Zur Nichtigkeit von Umsatzsteuerbescheiden
BFH v. 16.1.2020 - V R 56/17Streitig ist, ob die Umsatzsteuerbescheide für 2006 bis 2010 (Streitjahre) wegen nicht eindeutiger Bezeichnung des Inhaltsadressaten (Steuerschuldner) nichtig sind.
Die Klägerin ist eine GmbH, alleiniger Geschäftsführer war M. Seit 2013 befindet sich die Klägerin in Liquidation (i.L.). Zum Liquidator wurde der frühere Geschäftsführer M bestellt. Mit Genehmigung des Finanzamts versteuert die Klägerin ihre Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung). Die Umsatzsteuererklärungen der Klägerin für die Streitjahre führten nach Zustimmung des Finanzamts zu Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im April 2012 erließ das Finanzamt Änderungsbescheide für 2006 bis 2009, in denen die Umsätze der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerung) unterworfen wurden. Den Einsprüchen, mit denen die Klägerin die ihr gestattete Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung) begehrte, half das Finanzamt ab und erließ im Dezember 2015 entsprechende Änderungsbescheide für die Streitjahre 2006 bis 2009.
Von einer Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerungen) ausgehend erfasste das Finanzamt bei der Auswertung des Betriebsprüfungs-Berichts eine Leistung der Klägerin an die Firma S im Jahr der Leistungserbringung (2008), während die Klägerin diesen Umsatz bei Vereinnahmung in 2010 erklärt hatte. Das Finanzamt verminderte daher zunächst die Umsatzsteuer 2010 im Änderungsbescheid von April 2013. Auf Einspruch der Klägerin korrigierte das Finanzamt diesen Fehler durch den Umsatzsteuer-Änderungsbescheid von Dezember 2015.
Die vor der Liquidation ergangenen Änderungsbescheide von April 2012 (2006 bis 2009) und von April 2013 (2010) waren jeweils gerichtet an: "Herrn M in Firma C-GmbH". Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz: "als gesetzlicher Vertreter von Firma C-GmbH". Die während der Liquidation der Klägerin ergangenen Bescheide von Dezember 2015 (2006 bis 2009) und von Dezember 2015 (2010) sind gerichtet an: "Herrn M in Fa. C-GmbH i.L.". Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz: "Als Liquidator für Fa. C-GmbH i.L.".
Das FG gab der auf Herabsetzung der Umsatzsteuer gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Die Gründe:
Das FG hat rechtsfehlerhaft entschieden, der Inhaltsadressat sei in den angegriffenen Umsatzsteuerbescheiden nicht hinreichend bestimmt bezeichnet worden. Diese Bescheide seien daher nichtig.
Ein Verwaltungsakt ist nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn er an einem besonders schweren Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich nicht so bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO), dass ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird.
Fehler in der Bezeichnung des Steuerschuldners im Bescheid können nicht durch Richtigstellung im weiteren Verfahren geheilt werden. Die rechtliche Notwendigkeit, in einem Steuerbescheid den Steuerschuldner richtig zu bezeichnen, ist zudem ausdrücklich in § 157 AO verankert. Sie wird dadurch unterstrichen, dass der Steuerbescheid Grundlage für die Zwangsvollstreckung gegen den Steuerschuldner ist.
Dabei muss der Steuerschuldner in dem Bescheid nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Ausreichend ist vielmehr, wenn er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus der Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt. Heranzuziehen sind hierbei nicht nur die dem Bescheid beigefügten Erklärungen, sondern darüber hinaus auch die dem Betroffenen bekannten Umstände (sowie zeitlich vorhergehende Bescheide. Notwendig ist aber, dass diese Umstände einen eindeutigen Rückschluss erlauben.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war vorliegend für M ohne weiteres erkennbar, dass er die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide zunächst in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und später als Liquidator der Klägerin erhalten hatte und sie ihn nicht als Steuerschuldner betreffen. Dies ergab sich eindeutig aus den angefochtenen Steuerbescheiden selbst sowie den konkreten Gegebenheiten bei ihrem Erlass.