11.01.2018

Zur Kostentragung bei einer Entschädigungsklage

Um eine Entschädigungsklage erfolgreich erheben zu können, bedarf es keiner erfolglosen vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung. Entscheidet sich ein Entschädigungskläger aber unmittelbar zur Klageerhebung, trägt er das Risiko, die Kosten des Entschädigungsverfahrens gem. § 93 ZPO tragen zu müssen, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt.

BFH 29.11.2017, X K 1/16
Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt Entschädigung nach § 198 des GVG für das ab dem 10.7.2012 anhängige und durch wechselseitige Erledigungserklärungen der Beteiligten am 7.4.2016 beendete Verfahren 13 K 2139/12 vor dem FG Köln. Die Klägerin ist eine GmbH, die ein Fachgeschäft zum Verkauf von Materialien aller Art für den Künstlerbedarf betreibt. Dem Geschäft wurde ab Frühjahr 2007 ein Kundencafé angegliedert. Gegenstand des von der Klägerin geführten FG-Verfahrens waren die Gewinnerhöhungen 2004 bis 2007 im Anschluss an eine Außenprüfung für diese Jahre. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage. Beim FG kam es am 1.1.2013 aufgrund einer Änderung des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans zu einem Wechsel des Berichterstatters. Mit Schriftsatz vom 9.1.2013 nahm die Klägerin zur Klageerwiderung des Finanzamts Stellung. Dieser Schriftsatz wurde dem Finanzamt am 16.1.2013 mit der Bitte um Stellungnahme übersandt.

Im Januar 2013 erhob die Klägerin ihre erste Verzögerungsrüge, da Anlass zur Besorgnis bestehe, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit, die nach der Rechtsprechung des EGMR regelmäßig ein Jahr betrage, abgeschlossen werde. Eine Antwort des FG erhielt sie nicht. Im Februar 2013 äußerte sich das Finanzamt zu einzelnen Streitpunkten. Im August 2013 erhob die Klägerin ihre zweite Verzögerungsrüge. Zu der vor mehr als sechs Monaten bereits erhobenen Verzögerungsrüge liege keine erkennbare Antwort des Gerichts vor. Daraufhin teilte der Vorsitzende des betroffenen Senats der Klägerin im September 2013 mit, in Anbetracht der erheblichen Belastung des Senats mit älteren und komplexen Verfahren sowie aufgrund mehrfacher Berichterstatterwechsel sei eine kurzfristige Terminierung nicht zu erwarten. Der Senat sei bestrebt, das Verfahren im Jahr 2014 abzuschließen. Eine Verfahrensförderung im Jahr 2014 ist indes nicht zu erkennen. Am Januar 2015 kam es erneut zu einem Wechsel des Berichterstatters. Im Juli 2015 erhob die Klägerin ihre dritte Verzögerungsrüge.

Die Berichterstatterin antwortete im Juli 2015 und wiederholte im Wesentlichen die Begründungen des Vorsitzenden von September 2013. Sie beabsichtige eine kurzfristige Bearbeitung des Verfahrens mit dem Ziel einer Verfahrensbeendigung im Jahr 2015. Die für Februar 2016 terminierte Beweisaufnahme musste verschoben werden. Im Rahmen der nunmehr im April 2016 stattfindenden mündlichen Verhandlung verständigten sich die Beteiligten und erklärten den Rechtsstreit wechselseitig für erledigt. Im Mai 2016 erhob die Klägerin Entschädigungsklage. Sie trägt vor, das FG hätte gut zwei Jahre nach der Klageerhebung im Juli 2012, also im August 2014, mit der eigentlichen Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Tatsächlich sei dies aber erst im Dezember 2015 geschehen. Daher ergebe sich ein überlanges Gerichtsverfahren im Umfang von 16 Monaten. Die zu leistende Entschädigung betrage 100 € je Monat, also 1.600 €. Der Beklagte erkannte den geltend gemachten Anspruch i.H.v. 1.000 € an und erklärte den Rechtsstreit insoweit für erledigt. Die Klägerin stimmte der vom Beklagten ausgesprochenen teilweisen Erledigung zu und beantragte darüber hinaus, den Beklagten zu verurteilen, wegen der überlangen Dauer des Verfahrens eine weitere Entschädigung von 600 € zu zahlen.

