Zum Kennenmüssen nach § 25d Abs. 1 UStG
BFH 10.8.2017, V R 2/17Die Klägerin betreibt einen Fahrzeughandel und bezog von der X-GmbH Fahrzeuge und Container, über deren Lieferung die X-GmbH mit Rechnungen vom 3.1. und vom 5.1.2012 abrechnete. Die Umsatzsteuer für Januar 2012 wurde von der X-GmbH nicht entrichtet.
Geschäftsführer der X-GmbH war Y, der in der Vergangenheit bereits für mehrere andere Unternehmen aufgetreten war, zu denen die Klägerin Geschäftsbeziehungen unterhielt. Gegen Y wurde seit 2008 durch die Steuerfahndung wegen einer Vielzahl von Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung ermittelt. Mit Urteil vom 17.1.2014 verurteilte das Landgericht Y wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer aus den Lieferungen an die Klägerin vom 3. und 5.1.2012.
Die Steuerfahndung hatte die Klägerin spätestens am 11.1.2012 über die Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt. Ob die Klägerin bereits zuvor von den Ermittlungsverfahren Kenntnis hatte, war zwischen den Beteiligten streitig. Das Finanzamt nahm die Klägerin mit dem streitbefangenen Haftungsbescheid nach § 25d UStG in Haftung.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zu Recht entschieden, dass das Vorliegen der Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Klägerin im Haftungswege nach § 25d Abs. 1 UStG nicht nachgewiesen ist.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Klägerin nach § 25d Abs. 1 UStG nicht erfüllt sind. Das Finanzamt hat nicht nachgewiesen, dass die Klägerin von einer etwaigen vorgefassten Absicht des Y Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns Kenntnis hätte haben müssen. Selbst wenn man mit dem FG die Kenntnis der Klägerin von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen Y unterstellt, folgt hieraus nicht, dass sie von dessen Absicht wusste, die Umsatzsteuer aus dem Liefergeschäft mit ihr nicht abzuführen. Zum einen gilt bis zur Verurteilung des Y die Unschuldsvermutung. Zum anderen folgt selbst aus steuerstrafrechtlich bedeutsamen Verhalten bei anderen Geschäftsvorfällen nicht der sichere Schluss auf die Absicht, auch bei zukünftigen Umsätzen die Umsatzsteuer zu hinterziehen.
Ferner trafen die Klägerin selbst bei Kenntnis von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen Y keine Sorgfaltspflichten hinsichtlich einer Hinterziehungsabsicht des Y. Denn an das Kennenmüssen i.S.d. § 25d Abs. 1 UStG sind, wenn - wie hier - die Regelvermutung des § 25d Abs. 2 UStG nicht eingreift, strenge Anforderungen zu stellen. § 25d Abs. 1 UStG muss den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und zu denen u.a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören, genügen. Die Regelung darf also nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Ansprüche des Staates möglichst wirksam zu schützen.
Die Annahme, dass einem Steuerpflichtigen bereits bei bloßer Kenntnis von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen einen Vertragspartner erhöhte Sorgfaltspflichten obliegen, würde trotz der dem Unternehmer zukommenden Aufgabe, öffentliche Gelder als "Steuereinnehmer für Rechnung des Staates" zu vereinnahmen, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Denn eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Auslegung des § 25d Abs. 1 UStG führt dazu, dass sich das Kennenmüssen i.S.d. Vorschrift auf Anhaltspunkte bezieht, die für den Unternehmer im Rahmen eines konkreten Leistungsbezugs den Schluss nahelegen, dass der Rechnungsaussteller bereits bei Vertragsschluss die Absicht hatte, die Umsatzsteuer nicht abzuführen. Hierfür gibt es vorliegend in Bezug auf die konkreten Eingangsleistungen, die haftungsbegründend sein sollen, aber keine Anhaltspunkte.
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