Zur gewerbesteuerlichen Organschaft zwischen einem in Großbritannien ansässigen Organträger und einer inländischen Organgesellschaft
BFH 9.2.2011, I R 54/10, 55/10Die klagende GmbH ist kraft Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der C-GmbH. Alleinige Gesellschafterin der Klägerin war seit dem 1.1.1999 (Streitjahr) eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts (public limited company - plc -), die C-plc, mit Sitz und Geschäftsleitung in Großbritannien. Die Klägerin wiederum hielt im Streitjahr 96,5 Prozent der Anteile an der C-GmbH. Sämtliche Gesellschaften waren im Geschäftsfeld der Telekommunikation und deren Aufbau und Betrieb tätig.
In den Vorjahren hatte die C-GmbH Darlehen bei der C-plc aufgenommen, die zum 1.1.1999 die Klägerin als Darlehensgeberin übernahm. Zum 31.12.1999 belief sich der Stand der Darlehen mit einer Laufzeit von mehr als zwölf Monaten auf insgesamt rd. 570 Mio. DM. Im Streitjahr fielen dafür Darlehenszinsen i.H.v. rd. 40,8 Mio. DM an. Das Finanzamt rechnete die Darlehenszinsen dem Gewinn der C-GmbH als sog. Dauerschuldzinsen gem. § 8 Nr. 1 GewStG 1999 hinzu. Der danach ermittelte Gewerbesteuermessbetrag betrug Null. Der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31.12.1999 wurde auf rd. 71,7 Mio. DM festgestellt.
Das FG wies die Klagen, mit denen die C-GmbH begehrte, erklärungsgemäß als Organgesellschaft der Klägerin behandelt zu werden, ab. Auf die gem. § 73 Abs. 1 i.V.m. § 121 S. 1 FGO zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Revisionen der Klägerin, hob der BFH die Urteile auf und gab den Klagen statt.
Die Gründe:
Das FG hat zwar zu Recht ein - tatbestandlich nicht genügendes - Organschaftsverhältnis nur zwischen der C-GmbH und der britischen C-plc, nicht aber zwischen der Klägerin und der C-GmbH angenommen. Es hat jedoch zu Unrecht vertreten, dass dieses Ergebnis - und damit die Nichtanerkennung eines sog. gewerbesteuerlichen Organschaftsverhältnisses - abkommensrechtlichen Anforderungen standhalte.
Verpflichtet sich eine inländische Kapitalgesellschaft, ihren ganzen Gewinn als Organgesellschaft an ein anderes gewerbliches Unternehmen als Organträger abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft nicht dieser, sondern unter bestimmten Voraussetzungen dem Organträger zuzurechnen. Voraussetzung ist u.a., dass der Organträger die Mehrheit der Anteile an der Organgesellschaft hält und überdies seine Geschäftsleitung, früher zusätzlich auch noch seinen Sitz, im Inland hat. Das gilt im Grundsatz für die Körperschaftsteuer (nach §§ 14 ff. KStG) ebenso wie für die Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 2 S. 2 GewStG).
Fraglich ist allerdings, ob der strikte Inlandsbezug der Organschaft den Anforderungen des Unions- und des Abkommensrechts uneingeschränkt standhält. Der BFH hat letzteres - die Übereinstimmung mit dem Abkommensrecht - für die Gewerbesteuer verneint. Der gesetzlich erforderliche Inlandsbezug des Organträgers verstößt gegen das völkerrechtlich verbindlich in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vereinbarte Diskriminierungsverbot gegenüber solchen inländischen Kapitalgesellschaften, deren Anteile mehrheitlich nicht von einem im Inland, sondern von einem in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Unternehmen gehalten werden.
Im Streitfall war die gewerbesteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin und der C-plc damit im Ergebnis anzuerkennen. Das führt dazu, dass die persönliche Gewerbesteuerpflicht der Organgesellschaft für die Dauer der Organschaft dem Organträger zugerechnet wird. Deshalb ist der Gewerbesteuermessbetrag für die zum Organkreis gehörenden Gewerbebetriebe - das sind die Gewerbebetriebe des Organträgers und der Organgesellschaft - allein gegenüber dem Organträger festzusetzen.
Hintergrund:
Das Urteil ist noch zu der früheren Regelungslage im GewStG und den danach bestehenden tatbestandlichen Erfordernissen ergangen. Mittlerweile bedarf es im Gewerbesteuerrecht - nicht anders als schon seit jeher im Körperschaftsteuerrecht - zusätzlich eines gesellschaftsrechtlichen Gewinnabführungsvertrages, um ein steuerliches Organschaftsverhältnis begründen zu können. Es wird derzeit diskutiert, ob das Verlangen nach einem solchen Vertrag in Einklang mit Unionsrecht steht.
Auch deswegen wird im gegenwärtigen Koalitionsvertrag zwischen den Regierungsparteien die Abschaffung der Organschaft zugunsten eines Gruppenbesteuerungssystems ausdrücklich als "mittelfristiges Ziel" benannt. Problematisch ist dabei vor allem die grenzüberschreitende "Öffnung" eines solchen Systems, die möglicherweise Gefahren für die öffentlichen Haushalte mit sich bringen könnte. In Anbetracht dessen kommt der Entscheidung des BFH aktuelle und besondere Bedeutung zu.
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