Der BFH gab der Klage statt.

Die Gründe:
Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache in Bezug auf die Entschädigung für eine Verzögerung von zehn Monaten i.H.v. 1.000 € infolge der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten erledigt. In Bezug auf den nicht in der Hauptsache erledigten Teil des Rechtsstreits ist die Klage zulässig und begründet. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war in einem weiteren Umfang von sechs Monaten unangemessen. Hierfür ist von dem Beklagten eine Entschädigung i.H.v. insgesamt 600 € zu zahlen.

Das Ausgangsverfahren war hier insgesamt um 16 Monate verzögert. Dem Entschädigungsanspruch der Klägerin steht die im Regelfall lediglich begrenzte Rückwirkung einer wirksamen Verzögerungsrüge nicht entgegen. Die unbeschränkte Rückwirkung von Verzögerungsrügen ist zwar zu verneinen, da diese dem präventiven Aspekt des Gesetzeszwecks nicht entspricht, diesen vielmehr leerlaufen lässt. Um dennoch die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsprechung im Bereich der Entschädigungsklagen zu verbessern, ist es notwendig, den in der Rechtspraxis nur schwer fassbaren Zeitraum eines unzulässigen "Duldens und Liquidierens" durch eine Vermutungsregel zu typisieren. Dabei ist für den Regelfall einen Zeitraum von gut sechs Monaten, für den eine Verzögerungsrüge zurückwirkt, als angemessen und zumutbar anzusehen. Wenn der Kläger vorliegend auf die Ankündigung des Gerichts vertraut, das Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussichtlich abzuschließen, und ihm damit die Möglichkeit gibt, das Verfahren den eigenen Planungen entsprechend zu betreiben, ist darin kein Zeichen eines unzulässigen "Duldens und Liquidierens" zu erkennen. In einem solchen Fall kann eine Verzögerungsrüge länger als nur den Regelzeitraum von sechs Monaten zurückwirken.

Die Kosten des Verfahrens waren, auch soweit die Rechtssache in der Hauptsache erledigt ist, dem Finanzamt aufzuerlegen, denn dem Entschädigungsbegehren der Klägerin war materiell-rechtlich voll entsprochen worden. Es bedarf zwar keiner erfolglosen vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung, um eine Entschädigungsklage erfolgreich erheben zu können, denn der Entschädigungsanspruch kann nach allgemeinen Grundsätzen außergerichtlich gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und befriedigt werden. Entscheidet sich ein Entschädigungskläger aber unmittelbar zur Klageerhebung, trägt er das Risiko, die Kosten des Entschädigungsverfahrens gem. § 93 ZPO tragen zu müssen, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt.

Im konkreten Streitfall war es jedoch aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls unbillig, der Klägerin die Kosten für den erledigten Teil des Rechtsstreits aufzuerlegen. Denn es gab im Zeitpunkt der Klageerhebung noch keine gerichtliche Entscheidung, in der dem Entschädigungskläger die Kosten des Entschädigungsverfahrens gem. § 93 ZPO auferlegt wurden, weil der Beklagte sofort anerkannt hatte. Dem Prozessvertreter der Klägerin wurde zudem im Jahr 2012 im Rahmen eines anderen Entschädigungsbegehrens von dem Vorsitzenden des dort betroffenen Senats desselben FG schriftlich mitgeteilt, ihm werde anheimgestellt, das Entschädigungsbegehren durch Klage beim BFH zu verfolgen. Das FG sei für die Festsetzung von Entschädigungen gem. § 198 GVG nicht zuständig.

Bei dem Prozessvertreter musste daher aufgrund der klaren Aussage in dem Schreiben aus dem Jahr 2012 der Eindruck entstehen, diese Auffassung sei abgestimmt und werde im FG geteilt. Unter diesen konkreten Umständen des Einzelfalles erschien es dem BFH unbillig, von der Klägerin im Jahr 2016 bei diesem konkreten Gericht erneut eine vorherige Zahlungsaufforderung zu verlangen, um der Kostenpflicht bei einem sofortigen Anerkenntnis zu entgehen. Somit hatte der das Finanzamt auch insoweit die Kosten gem. § 138 Abs. 1 FGO zu tragen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BFH online
Zurück