Zur Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 14 AO
BFH v. 4.8.2020 - VIII R 39/18
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihre Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gaben sie im Juli 2003 (2002) und im Mai 2004 (2003) ab. Mit Schreiben von Juni 2013 gaben die Kläger "Berichtigungserklärungen" für die Jahre 2002 bis 2011 ab. Sie teilten mit, zwischen den Jahren 1965 und 1998 versteuertes Vermögen auf Konten in der Schweiz gebracht zu haben. Mit diesem Vermögen hätten sie Einkünfte aus Kapitalvermögen und privaten Veräußerungsgeschäften sowie Renteneinkünfte erzielt, die sie in ihren Steuererklärungen nicht angegeben hätten. Sie erklärten für die Streitjahre Renteneinkünfte und schätzten Kapitalerträge gem. § 20 EStG sowie Einkünfte aus Spekulationsgeschäften gem. § 23 EStG. Ferner erklärten sie verdeckte Gewinnausschüttungen. Die Kläger gaben an, zum Ausgleich der Steuerrückstände vorab eine Akontozahlung erbringen zu wollen. Nach den Feststellungen des FG leisteten sie diese Zahlung im Juli 2013. Eine Nachzahlungsfrist gem. § 371 Abs. 3 AO war den Klägern zuvor nicht gesetzt worden.
Mit Schreiben von September 2013 reichten die Kläger Ermittlungen der nicht deklarierten Einnahmen nach, denen Erträgnisaufstellungen und Kontoauszüge beigefügt waren. Sie hatten Anlagen KAP, AUS und SO für die Jahre 2002 bis 2005 beigefügt, in denen sie ausschließlich die nacherklärten Einkünfte erfasst hatten. Die Steuerfahndungsstelle teilte den Klägern mit Schreiben von November 2013 mit, dass ihr Schreiben von Juni 2013 als Selbstanzeige i.S.v. § 371 Abs. 1 AO gewertet werde und Anfang November 2013 für die Jahre 2007 bis 2011 ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Für die Jahre 2000 bis 2006 sei zwar Strafverfolgungsverjährung eingetreten, jedoch noch Einkommensteuer nachzufordern. Es werde gebeten, für die vorgenannten Jahre die Einkünfte, soweit noch nicht geschehen, zu belegen und aufzugliedern und Feststellungserklärungen einzureichen. Im Januar 2014 übersandten die Kläger der Steuerfahndungsstelle einen Teil der angeforderten Unterlagen.
Mit Schreiben von April 2015 teilte die Steuerfahndungsstelle den Klägern mit, dass die Prüfung der eingereichten Unterlagen und erteilten Auskünfte abgeschlossen worden sei. Die von den Klägern ermittelten und sich aus den von ihnen übersandten Tabellen ergebenden Beträge würden im Wesentlichen übernommen. Den vorgeschlagenen Änderungen betreffend die Streitjahre stimmten die Kläger in ihrem Antwortschreiben von Mail 2015 zu. Im August 2015 übersandte die Steuerfahndungsstelle dem Finanzamt die von den Prozessbevollmächtigten der Kläger gefertigten Anlagen KAP, AUS 2002 bis 2005, SO 2002 bis 2004, 2008 und 2009, R 2005 bis 2011 mit den nacherklärten Einnahmen, Anrechnungsbeträgen und Werbungskosten. Die Prüfungsfeststellungen zu den zu ändernden Kennziffern und Beträgen waren vom Fahndungsprüfer gekennzeichnet. Dem Finanzamt wurde vorgeschlagen, die entsprechenden Steuerfestsetzungen zu ändern. Daraufhin änderte das Finanzamt - neben den Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2004 bis 2011 - auch die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision der Kläger hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zutreffend entschieden, dass dem Erlass der Einkommensteueränderungsbescheide vom 27.8.2015 der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegenstand, da der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 14 AO gehemmt war.
Gem. § 171 Abs. 14 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228 AO). Die Regelung wurde in das Gesetz eingefügt, um sicherzustellen, dass innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist notwendige Steuerfestsetzungen nachgeholt werden können. Es sollte vermieden werden, dass der Steuerpflichtige mit der Begründung, der Steuerbescheid sei unwirksam bekanntgegeben worden, innerhalb der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist eine Erstattung zu viel gezahlter Steuern verlangen kann, ohne dass das Finanzamt die Steuerfestsetzung innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist durch wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheides nachholen könnte.
