25.09.2012

Zum Kindergeldanspruch eines in Deutschland lebenden und erwerbstätigen polnischen Staatsangehörigen für seine Tochter in Polen

Darf ein nach den deutschen Vorschriften gegebener Kindergeldanspruch unter Hinweis auf § 64 Abs. 2 S. 1 EStG mit dem Argument abgewiesen werden, dass das Kind im Haushalt eines anderen Berechtigten im EU-Ausland (hier: Polen) lebt? Ganz überwiegend wird dies von der aktuellen finanzgerichtlichen Rechtsprechung verneint, da der Ausschlusstatbestand des § 64 Abs. 2 S. 1 EStG eine national geprägte Konkurrenzsituation mehrerer Berechtigter voraussetzt.

FG Münster 26.7.2012, 4 K 3940/11 Kg
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er lebt in Deutschland und geht hier einer nichtselbständigen, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Seine heute 22-jährige Tochter lebt in Polen bei der Kindesmutter, von der der Kläger geschieden ist. Sie studiert dort. Die Kindesmutter, die nicht erwerbstätig ist, bezog für die Tochter bis August 2009 dem inländischen Kindergeld vergleichbare polnische Familienleistungen. Der Kläger erhielt in der Vergangenheit inländisches Differenz-Kindergeld.

Im Mai 2011 beantragte der Kläger erneut die Festsetzung inländischen Kindergeldes für seine Tochter, was die Familienkasse allerdings ablehnte. Zur Begründung trug diese vor, dass die Tochter im Haushalt der Kindesmutter in Polen lebe, so dass der Kläger nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG nicht anspruchsberechtigt sei. Die Haushaltsaufnahme durch die Kindesmutter, die einen Anspruch auf inländisches Kindergeld nach den Vorschriften des BKKG habe, gehe bei der Frage der Anspruchsberechtigung dem Kriterium der Unterhaltszahlungen vor.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen. Das Az. des dort anhängigen Verfahrens lautet III R 42/12.

Die Gründe:
Der Kläger hat ab Mai 2011 einen Anspruch auf Festsetzung inländischen Kindergeldes für seine in Polen bei der Kindesmutter lebende Tochter.

Der Kläger ist nach den nationalen Regelungen für seine Tochter nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG persönlich kindergeldberechtigt. Der inländische Kindergeldanspruch war nicht nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG ausgeschlossen. Zwar traf es zu, dass die Tochter nicht im Haushalt des Klägers, sondern in dem der Kindesmutter in Polen lebt. Allerdings findet die Vorschrift nach weit überwiegender finanzgerichtlicher Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, keine Anwendung, wenn keine inländische Kindergeld-Konkurrenzsituation mehrerer Berechtigter besteht. Und so lag der Fall hier, da die Kindesmutter - anders als der Kläger - während des Streitzeitraums keinen inländischen Kindergeldanspruch für die Tochter hatte.

Es sprach vor allem nichts dafür, dass die Kindesmutter für die Tochter Anspruch auf inländisches Kindergeld nach den Vorschriften des BKKG hat, da der in dieser Vorschrift geforderte Bezug der Kindesmutter zur Bundesrepublik Deutschland nicht vorliegen dürfte. Außerdem war der inländische Kindergeldanspruch des Klägers auch nicht nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ganz oder teilweise ausgeschlossen. Eine staatenübergreifende Kumulation von Kindergeldansprüchen stellte sich vorliegend für Zeiten ab Juni 2011 nicht. Denn beginnend mit dem vorgenannten Monat bestand weder für die Kindesmutter noch für den Kläger ein Anspruch auf polnisches Kindergeld.

Die Revision war sowohl wegen grundsätzlicher Bedeutung als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Beim BFH sind derzeit mehrere Revisionsverfahren zu der auch hier streitigen Frage anhängig, ob ein nach den deutschen Vorschriften gegebener Kindergeldanspruch unter Hinweis auf § 64 Abs. 2 S. 1 EStG mit dem Argument abgewiesen werden kann, dass das Kind im Haushalt eines anderen Berechtigten im EU-Ausland lebt. Ganz überwiegend wird dies von der aktuellen finanzgerichtlichen Rechtsprechung verneint, da der Ausschlusstatbestand des § 64 Abs. 2 S. 1 EStG eine national geprägte Konkurrenzsituation mehrerer Berechtigter voraussetzt.

Allerdings vertritt das FG Bremen die Auffassung, dass ein inländischer Kindergeldanspruch des im EU-Ausland wohnhaften Berechtigten über die Verfahrensvorschrift des Art. 60 Abs. 1 S. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 fingiert werden könne, wonach im Rahmen einer sog. Familienbetrachtung unterstellt werden könne, dass alle beteiligten Personen der Familie unter die Rechtsvorschriften des anspruchsgewährenden Mitgliedstaates fielen und dort wohnten. Dies hätte im Streitfall zur Folge, dass über diese Fiktion ein inländischer - den Anspruch des Klägers nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG ausschließender - Kindergeldanspruch der Kindesmutter konstruiert würde, obwohl die Kindesmutter keinen Bezug zum inländischen Rechtssystem aufweist.

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