14.11.2017

Zur Berücksichtigung von Verlusten aus der Veräußerung unentgeltlich erworbener Kapitalgesellschaftsanteile

Die bei Verträgen unter fremden Dritten bestehende Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts ist im Fall der Übertragung eines Kapitalgesellschaftsanteils, für den der Zuwendende hohe Anschaffungskosten getragen hat, nicht alleine wegen eines Freundschaftsverhältnisses zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger als widerlegt anzusehen.

BFH 9.5.2017, IX R 1/16
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im Streitjahr 2010 kurzzeitig Gesellschafter der A-GmbH. Sie hielt im Streitjahr einen Anteil von 66,6 % an der B-GmbH, die wiederum zu 100 % beherrschende Gesellschafterin der C-AG war. Die A-GmbH war im Jahr 2001 durch D als Alleingesellschafter gegründet worden. D hielt zu Beginn des Streitjahres 2010 75,8 % der Gesellschaftsanteile an der A-GmbH. Der Kläger ist seit Mai 2010 Vorsitzender des Aufsichtsrates der C-AG. Über seine Tätigkeit für das Jahr 2010 rechnete er im November 2011 i.H.v. 2.860 € ab. Der Kläger war bis Mitte 2010 in leitender Funktion im E-Konzern tätig und schied dort gegen eine Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Die Familie D und die Familie des Klägers verbindet ein langjähriges, aus der Nachbarschaft gewachsenes freundschaftliches Verhältnis. Der Kläger kennt D seit dessen Kindestagen. Mit notariellem Vertrag über die Schenkung und Übertragung eines Geschäftsanteils von Dezember 2010 übertrug D einen Geschäftsanteil an der A-GmbH im Nennwert von 4.000 € auf den Kläger. Die Anschaffungskosten des D für diesen Geschäftsanteil betrugen rd. 1,46 Mio. €. Mit notariellem Vertrag von Dezember 2010 veräußerte der Kläger den Geschäftsanteil an der A-GmbH zu einem Kaufpreis von 400 € an die F-GmbH, die er wenige Tage zuvor gegründet hatte und deren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer er ist. Der gemeine Wert des Geschäftsanteils an der A-GmbH betrug zum Zeitpunkt der Übertragung auf die F-GmbH 400 €. Schenkungsteuerlich ist der Anteil mit 1.050 € angesetzt worden. Dieser Wert wurde auf der Basis der Bilanz der A-GmbH zum 31.12.2009 ermittelt.

Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger aus der Veräußerung des Anteils einen Verlust i.H.v. rd. 885.000 € geltend. Der Kläger trug vor, dass die Schenkung ausschließlich aus einer persönlichen freundschaftlichen Beziehung zwischen D und dem Kläger resultiere. Dabei habe des Klägers wirtschaftliche Kompetenz auch eine Rolle gespielt. D habe ein Interesse daran gehabt, ihn als Gesellschafter der A-GmbH zu gewinnen. Das Finanzamt setzte statt des geltend gemachten Verlusts um 400 € erhöhte Einkünfte aus Kapitalvermögen an.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Die Gründe:
Das FG hat zu Unrecht das Verhältnis zwischen Freunden typisierend mit demjenigen von Verwandten gleichgesetzt und deshalb die Vermutung für das Vorliegen einer entgeltlichen Übertragung des Gesellschaftsanteils als widerlegt angesehen.

Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG ist die Übertragung von Anteilen gegen Entgelt. Entgeltlich ist die Übertragung von Gesellschaftsanteilen, wenn ihr eine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht. Das Gegenstück zur entgeltlichen Veräußerung ist die unentgeltliche Übertragung von Anteilen (§ 17 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 5 und 6 Buchst. a EStG), die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Übertragende dem Empfänger eine freigiebige Zuwendung machen will. Letzteres ist bei Verträgen unter fremden Dritten im Allgemeinen nicht anzunehmen, sofern nicht Anhaltspunkte für eine Schenkungsabsicht des übertragenden Vertragspartners bestehen. Deshalb spricht insoweit eine (widerlegbare) Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts.

Bei einander nahestehenden Personen wird demgegenüber der Nachweis der Unentgeltlichkeit erleichtert; denn bei ihnen kann nicht unterstellt werden, dass sie Leistung und Gegenleistung im Regelfall nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausgehandelt haben. Was unter "einander nahestehenden Personen" zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht definiert. Maßgebend ist, ob unter Berücksichtigung der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis angenommen werden kann.

Vorliegend hat das FG das Verhältnis zwischen Freunden ohne weitere Feststellungen mit demjenigen von Verwandten gleichgesetzt und daraus abgeleitet, dass die Vermutung für das Vorliegen einer entgeltlichen Übertragung nicht anwendbar sei. Eine derartige Auslegung verkennt jedoch die Reichweite dieses Erfahrungssatzes. Zwar kann ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis ausnahmsweise im Einzelfall auch bei nicht verwandtschaftlich verbundenen Personen gegeben sein. In einem solchen Fall bedarf es aber weiterer besonderer, objektiver Anhaltspunkte, aus denen auf die Entkräftung der Vermutung einer entgeltlichen Übertragung geschlossen werden kann. Solche Umstände hat das FG hier jedoch nicht festgestellt.

Aufgrund der vorliegenden atypischen Umstände ist der für Zwecke der Besteuerung insoweit allein maßgebende wirtschaftliche Gehalt des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts ohne Bindung an eine Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung des notariell beurkundeten "Vertrags über die Schenkung und Übertragung" zu prüfen. Denn diese rein formale Vermutung war im Streitfall aufgrund der behaupteten außergewöhnlichen Sachverhaltsgestaltung widerlegt. Dass den Zuwendenden und den Steuerpflichtigen eine langjährige, aus der Nachbarschaft erwachsene Freundschaft verbindet, stellt alleine keinen nachvollziehbaren Grund dafür dar, dass eine unentgeltliche Übertragung stattgefunden haben soll.

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