Zur Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG
BFH 5.9.2018, XI R 30/16Das Verfahren betrifft die Abzinsung von Darlehensverbindlichkeiten. Die Klägerin, eine Unternehmergesellschaft, betreibt das Halten und Veräußern von Beteiligungen sowie die Vermögensverwaltung. Am 22.1. sowie am 25.2.2010 erwarb sie im Rahmen einer Kapitalerhöhung Inhaberaktien an einer AG i.H.v. insgesamt 750.000 € zum Nominalwert. Im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktien nahm sie bei ihrem Alleingesellschafter Darlehen i.H.v. 750.000 € auf. Eine Laufzeit dieser Darlehen war nicht ausdrücklich vereinbart; die Darlehen waren jedoch jederzeit mit einer Frist von 30 Tagen kündbar. Die Klägerin beabsichtigte zunächst, die erworbenen Aktien bis Mitte des Jahres 2010 weiter zu veräußern und die Darlehen aus dem Veräußerungserlös zu tilgen.
Die Darlehensverträge sahen vor, dass die Darlehensforderungen ab dem Tage des Geldeingangs bis zur Rückzahlung mit 3 % p.a. aus den erhaltenen Dividenden der AG zu verzinsen seien; die Verzinsung falle nur an, wenn die AG Dividenden zahle. Eine garantierte Mindestverzinsung sei ausgeschlossen, ebenso die Kumulation der in einem Jahr nicht gezahlten Zinsen. Zu der beabsichtigten kurzfristigen Weiterveräußerung der Aktien kam es jedoch in der Folgezeit aufgrund einer nicht erwarteten negativen Entwicklung im Umfeld der AG nicht. Dementsprechend kam es auch nicht zu der beabsichtigten Tilgung der Darlehen. Auch Dividendenzahlungen seitens der AG blieben zunächst aus. Daraufhin wurden die Bedingungen der streitgegenständlichen Darlehensverträge im November 2010 angepasst und eine Mindestverzinsung mit Wirkung ab dem 1.1.2011 festgelegt.
In ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2010 passivierte die Klägerin die Darlehensverbindlichkeiten in voller Höhe. Das Finanzamt gelangte jedoch zu der Auffassung, die bei der Klägerin passivierte Darlehensverbindlichkeit gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG unter Annahme einer Darlehenslaufzeit von zwölf Jahren mit einem Faktor von 0,503 um 372.750 € abzuzinsen sei.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage statt. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.
Die Gründe:
Eine Abzinsung der Darlehen kommt nicht in Betracht, da es sich um verzinsliche Verbindlichkeiten handelt (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 EStG). Eine verzinsliche Verbindlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn das Darlehen mit einer Zinsvereinbarung verbunden ist. Dabei steht die Nichtzahlung der vereinbarten Zinsen einer Verzinslichkeit nicht entgegen.
Die Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG gründet auf der typisierenden Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht. Sie beruht auf dem Faktor "Zeit" und folgt demgemäß dem Grundsatz, dass erst in Zukunft zu erbringende Zahlungen gegenwärtig mit ihrem Barwert abzubilden sind. Ist jedoch das Darlehen verzinst, ist der Darlehensnehmer mit einer in der Zukunft zu erfüllenden Verpflichtung nicht weniger belastet als mit einer sofortigen Leistungspflicht. Nach dem Gesetzeswortlaut ist daher für die Ausnahme von dem Abzinsungsgebot Voraussetzung, dass eine verzinsliche Verbindlichkeit vorliegt, ohne dass jedoch bezüglich der Höhe der Verzinsung weitere Anforderungen bestehen. Es besteht daher im Ergebnis ein "Wahlrecht", eine Verzinsungsabrede mit dem Darlehensgeber zu treffen, mit der Folge, dass eine Abzinsung des Darlehens nicht zu erfolgen hat oder auf eine Verzinsung generell zu verzichten, so dass eine gesetzliche Abzinsung vorzunehmen wäre.
Eine spätere unbedingte Verzinsungsabrede führt zu einer verzinslichen Verbindlichkeit i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG, die zum Zeitpunkt des folgenden Bilanzstichtages zu berücksichtigen ist. Dies gilt aufgrund des Zwecks der Vorschrift auch dann, wenn die Verzinsung erst nach dem Bilanzstichtag erfolgt. Eine Abzinsung hat dann zu unterbleiben, wenn die Vertragspartner eine Verzinsung vereinbaren, da der Ansatz eines Abzinsungsgewinns den wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht entspricht. Überdies sollte nach den Gesetzesmaterialien eine Abzinsung nur deshalb erfolgen, um einen Zinsvorteil zu verhindern und den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu verwirklichen. Bei Vereinbarung einer unbedingten Verzinsung entfällt dieser Zinsvorteil. Da bereits bei der Ermittlung des anzusetzenden Betrags für die Verbindlichkeit (= Zeitpunkt des Bilanzstichtages) Zinsaspekte der Zukunft zu berücksichtigen sind, greift zu diesem Zeitpunkt auch die Befreiung vom Abzinsungsgebot.
Im Streitfall lag daher aufgrund der getroffenen Vereinbarung vom November 2010 spätestens ab diesem Zeitpunkt eine verzinsliche Verbindlichkeit vor, deren Verzinsungsbeginn nur nach dem Bilanzstichtag erfolgte.
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