Zur Nacherhebung von Einfuhrabgaben wegen Änderung einer den Vorschriften nicht entsprechenden Praxis der Zollbehörde
BFH 7.6.2011, VII R 36/10Die Klägerin meldete im Juli und August 2003 mit ergänzender Zollanmeldung Gemüsekonserven aus China zur Überführung in den freien Verkehr an. Dabei legte sie als Zollwert den vom chinesischen Hersteller in Rechnung gestellten Kaufpreis zugrunde, ohne die Kosten für die Behältnisse hinzuzurechnen, die sie zuvor aus dem freien Verkehr der Gemeinschaft erworben und dem chinesischen Hersteller der Konserven unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte. Diese Art der Zollwertermittlung war in der Vergangenheit unbeanstandet geblieben, weil es der früheren Dienstanweisung (DA) für die deutsche Zollverwaltung entsprach, Kosten für vom Käufer zur Verfügung gestellte Umschließungen aus dem freien Verkehr des Zollgebiets der Union dem tatsächlich zu zahlenden Preis nicht hinzuzurechnen.
Eine solche Regelung enthält die im Dezember 2002 in den VSF-Nachrichten bekannt gegebene Neufassung der Dienstvorschrift Zollwertrecht (DV) jedoch nicht mehr. Dementsprechend wurde in den VSF-Nachrichten vom 27.2.2003 darauf hingewiesen, dass wegen der geänderten zollwertrechtlichen Behandlung von Umschließungen auch eine entsprechende Änderung der Dienstvorschrift zur passiven Veredelung erforderlich sei.
Wegen der geänderten Zollpraxis erließ die Zollverwaltung aufgrund eines Erlasses des BMF vom 13.1.2005 Steueränderungsbescheide für nach dem 27.2.2002, aber vor dem Wirksamwerden rückwirkend bewilligter passiver Veredelungen ausgeführte und nach dem 27.2.2003 wieder eingeführte Umschließungen. Hiervon betroffen war auch die Einfuhrsendung der Klägerin, da ihr für die bereits nach China ausgeführten Behältnisse eine passive Veredelung erst mit Rückwirkung ab dem 1.9.2002 bewilligt worden war. Daher sah das beklagte Hauptzollamt die im Zeitraum 28.2. bis 31.8.2002 ausgeführten Behältnisse als abgabenpflichtig an. Es erhob die Einfuhrabgaben unter Zugrundelegung des erhöhten Zollwerts nach.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.
Die Gründe:
Der Nacherhebung der höheren Einfuhrabgaben steht Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK entgegen.
Nach der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung verwendeten Zusammenfassung der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift hat die Zollbehörde von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben abzusehen, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Die Nichterhebung muss auf einem Irrtum der zuständigen Behörden beruhen; es muss sich um einen Irrtum handeln, der für einen gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkennbar war, und dieser muss alle geltenden Vorschriften über seine Zollerklärung eingehalten haben. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
Die im Streitfall unterbliebene Abgabenerhebung beruhte auf einem Irrtum des Hauptzollamts, da nach den Feststellungen des FG die der früheren DA entsprechenden Zollwertanmeldungen bzw. -berechnungen der Klägerin anlässlich früherer Betriebsprüfungen nicht beanstandet wurden und diese damalige Praxis somit als ursächlich dafür angesehen werden kann, dass die Klägerin mit ihren Zollanmeldungen für die hier streitigen Einfuhrsendungen keine Angaben zu dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnissen machte und die Kosten für diese Behältnisse somit nicht in den Zollwert einbezogen wurden.
Anders als das Hauptzollamt offenbar meint, kann das Vorliegen eines behördlichen Irrtums auch nicht mit der Begründung verneint werden, die deutsche Zollverwaltung habe nicht etwa irrtümlich angenommen, dass die Umschließungskosten nicht zum Zollwert gehörten, sondern sei vielmehr bewusst - allerdings mit Duldung der Kommission - von den rechtlichen Vorgaben abgewichen. Zweifelhaft ist insoweit bereits, ob die deutsche Zollverwaltung seinerzeit das Unionsrecht tatsächlich vorsätzlich verletzen wollte. Jedenfalls erfasst aber der Begriff des Irrtums i.S.d. Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK jedwede unrichtige Auslegung oder Anwendung der anwendbaren Rechtsvorschriften.
Den Feststellungen des FG lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Klägerin bei Abgabe der Zollanmeldungen von der Neufassung der DV und der darin nicht mehr enthaltenen Ausnahmeregelung Kenntnis hatte und somit wusste, dass sie Angaben zu den dem chinesischen Verkäufer unentgeltlich überlassenen Behältnissen hätte machen müssen. Der Irrtum konnte von der gutgläubigen Klägerin vernünftigerweise auch nicht erkannt werden.
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