Zur Besteuerung von Reihengeschäften bei fehlender USt-ID des Erwerbers
EuGH 27.9.2012, C-587/10Die Klägerin ist eine GmbH, die im November 1998 zwei Steinzerkleinerungsmaschinen an ein US-amerikanisches Unternehmen (A.) mit Sitz in den USA verkauft hatte. Trotz Niederlassung in Portugal war A. für umsatzsteuerrechtliche Zwecke in keinem Mitgliedstaat registriert. Die Klägerin forderte die A. auf, ihr ihre USt-ID mitzuteilen. Die A. veräußerte die Maschinen allerdings sogleich an ein finnisches Unternehmen weiter und teilte der Klägerin dessen USt-ID mit.
Die Maschinen wurden im Auftrag von A. bei der Klägerin abgeholt und nach Finnland verschifft. Die Klägerin erteilte der A. über die Lieferung der Maschinen eine Rechnung ohne USt, in der sie die USt-ID des finnischen Unternehmens angab. Das Finanzamt betrachtete die Lieferung der Klägerin an die A. als steuerpflichtig, weil A. als Erwerberin keine USt-ID des Bestimmungsmitgliedstaats oder eines anderen Mitgliedstaats verwendet habe.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin legte der BFH den Fall dem EuGH mit der Frage zur Entscheidung vor, ob Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen ist, dass er es der Finanzverwaltung eines Mitgliedstaats nicht verwehrt, die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung davon abhängig zu machen, dass der Lieferer die USt-ID des Erwerbers mitteilt. Es bat außerdem darum, klarzustellen, ob der Umstand, dass der Erwerber in einem Drittstaat ansässig ist, ohne sonst in einem Mitgliedstaat registriert zu sein, oder der Umstand, dass der Lieferer nachweist, dass der Erwerber den innergemeinschaftlichen Erwerb angemeldet hat, zu einer anderen Antwort auf diese Fragen führen können.
Der EuGH hat daraufhin für Recht erkannt, dass Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er es der Finanzverwaltung eines Mitgliedstaats nicht verwehrt, die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung davon abhängig zu machen, dass der Lieferer die USt-ID des Erwerbers mitteilt; dies gilt allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Steuerbefreiung nicht allein aus dem Grund verweigert wird, dass diese Verpflichtung nicht erfüllt wurde, wenn der Lieferer redlicherweise, und nachdem er alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, diese ID nicht mitteilen kann und er außerdem Angaben macht, die hinreichend belegen können, dass der Erwerber ein Steuerpflichtiger ist, der bei dem betreffenden Vorgang als solcher gehandelt hat.
Die Gründe:
Die Fragen des vorlegenden Gerichts waren so zu verstehen, dass sie die Beweismodalitäten betrafen, die dem Lieferer für den Nachweis, dass die Bedingung in Bezug auf die Steuerpflichtigeneigenschaft des Erwerbers erfüllt ist, vorgeschrieben werden können.
Insoweit hat der EuGH bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten für die Frage zuständig sind, welche Beweise die Steuerpflichtigen vorlegen können, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu gelangen. Außerdem wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Lieferer von Gegenständen den Beweis erbringen muss, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie - einschließlich der von den Mitgliedstaaten aufgestellten Bedingungen zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch - erfüllt sind.
Ferner können die Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie in der Fassung des Art. 28h dieser Richtlinie Maßnahmen erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, unter dem Vorbehalt, dass die Maßnahmen insbesondere nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Die Maßnahmen dürfen somit nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer, die ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, in Frage stellen würden. Es würde nämlich über das Erforderliche hinausgehen, wenn das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig gemacht würde, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfüllt sind.
Infolgedessen war es im vorliegenden Fall zwar legitim, von einem Lieferer zu verlangen, dass er redlich ist und alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreift, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Die Klägerin hatte die A. um deren ID ersucht. Da sie keine besaß, teilte sie ihr die ID des finnischen Zweiterwerbers mit. Somit hatte offenbar keiner dieser Beteiligten betrügerisch gehandelt. Der Umstand, dass der Erwerber in einem Drittstaat ansässig ist, kann grundsätzlich nicht geeignet sein, eine andere Antwort zu rechtfertigen. Denn weder in der Übergangsregelung der Sechsten Richtlinie für innergemeinschaftliche Lieferungen noch in der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung wird nach dem Ort, an dem der Erwerber ansässig ist, unterschieden.
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