20.07.2023

Zum Organisationsverschulden der Finanzverwaltung bei der Übermittlung elektronischer Dokumente im finanzgerichtlichen Verfahren

1. Ein Beteiligter darf erst dann davon ausgehen, dass er ein bestimmtes Dokument erfolgreich an das Gericht übermittelt hat, wenn er für das übermittelte Dokument vom Gericht eine Bestätigung gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO erhalten hat. Dies ist vom Beteiligten zu kontrollieren.
2. Auch ein Finanzamt darf nicht ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Kontrolle des Erhalts einer Eingangsbestätigung des Gerichts entbehrlich sei. Dies gilt unabhängig davon, ob es verwaltungsintern zur Durchführung dieser Kontrolle angewiesen ist oder nicht.
3. Die Finanzverwaltung kann ihre Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht nicht selbst durch Verwaltungsanweisungen definieren. Außerdem kann es an sich selbst keine geringeren Anforderungen stellen als an die anderen Beteiligten, die zur elektronischen Übermittlung an das Gericht verpflichtet sind.

Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 24.5.2023 - XI R 34/21

FGO § 52d, § 52a Abs 5 S 2, § 56

Streitig war die Zulässigkeit der Revision wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, denn das FA hatte im Streitfall die Revisionsbegründungsfrist versäumt. Dieser Mangel konnte auch nicht durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO geheilt werden.

Der BFH stellte heraus, dass bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, grundsätzlich die gleichen Maßstäbe gelten, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat. Das bedeutet auch, dass das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des FA gleichsteht.

In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass das FA unter anderem vorträgt, welche Maßnahmen zur Überwachung von Fristen im Amtsbetrieb getroffen sind. Dabei ist zu beachten, dass ‑ ebenso wie ein berufsständischer Prozessbevollmächtigter ‑ auch der Vorsteher des FA beziehungsweise der zuständige Referent, Sachgebietsleiter oder Sachbearbeiter verpflichtet sind, ein Fristenkontrollbuch oder einen elektronischen Fristenkalender zu führen, in dem unter anderem die Frist für die Revisionsbegründung zu vermerken ist.

Das FA muss in diesem Zusammenhang vortragen, wie und durch welche Beschäftigten in seinem Amt Fristsachen gehandhabt werden, zumal wenn ihre Erledigung an Fristen gebunden ist, die nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören. Dazu rechnet auch die Revisionsbegründungsfrist.

Das FA muss mithin vorbringen, wer die Fristen berechnet sowie durch wen und welche Maßnahmen gewährleistet ist, dass die Fristen notiert und kontrolliert werden. Weiter muss es darlegen, wann und wie die in der Sachbearbeitung von Rechtsbehelfen und Fristsachen eingesetzten Beschäftigten entsprechend belehrt werden und wie die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht wird.

Im Hinblick auf die erforderliche elektronische Übermittlung der Revisionsbegründungsschrift ist zu beachten, dass die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen. Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei unter anderem die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht (§ 52a Abs. 5 Satz 2 FGO) erteilt wurde.

Außerdem ist anhand des zuvor vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich diese Meldung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte. Hat der Absender eine automatisierte Eingangsbestätigung des Gerichts erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich gewesen ist. Bleibt sie aus, muss ihn dies zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen. Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

Im Streitfall schied eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Abgesehen davon, dass es an den erforderlichen Darlegungen fehlte, hatte das FA die Revisionsbegründung nicht fristgerecht an den BFH elektronisch übermittelt, was in der Folgezeit auch nicht weiter aufgefallen ist, weil nicht überprüft wurde, ob der BFH eine automatisierte Eingangsbestätigung (§ 52a Abs. 5 Satz 2 FGO) übermittelt hat.

Das FA konnte ohne das Vorliegen einer Eingangsbestätigung des BFH (und gegebenenfalls ohne weitere Nachfrage bei der Geschäftsstelle des Gerichts) nicht davon ausgehen, dass die Revisionsbegründung beim BFH eingegangen ist. Soweit dieses Unterlassen auf der Ebene des FA möglicherweise verwaltungsintern vorgesehen ist, ist dem FA ein Organisationsverschulden höherer Stellen zuzurechnen, was im Ergebnis einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehen kann.

Das FA durfte im Streitfall auch dann nicht ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Kontrolle des Erhalts einer Eingangsbestätigung des BFH entbehrlich sei, wenn eine solche Kontrolle verwaltungsintern nicht angewiesen gewesen sein sollte.

Die Pflichtverletzung war für die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auch ursächlich. Denn bei ordnungsgemäßer Überprüfung, ob eine automatisierte Eingangsbestätigung des BFH vorliegt, wäre die fehlgeschlagene Übermittlung ‑ gegebenenfalls auch nach telefonischer Rückfrage bei der Geschäftsstelle des BFH ‑ zeitnah erkannt worden und es wäre dem RZF und dem FA innerhalb der verbliebenen zwei Tage bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge möglich gewesen, einen erneuten Übermittlungsversuch durchzuführen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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