Zur kurzfristigen Vermietung von Räumlichkeiten an Prostituierte zu gewerblichen Zwecken
Niedersächsisches FG 22.8.2018, 11 K 18/18Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die entgeltliche Überlassung von Wohnungen an Prostituierte für jeweils eine Woche zum Zwecke des Wohnens und des Anbietens sexueller Dienstleistungen nach § 4 Nr. 12 UStG steuerbefreit ist. Der Kläger übt seine unternehmerische Tätigkeit als Vermieter von Wohnungen an Prostituierte selbständig in Form eines Einzelunternehmens aus. Zu Beginn seiner Tätigkeit im Januar 2013 nahm er zulässigerweise die Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 UStG in Anspruch. Weil die Gesamtumsätze im Kalenderjahr mehr als 17.500 € betrugen, forderte das Finanzamt den Kläger auf, ab Januar 2015 seine Umsätze der Umsatzsteuer zu unterwerfen und jährlich eine Umsatzsteuererklärung abzugeben.
In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2015 erklärte der Kläger lediglich steuerfreie Umsätze. Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurden folgende Feststellungen getroffen:
- Die erklärten Umsätze des Klägers resultierten aus der wöchentlichen Vermietung von Wohnungen an Prostituierte.
- Der Kläger erklärte gegenüber dem Sonderprüfer, die Mietverträge würden lediglich mündlich geschlossen. Die Mieterinnen seien jeweils sonntags angereist und dann auch wieder abgereist. Jede Mieterin habe ein Zimmer in der Wohnung als Schlaf- und Arbeitszimmer genutzt; Wohnzimmer, Küche, Bad und Flur hätten alle Mieterin gemeinsam bewohnt. Der Kläger habe keine weiteren Leistungen gegenüber den Mieterinnen erbracht; diese hätten sich selbständig um die Reinigung der Wohnung und der Wäsche sowie um die Verpflegung gekümmert. Kontakte seien unter den Mieterinnen hergestellt worden, die sich dann bei ihm gemeldet hätten.
- Der Sonderprüfer gelangte zu dem Ergebnis, dass die getätigten Vermietungsumsätze des Klägers nicht unter § 4 Nr. 12 UStG fielen. Da die Vermietung nicht nur stundenweise und nicht nur zur Ausübung der Prostitution erfolge, die Mieterinnen vielmehr auch dort für jeweils eine Woche lebten, sei der Ausnahmetatbestand der kurzfristigen Beherbergung nach § 4 Nr. 12 S. 2 UStG erfüllt.
Das Finanzamt unterwarf die Nettoumsätze danach dem ermäßigten Steuersatz.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Die vom Kläger erbrachten Leistungen gegenüber den Prostituierten sind als Vermietungsleistungen nach § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG steuerfrei. Entgegen der Ansicht des Finanzamts erbringt der Kläger gegenüber den Mieterinnen keine weiteren Leistungen, die gegenüber der Nutzungsüberlassung prägend sind und deshalb zum Ausschluss der Steuerbefreiung führen. Auch die Rückausnahme in § 4 Nr. 12 S. 2 UStG ist hier nicht einschlägig.
Steuerfrei nach § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG ist u.a. die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, von Berechtigungen. Unionsrechtlich befreit Art. 135 Abs. 1 Buchst. I MwStSystRL die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken. Die Steuerfreiheit erstreckt sich dabei auch auf die Vermietung einzelner Räume. Ob eine Vermietungstätigkeit vorliegt, richtet sich umsatzsteuerrechtlich aufgrund richtlinienkonformer Auslegung nicht nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts, sondern nach dem Unionsrecht. Das grundlegende Merkmal des unionsrechtlichen Begriffs der "Vermietung von Grundstücken" besteht darin, dass dem Vertragspartner auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, ein Grundstück so in Besitz zu nehmen, als wäre er dessen Eigentümer, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen.
Maßgebend ist der objektive Inhalt des Vorgangs, unabhängig von der Bezeichnung, die die Parteien ihm gegeben haben Der Begriff ist eng auszulegen, da die Steuerbefreiungsvorschriften eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz vorsehen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Indem der Kläger den Mieterinnen die jeweilige Wohnung überließ, räumte er ihnen eine Besitzoption dergestalt ein, dass sie während der Berechtigungszeit mit den Räumlichkeiten "wie Eigentümer" verfahren konnten und andere von der Inbesitznahme derselben nach eigenem Belieben ausschließen konnten. Der Kläger hat keine gegenüber einer Vermietung andersartige Leistung erbracht.
Entgegen der Auffassung des Finanzamts ist die Einräumung der Möglichkeit zur Ausübung der Prostitution nicht als wesentliche Leistung gegenüber den Mieterinnen anzusehen, die aus der Sicht der Leistungsempfänger im Vordergrund stehen. Zwar hat der BFH in zwei älteren Entscheidungen die Auffassung vertreten, die Überlassung von Räumen zur Ausübung der Prostitution in einem Bordell oder bordellähnlichen Betrieb sei eine steuerpflichtige Leistung. Die Ermöglichung der Prostitution war gegenüber der Vermietung als eigenständige Leistung anzusehen, weil sie u.U. nach § 180 Abs. 2 StGB strafbewehrt war. Aus diesem Grunde führte bereits die organisierte räumliche Zusammenfassung der Prostituierten durch den Hausbesitzer zur Ablehnung eines Mietvertrages und zur Bejahung eines Vertrages besonderer Art. Dieser Rechtsansatz ist aber spätestens mit Erlass des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten, überholt, weil die Ausübung der Prostitution seit dem 1.1.2002 nicht mehr in derartigem Umfang pönalisiert wird.
Der über die bloße Nutzungsüberlassung hinausgehenden Gestattung der Nutzung zum Zwecke der Ausübung der Prostitution kommt keine eigenständige Bedeutung zu, die es rechtfertigt, als wesensprägend zur Umgestaltung in eine von der Vermietungsleistung abweichende gesonderte Leistung zu führen. Auch das Merkmal der nicht nur kurzfristigen Überlassung von möblierten Räumlichkeiten führt für sich nicht zu einer Verneinung einer Vermietungsleistung i.S.d. § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG. Zwar kommt der Unterscheidung zwischen lang- und kurzfristiger Vermietung bei der Überlassung möblierter Zimmer eine wesentliche Bedeutung zu. Dies gilt aber nur bei der Prüfung des Ausnahmetatbestands des § 4 Nr. 12 S. 2 UStG, dessen Einschlägigkeit aber zwingend voraussetzt, dass die allgemeine Steuerbefreiungsvorschrift in § 4 Nr. 12 S. 1 UStG zunächst erfüllt ist. Der Grundtatbestand in § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG ist z. B. bei der Überlassung von Hotelräumen unabhängig von der Nutzungsdauer erfüllt.
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