09.11.2023

Zur Feststellung der Zuordnung des Arbeitnehmers im steuerlichen Reisekostenrecht

Eine (stillschweigende) Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers ergibt sich nicht allein daraus, dass der Arbeitnehmer die Einrichtung (aus der maßgeblichen Sicht ex ante) nur gelegentlich zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit aufsuchen muss, im Übrigen aber seine Arbeitsleistung ganz überwiegend außerhalb der festen Einrichtung erbringt (Anschluss an das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 9, Beispiel 1 und Abwandlung).

Kurzbesprechung
BFH v. 14.9.2023 - VI R 27/21

EStG § 6 Abs 1 Nr. 4 S 2, § 8 Abs 2 S 2, § 8 Abs 2 S 3, § 9 Abs 4 S 1, § 9 Abs 4 S 2, § 9 Abs 4 S 3, § 9 Abs 4 S 4, § 9 Abs 4a

Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.

Eine solche Zuordnung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Nach der gesetzlichen Konzeption ‑ und der die Neuordnung des steuerlichen Reisekostenrechts prägenden Grundentscheidung ‑ wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits(vertrag)- oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien.

Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, nicht an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.

Im Streitfall war das FG zutreffend davon ausgegangen, dass der Steuerpflichtige der Niederlassung des Unternehmens nicht zugeordnet war. Eine Klausel im Arbeitsvertrag bedeutete lediglich, dass der Steuerpflichtige einem Gruppenleiter zugeordnet beziehungsweise unterstellt war. Festlegungen über Anwesenheitszeiten im Büro oder an anderen Arbeitsorten waren arbeitsvertraglich nicht getroffen worden.

Die Formulierung im Arbeitsvertrag des Steuerpflichtigen mit der Angabe des Einstellungsorts war (nur) dahin zu verstehen, dass der Steuerpflichtige im Bereich der in Rede stehenden Niederlassung eingesetzt werden solle. Die Zuordnung zu einer (bestimmten) ortsfesten Einrichtung war damit aber nicht verbunden. Der Steuerpflichtige war der Niederlassung vielmehr lediglich aus organisatorischen Gründen zugeordnet, ohne dass damit auch eine Festlegung des Tätigkeitsorts verbunden war. Dies stellt keine Zuordnung des Arbeitnehmers im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG dar.

Auch war eine Zuordnung des Steuerpflichtige durch schlüssiges Verhalten zu verneinen. Haben die Arbeitsvertragsparteien ‑ wie im Streitfall ‑ davon abgesehen, den Steuerpflichtigen einer betrieblichen Einrichtung durch (ausdrückliche schriftliche oder mündliche) Festlegungen, Absprachen oder Weisungen zuzuordnen, ergibt sich eine Zuordnung durch schlüssiges Verhalten nicht allein aufgrund der Tatsache, dass der Steuerpflichtige einzelne, zu seinem Berufsbild gehörende Tätigkeiten in einer bestimmten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers erbringt oder erbringen muss.

Allein aus dem Umstand, dass der Arbeitnehmer eine (bestimmte) betriebliche Einrichtung zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gelegentlich aufsucht oder aufzusuchen hat, kann nicht auf eine stillschweigende Zuordnung des Arbeitnehmers zu dieser Einrichtung geschlossen werden. Das gilt erst recht, wenn ‑ wie im Streitfall ‑ der Steuerpflichtige weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet worden ist.

Der Arbeitgeber hatte den Steuerpflichtigen der Niederlassung auch nicht dadurch im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG (konkludent) zugeordnet, dass sie beim Lohnsteuer-Abzug für die private Nutzung des dem Steuerpflichtigen überlassenen Dienstwagens die 0,03 %-Regelung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG angewendet hatte. Zwar kann der Anwendung der 0,03 %-Regelung im Einzelfall eine gewisse Indizwirkung für eine Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ersten Tätigkeitsstätte zukommen. Mit der Durchführung des Lohnsteuer-Abzugs ist aber keine arbeitsrechtliche Festlegung oder Weisung gegenüber dem Arbeitnehmer in Bezug auf dessen Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung verbunden. Denn der Lohnsteuer-Abzug dokumentiert insoweit grundsätzlich auch keine anderweitig erfolgte Zuordnungsentscheidung. Vielmehr erfüllt der Arbeitgeber damit (nur) seine lohnsteuerrechtlichen Pflichten gegenüber dem FA.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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