Rechnungsempfänger eine gesetzlich nicht geschuldete, aber gleichwohl in einer - ansonsten ordnungsgemäßen - Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer gezahlt, kann er im Rahmen eines sog. Direktanspruchs entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma eine "Rückzahlung" von der Finanzverwaltung verlangen, wenn eine Rückforderung vom Rechnungsaussteller insbesondere im Hinblick auf dessen Zahlungsunfähigkeit übermäßig erschwert ist. Hierüber ist im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO zu entscheiden. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG berechtigt nur die in einer Rechnung ausgewiesene Steuer zum Vorsteuerabzug, die für die in Rechnung gestellte Leistung auch gesetzlich geschuldet wird. Folge dieser dem Unionsrecht entsprechende Rechtslage ist, dass der Leistungsempfänger eine gezahlte und nur in Rechnung gestellte, nicht aber gesetzlich für die in Rechnung gestellte Leistung geschuldete Umsatzsteuer vom Rechnungsaussteller zurückzufordern hat.

Auf dieser Grundlage hat der EuGH in seinem Urteil Reemtsma entschieden, dass die Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung von nationalen Rechtsvorschriften, nach denen nur der Dienstleistungserbringer einen Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht als Mehrwertsteuer gezahlten Beträgen gegen die Steuerbehörden hat und der Dienstleistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der nicht geschuldeten Leistung gegen diesen Dienstleistungserbringer erheben kann, nicht entgegenstehen. Für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert wird, müssen die Mitgliedstaaten allerdings nach dem EuGH-Urteil Reemtsma Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. Dabei wird die Erstattung der Mehrwertsteuer insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers unmöglich oder übermäßig erschwert. Es kann dann geboten sein, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richtet.

Der Direktanspruch setzt voraus, dass der Rechnungsaussteller die in der Rechnung als steuerpflichtig abgerechnete Leistung auch erbracht hat. Denn der EuGH stellt bei seiner Rechtsprechung auf eine Rechnungserteilung mit Steuerausweis durch einen "Dienstleistungserbringer", durch einen "Veräußerer/Dienstleistungserbringer", durch einen "Verkäufer eines Gegenstands" oder durch einen "Lieferer" ab. Damit genügt der bloße Steuerausweis in einer Rechnung für die Entstehung des Direktanspruchs nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Rechnungsaussteller auch eine Leistung erbracht hat, für die mangels Steuerbarkeit oder aufgrund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht gesetzlich entstanden ist. Hieran fehlt es im Streitfall. Das Billigkeitsverfahren dient nicht dazu, diese bei der materiell-rechtlichen Prüfung der Steuerfestsetzung getroffene Entscheidung zu korrigieren.
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