03.05.2018

Zur Berufung auf das Unionsrecht bei Bezug von Reisevorleistungen aus einem anderen Mitgliedstaat der EU

Ein inländischer Reiseveranstalter kann sich hinsichtlich der von ihm für sein Unternehmen bezogenen Reisevorleistungen eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässigen Unternehmers, für die er als Leistungsempfänger die Steuer schuldet, unmittel-bar auf die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Margenbesteuerung (Art. 306 ff. MwStSystRL) berufen mit der Folge, dass er entgegen dem nationalen Recht keine Steuer für die erbrachten Leistungen schuldet, weil diese danach im Inland nicht steuerbar sind.

Kurzbesprechung
BFH v. 13.12.2017 - XI R 4/16

UStG § 3a, § 13b, § 25 Abs. 1

MwStSystRL Art. 306ff.

Die Steuerpflichtige, eine GmbH, war in den Streitjahren 2009 bis 2012 als Reiseveranstalterin unternehmerisch tätig. Sie hatte in den Streitjahren bei einem Unternehmen mit Sitz in Österreich Reisevorleistungen zur Durchführung von in der Bundesrepublik Deutschland ausgeführten Radtouren bezogen. Dass Unternehmen rechnete über diese Leistungen, die die Unterbringung, Verpflegung und Beförderung der Reisenden sowie die Vermietung von Fahrrädern beinhalteten, gegenüber der Steuerpflichtigen ohne Ausweis von Umsatzsteuer ab.

In den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre unterwarf die Steuerpflichtige, die gegen-über ihren Kunden als Reiseveranstalterin im eigenen Namen und für eigene Rechnung auftrat, den Differenzbetrag zwischen Reisepreis und den Aufwendungen für die in Anspruch genommenen Reisevorleistungen gemäß § 25 UStG der Umsatzsteuer. In den Ausgangsrechnungen wies die Steuerpflichtige darauf hin, dass die Umsatzbesteuerung nach der gesetzlichen Margenbesteuerung erfolge. Umsatzsteuerrechtliche Folgerungen aus den von dem österreichischen Unternehmen erbrachten Reisevorleistungen zog die Steuerpflichtige in den Streitjahren nicht.

Das FA ging dagegen davon aus, dass der Ort der von dem Unternehmen erbrachten Reise-vorleistungen im Inland liege und die Steuerpflichtige die Umsatzsteuer hierfür als Leistungs-empfängerin schulde. Es setzte daher mit Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden die Umsatz-steuer für die Streitjahre dementsprechend fest.

Das FG entschied, dass sich die Steuerpflichtige hinsichtlich der von ihr für ihr Unternehmen als Reisevorleistungen i.S. des § 25 Abs. 1 Satz 5 UStG bezogenen sonstigen Leistungen, die das in Österreich ansässige Unternehmen erbracht hat, unmittelbar auf die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Margenbesteuerung der Art. 306 ff. MwStSystRL berufen kann. Dies hat zur Folge, dass diese Leistungen nicht steuerbar sind und die Steuerpflichtige hierfür ent-gegen dem nationalen Recht keine Steuer als Leistungsempfängerin schuldet.

Diese Rechtsauffassung hat der BFH im Revisionsverfahren bestätigt und entschieden, dass die fraglichen Reisevorleistungen nach Bestimmungen des Unionsrechts über die Margenbesteuerung abweichend von der nationalen Rechtslage im Inland nicht steuerbar sind.

Bewirkte Reiseleistungen gelten als eine einheitliche Dienstleistung (Art. 307 Satz 1 MwSt-SystRL), die in dem Mitgliedstaat besteuert wird, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat (Art. 307 Satz 2 MwStSystRL). Bezogen auf den Streitfall folgt daraus, dass die für das Unternehmen der Steuerpflichtigen ausgeführten Reiseleistungen - der unionsrechtlich maßgebenden "Kundenmaxime" entsprechend - unter die Sonderregelung für Reisebüros gemäß Art. 306 ff. MwStSystRL fallen. Die vom österreichischen Unternehmen erbrachten und jeweils als einheitliche Dienstleistung zu qualifizierenden Reiseleistungen sind in Höhe der von ihr nach Maßgabe des Art. 308 MwStSystRL erzielten Marge gemäß Art. 307 Satz 2 MwStSystRL allein in Österreich zu besteuern. Danach schuldet die Steuerpflichtige als Leistungsempfängerin die Steuer für die fraglichen Reiseleistungen, die sie als Reisevorleistungen bezogen hat, nicht. Denn diese Leistungen sind gemessen am Unionsrecht in Deutschland nicht steuerbar.

Die Steuerpflichtige kann einen Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen Sonderregelung für Reisebüros gemäß Art. 306 ff. MwStSystRL gegenüber der richtlinienwidrigen Regelung in § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG geltend machen. Für die Geltendmachung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist es unbeachtlich, dass der sich auf unionsrechtliche Bestimmungen berufende Steuerpflichtige selbst nicht Steuerschuldner, sondern (vorsteuerabzugsberechtigter) Abnehmer einer Lieferung ist, ohne die Steuer hierfür als Leistungsempfänger nach § 13b UStG zu schulden. In Bezug auf den Anwendungsvorrang ist (allein) die Minderung der den Unternehmer treffenden Steuerschuld maßgeblich.

Danach kann sich die Steuerpflichtige, soweit sie als Leistungsempfängerin die Steuer für die von ihr bezogenen Reisevorleistungen nach den Vorschriften des nationalen Rechts schuldet, hinsichtlich der Besteuerung dieser Leistungen unmittelbar auf Art. 306 ff. MwStSystRL be-rufen.

Der unmittelbaren Berufung der Steuerpflichtigen auf das Unionsrecht steht auch nicht entge-gen, dass sie über keine Rechnung mit einem § 14a Abs. 6 Satz 1 UStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG entsprechenden Hinweis auf die Sonderregelung für Reisebüros verfügt. Die besondere Verpflichtung in § 14a Abs. 6 UStG betrifft zum einen nur da in Österreich ansässige leistende Unternehmerin. Zum anderen findet sie auf vor dem 30. Juni 2013 ausgeführte Leistungen keine Anwendung. Im Übrigen begehrt die Steuerpflichtige keinen Vorsteuerabzug, sondern wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme als Steuerschuldnerin.

BFH, Urteil vom 13.12.2017, XI R 4/16, veröffentlicht am 2.5.2018

Verlag Dr. Otto Schmidt
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