10.08.2012

Zur Berücksichtigung als Kind trotz Vollzeitbeschäftigung

Die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes schließt dessen Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b oder c EStG nicht aus. Eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG kommt nicht in Betracht, wenn sich hinsichtlich der Einkünfte keine tatsächlichen Änderungen gegenüber der Annahme in der Prognose ergeben haben und allein die Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit in Folge einer geänderten Rechtsauffassung zur nachträglichen Feststellung der Grenzbetragsüberschreitung geführt hat.

BFH 15.3.2012, III R 20/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger bezog Kindergeld für seinen im Jahr 1987 geborenen Sohn (S), der seit September 2005 eine Ausbildung zum Fertigungsmechaniker absolvierte. Das Ausbildungsverhältnis endete am 30.6.2008. Ab Juli 2008 wurde S von seinem bisherigen Ausbildungsbetrieb für zwei Monate in ein Arbeitsverhältnis mit Vollzeitbeschäftigung übernommen. Bereits ab September 2008 befand sich S wieder in Berufsausbildung, da er eine Berufsschule besuchte.

Der Kläger bezog für S laufend Kindergeld. Im September 2008 beantragte er die Weiterzahlung des Kindergeldes. Die beklagte Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 4 EStG ab Januar 2008 auf. Sie war der Ansicht, die voraussichtlich im Jahr 2008 anfallenden Einkünfte und Bezüge des S einschließlich der Vergütung aus der Vollzeiterwerbstätigkeit würden über dem Jahresgrenzbetrag von 7.680 € nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG liegen.

Das FG gab der Klage, mit der sich der Kläger gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar bis Juni 2008 sowie ab September 2008 wendet, statt. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um darüber entscheiden zu können, ob dem Kläger Kindergeld für S zusteht.

Bei der Gewährung von Kindergeld dürfen die Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht den Grenzbetrag überschreiten, der sich im Jahr 2008 auf 7.680 € belief (§ 32 Abs. 4 S. 2 EStG). Im Streitfall war S im gesamten Jahr als Kind zu berücksichtigen, sofern die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nicht überschritten haben sollten. In den Monaten Januar bis Juni 2008 sowie in den Monaten September bis Dezember 2008 wurde S für einen Beruf ausgebildet (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), in den beiden Monaten Juli und August 2008 erfüllte er den Tatbestand nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG (Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten), möglicherweise auch den nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG (Warten auf einen Ausbildungsplatz).

Die in den Monaten Juli und August 2008 ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit steht einer Berücksichtigung des S als Kind nicht entgegen. Nach dem Senatsurteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982, das erst nach Ergehen des angefochtenen Urteils veröffentlicht worden ist, schließt die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes dessen Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b oder c EStG nicht aus. Das FG hat - aus seiner Sicht zu Recht - die Einkünfte und Bezüge des S nur für die streitigen Zeiträume Januar bis Juni 2008 sowie September bis Dezember 2008 ermittelt. Es wird im zweiten Rechtsgang die Einkünfte und Bezüge für das gesamte Jahr festzustellen haben, um über den Kindergeldanspruch entscheiden zu können. Der Umstand, dass der Klageantrag die beiden Monate Juli und August 2008 nicht umfasst, ändert hieran nichts.

Bei seiner Entscheidung wird das FG zu berücksichtigen haben, dass - bei einem Überschreiten des Jahresgrenzbetrags - eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab Januar 2008 nach § 70 Abs. 4 EStG nicht in Betracht kommt, wenn sich hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge keine tatsächlichen Änderungen gegenüber der Annahme in der Prognose ergeben haben und allein die Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit in Folge einer geänderten Rechtsauffassung zur nachträglichen Feststellung der Grenzbetragsüberschreitung geführt hat.

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