Da die gesetzgeberische Absicht, eine Ablaufhemmung nur in den Fällen der unwirksamen Steuerfestsetzung zu bewirken, im Wortlaut des § 171 Abs. 14 AO keinen unmittelbaren Ausdruck gefunden hat, ist der Anwendungsbereich der Regelung nach herrschender Meinung, der sich der BFH anschließt, nicht auf die Fälle unwirksamer Steuerfestsetzungen beschränkt. Vielmehr ist grundsätzlich jeder mit dem Steueranspruch zusammenhängende Erstattungsanspruch geeignet, die Ablaufhemmung auszulösen.
Da der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen die Ablaufhemmung auslöst, muss dieser Anspruch allerdings vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sein. Auf dieser Grundlage waren im Streitfall die Voraussetzungen gem. § 171 Abs. 14 AO erfüllt. Den Klägern stand infolge ihrer Akontozahlung ein Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt zu, der bereits mit der Zahlung im Juli 2013 - und damit vor dem Ablauf der gem. § 171 Abs. 9 AO gehemmten Festsetzungsfrist - entstanden und für den bei Erlass der angefochtenen Bescheide der Streitjahre noch keine Zahlungsverjährung eingetreten war.
Die Akontozahlung der Kläger hat unmittelbar einen Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt ausgelöst. Denn für diese Akontozahlung fehlte es an einem formalen Rechtsgrund. Dies hatte zur Folge, dass den Klägern ein - bereits mit der Zahlung entstandener - Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt zustand. Der danach mit der Zahlung im Juli 2013 entstandene Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt hing auch - wie von § 171 Abs. 14 AO vorausgesetzt - mit dem Steueranspruch für die Streitjahre zusammen. Denn die Kläger hatten die Akontozahlung an das Finanzamt ausdrücklich mit Bezug auf die erwartete Steuernachforderung auch für die Streitjahre erbracht. Dass das Finanzamt die Zahlung (zunächst) lediglich auf einem Verwahrkonto verbucht hatte, ändert hieran nichts.
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Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihre Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gaben sie im Juli 2003 (2002) und im Mai 2004 (2003) ab. Mit Schreiben von Juni 2013 gaben die Kläger "Berichtigungserklärungen" für die Jahre 2002 bis 2011 ab. Sie teilten mit, zwischen den Jahren 1965 und 1998 versteuertes Vermögen auf Konten in der Schweiz gebracht zu haben. Mit diesem Vermögen hätten sie Einkünfte aus Kapitalvermögen und privaten Veräußerungsgeschäften sowie Renteneinkünfte erzielt, die sie in ihren Steuererklärungen nicht angegeben hätten. Sie erklärten für die Streitjahre Renteneinkünfte und schätzten Kapitalerträge gem. § 20 EStG sowie Einkünfte aus Spekulationsgeschäften gem. § 23 EStG. Ferner erklärten sie verdeckte Gewinnausschüttungen. Die Kläger gaben an, zum Ausgleich der Steuerrückstände vorab eine Akontozahlung erbringen zu wollen. Nach den Feststellungen des FG leisteten sie diese Zahlung im Juli 2013. Eine Nachzahlungsfrist gem. § 371 Abs. 3 AO war den Klägern zuvor nicht gesetzt worden.
Mit Schreiben von September 2013 reichten die Kläger Ermittlungen der nicht deklarierten Einnahmen nach, denen Erträgnisaufstellungen und Kontoauszüge beigefügt waren. Sie hatten Anlagen KAP, AUS und SO für die Jahre 2002 bis 2005 beigefügt, in denen sie ausschließlich die nacherklärten Einkünfte erfasst hatten. Die Steuerfahndungsstelle teilte den Klägern mit Schreiben von November 2013 mit, dass ihr Schreiben von Juni 2013 als Selbstanzeige i.S.v. § 371 Abs. 1 AO gewertet werde und Anfang November 2013 für die Jahre 2007 bis 2011 ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Für die Jahre 2000 bis 2006 sei zwar Strafverfolgungsverjährung eingetreten, jedoch noch Einkommensteuer nachzufordern. Es werde gebeten, für die vorgenannten Jahre die Einkünfte, soweit noch nicht geschehen, zu belegen und aufzugliedern und Feststellungserklärungen einzureichen. Im Januar 2014 übersandten die Kläger der Steuerfahndungsstelle einen Teil der angeforderten Unterlagen.
