12.05.2015

Zum Tatbestandsmerkmal des "bestimmten Sachverhalts" nach § 174 Abs. 4 AO

Bei dem Tatbestandsmerkmal des "bestimmten Sachverhalts" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Er erfasst nicht nur einzelne steuererhebliche Tatsachen, sondern auch den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex, sofern die ihn bildenden Sachverhaltselemente einen inneren Zusammenhang aufweisen.

BFH 12.2.2015, V R 38/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger war in den Streitjahren 1999 bis 2001 als Musikproduzent tätig. Im Oktober 1997 hatte er mit der H-GmbH vereinbart, dass er von dieser auf Darlehensbasis eine voll gegen sämtliche Autorenanteile verrechenbare Zahlung i.H.v. 2 Mio. DM erhalten sollte, zahlbar zur Hälfte nach Unterzeichnung sowie im Januar 1998. Dafür erwarb die H-GmbH die zukünftigen Forderungen des Klägers gegen die GEMA i.H.d. zu erwartenden Autorenvergütung bis 2 Mio. DM. Zur Sicherung trat der Kläger seine Ansprüche gegen die GEMA an die H-GmbH ab. Bis zur Höhe dieser Forderungen sollten Zahlungen der GEMA künftig auf ein Konto der H-GmbH überwiesen werden.

Während der Kläger die GEMA-Autorenvergütungen in seinen Steuererklärungen als dem ermäßigten Steuersatz unterliegende steuerpflichtige Umsätze berücksichtigte, kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass die Zahlungen bei Zufluss in den Jahren 1997 und 1998 als umsatzsteuerpflichtiger Umsatz (7%) zu erfassen seien. Die Vereinbarungen des Klägers mit der H-GmbH stellten keinen Darlehensvertrag, sondern einen Kaufvertrag dar. Bei den Zahlungen handele es sich um Vorauszahlungen der H-GmbH für die ihr übertragenen Autorenanteile. Die Zahlungen aus den laufenden Lizenzabrechnungen mit der GEMA seien dagegen umsatzsteuerrechtlich irrelevant.

In dem die Umsatzsteuer 1997 und 1998 betreffenden Klageverfahren erklärte sich das Finanzamt später bereit, das strittige Vertragsverhältnis als Darlehensvereinbarung anzuerkennen und dadurch dem Klagebegehren abzuhelfen. Hierauf änderte es die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide auf der Grundlage des § 174 Abs. 4 AO und erfasste nunmehr beim Kläger die Umsätze aus den jährlichen Lizenzabrechnungen der GEMA.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamtes hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Gründe:
Das FG war zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001 nach § 174 Abs. 4 AO nicht vorgelegen hätten. Die Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998, in denen das Finanzamt die Zahlungen der H-GmbH an den Kläger als steuerpflichtige Umsätze behandelt und der Umsatzsteuer unterworfen hatte, beruhten auf einer rechtlich irrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts. Nachdem diese Bescheide aufgrund eines Rechtsbehelfs des Klägers aufgehoben worden waren, war das Finanzamt berechtigt, durch den Erlass der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide die zutreffenden steuerlichen Folgen zu ziehen.

Entgegen der Ansicht des FG handelte es sich bei den Vereinbarungen zwischen dem Kläger und der H-GmbH aus Oktober 1997 und den darauf beruhenden Zahlungen sowie den Vertragsbeziehungen des Klägers mit der GEMA und deren Zahlungen an die H-GmbH um einen "bestimmten Sachverhalt" i.S.v. § 174 Abs. 4 AO. Bei dem Tatbestandsmerkmal des "bestimmten Sachverhalts" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Er erfasst nicht nur einzelne steuererhebliche Tatsachen, sondern auch den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex, sofern die ihn bildenden Sachverhaltselemente einen inneren Zusammenhang aufweisen.

Der Umsatzsteuerpflicht stand nicht entgegen, dass die Lizenzeinnahmen dazu dienen sollten, das Darlehen des Klägers zurückzuzahlen und der Kläger seine Lizenzansprüche sicherungshalber an die H-GmbH abgetreten hatte. Der leistende Unternehmer vereinnahmt ein Entgelt auch dann, wenn der Leistungsempfänger nach Abtretung des Vergütungsanspruchs an den Abtretungsempfänger zahlt.

Lagen damit die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO vor, durfte das Finanzamt die richtigen steuerlichen Folgerungen aus dem "bestimmten Sachverhalt" ziehen. Da der Begriff des "bestimmten Sachverhalts" nicht periodenbezogen einschränkend auszulegen ist, konnten die richtigen steuerlichen Folgerungen ohne Rücksicht auf den Besteuerungszeitraum gezogen werden. Demnach umfasste die Änderung sämtliche Besteuerungszeiträume, die vom "bestimmten Sachverhalt" betroffen waren (1999 bis 2001). Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen war, musste seine Entscheidung aufgehoben werden.

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