Mit Schreiben von April 2015 teilte die Steuerfahndungsstelle den Klägern mit, dass die Prüfung der eingereichten Unterlagen und erteilten Auskünfte abgeschlossen worden sei. Die von den Klägern ermittelten und sich aus den von ihnen übersandten Tabellen ergebenden Beträge würden im Wesentlichen übernommen. Den vorgeschlagenen Änderungen betreffend die Streitjahre stimmten die Kläger in ihrem Antwortschreiben von Mail 2015 zu. Im August 2015 übersandte die Steuerfahndungsstelle dem Finanzamt die von den Prozessbevollmächtigten der Kläger gefertigten Anlagen KAP, AUS 2002 bis 2005, SO 2002 bis 2004, 2008 und 2009, R 2005 bis 2011 mit den nacherklärten Einnahmen, Anrechnungsbeträgen und Werbungskosten. Die Prüfungsfeststellungen zu den zu ändernden Kennziffern und Beträgen waren vom Fahndungsprüfer gekennzeichnet. Dem Finanzamt wurde vorgeschlagen, die entsprechenden Steuerfestsetzungen zu ändern. Daraufhin änderte das Finanzamt - neben den Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2004 bis 2011 - auch die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision der Kläger hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zutreffend entschieden, dass dem Erlass der Einkommensteueränderungsbescheide vom 27.8.2015 der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegenstand, da der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 14 AO gehemmt war.
Gem. § 171 Abs. 14 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228 AO). Die Regelung wurde in das Gesetz eingefügt, um sicherzustellen, dass innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist notwendige Steuerfestsetzungen nachgeholt werden können. Es sollte vermieden werden, dass der Steuerpflichtige mit der Begründung, der Steuerbescheid sei unwirksam bekanntgegeben worden, innerhalb der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist eine Erstattung zu viel gezahlter Steuern verlangen kann, ohne dass das Finanzamt die Steuerfestsetzung innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist durch wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheides nachholen könnte.
Da die gesetzgeberische Absicht, eine Ablaufhemmung nur in den Fällen der unwirksamen Steuerfestsetzung zu bewirken, im Wortlaut des § 171 Abs. 14 AO keinen unmittelbaren Ausdruck gefunden hat, ist der Anwendungsbereich der Regelung nach herrschender Meinung, der sich der BFH anschließt, nicht auf die Fälle unwirksamer Steuerfestsetzungen beschränkt. Vielmehr ist grundsätzlich jeder mit dem Steueranspruch zusammenhängende Erstattungsanspruch geeignet, die Ablaufhemmung auszulösen.
Da der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen die Ablaufhemmung auslöst, muss dieser Anspruch allerdings vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sein. Auf dieser Grundlage waren im Streitfall die Voraussetzungen gem. § 171 Abs. 14 AO erfüllt. Den Klägern stand infolge ihrer Akontozahlung ein Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt zu, der bereits mit der Zahlung im Juli 2013 - und damit vor dem Ablauf der gem. § 171 Abs. 9 AO gehemmten Festsetzungsfrist - entstanden und für den bei Erlass der angefochtenen Bescheide der Streitjahre noch keine Zahlungsverjährung eingetreten war.
Die Akontozahlung der Kläger hat unmittelbar einen Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt ausgelöst. Denn für diese Akontozahlung fehlte es an einem formalen Rechtsgrund. Dies hatte zur Folge, dass den Klägern ein - bereits mit der Zahlung entstandener - Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt zustand. Der danach mit der Zahlung im Juli 2013 entstandene Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt hing auch - wie von § 171 Abs. 14 AO vorausgesetzt - mit dem Steueranspruch für die Streitjahre zusammen. Denn die Kläger hatten die Akontozahlung an das Finanzamt ausdrücklich mit Bezug auf die erwartete Steuernachforderung auch für die Streitjahre erbracht. Dass das Finanzamt die Zahlung (zunächst) lediglich auf einem Verwahrkonto verbucht hatte, ändert hieran nichts.