03.12.2014

Zur Umsatzsteuer im Insolvenzeröffnungsverfahren

Bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug für die Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht oder bezogen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen. Gleiches gilt für den Steuerbetrag und den Vorsteuerabzug aus Leistungen, die das Unternehmen danach bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht.

BFH 24.9.2014, V R 48/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer 1999 gegründeten KG, die Speditionsleistungen erbrachte. Im Oktober 2011 beantragte die KG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Das Insolvenzgericht bestellte daraufhin den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO) und ordnete an, dass Verfügungen der KG über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des Klägers wirksam sind (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO). Das Insolvenzgericht verbot zudem den Schuldnern der KG, an diese zu zahlen und ermächtigte den Kläger, Bankguthaben und sonstige Forderungen der KG einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Schuldner der KG wurden aufgefordert, nur noch unter Beachtung dieser Anordnung zu leisten (§ 23 Abs. 1 S. 3 InsO). Das Insolvenzgericht untersagte auch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen die KG (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO).

Die KG führte ihren Geschäftsbetrieb zunächst weiter, da Insolvenzgeld vorfinanziert wurde und der Kläger Gespräche mit den Hauptauftraggebern führte. Die bei der Stellung des Insolvenzantrags offenen Forderungen der KG i.H.v. rd. 40.000 € konnten im Insolvenzeröffnungsverfahren bis Ende Dezember 2011 i.H.v. rd. 37.000 € eingezogen werden. Die KG stellte ihren Geschäftsbetrieb zum 31.12.2011 ein und kündigte mit Zustimmung des Klägers die noch bestehenden Arbeitsverhältnisse. Das Insolvenzgericht eröffnete das Insolvenzverfahren durch Beschluss vom 1.1.2012. Die KG hatte bereits am 9.12.2011 Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Oktober und November 2011 abgegeben.

Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Revision des Klägers ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet.

Entgegen dem Urteil des FG kommt es für die Anwendung von § 55 Abs. 4 InsO auf die rechtlichen Befugnisse an, die dem vorläufigen Insolvenzverwalter zustehen. Ist Zustimmungsvorbehalt angeordnet (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 InsO) und ist der vorläufige Insolvenzverwalter zum Forderungseinzug berechtigt, entsteht die Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO insoweit, als der vorläufige Insolvenzverwalter Entgelte aus Leistungen des Unternehmers vereinnahmt. Dabei sind vom vorläufigen Insolvenzverwalter veranlasste Zahlungen auf zum Vorsteuerabzug berechtigende Leistungsbezüge masseverbindlichkeitsmindernd zu berücksichtigen. Es ist im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht zwischen den vor und nach der Verwalterbestellung erbrachten oder bezogenen Leistungen zu unterscheiden.

Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Verbindlichkeiten werden vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur im Rahmen der für den vorläufigen Verwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet. § 55 Abs. 4 InsO ordnet an, dass bestimmte Steueransprüche, die durch oder mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Zeitraum nach seiner Bestellung bis zur Insolvenzeröffnung begründet worden sind, im eröffneten Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeiten gelten. Sie sind dann - anders als bloße Insolvenzforderungen - vorrangig zu befriedigen.

Nicht gefolgt werden kann der Sichtweise der Finanzverwaltung, die § 55 Abs. 4 InsO auf Steuerverbindlichkeiten anwendet, die auf Umsätzen beruhen, denen der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht widersprochen hat. Stattdessen ist die Vorschrift nur nach Maßgabe der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse anzuwenden. Diese beziehen sich allerdings im Regelfall nicht auf Leistungen durch den insolvenzbedrohten Unternehmer, sondern auf den Forderungseinzug und damit auf das Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters, Entgelte für umsatzsteuerpflichtige Leistungen einzuziehen.

Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, zu dessen Gunsten ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt besteht und der vom Insolvenzgericht ermächtigt wird, die Entgeltforderungen des Unternehmers einzuziehen, führt allerdings dazu, dass das Entgelt uneinbringlich wird und die Umsatzsteuer nicht mehr erhoben werden kann. Wird nachfolgend durch den vorläufigen Insolvenzverwalter trotzdem Entgelt vereinnahmt, entsteht der Steueranspruch als Masseverbindlichkeit neu.

Hintergrund:
Es handelt sich um die erste Entscheidung eines obersten Bundesgerichts zu dem seit 2011 geltenden § 55 Abs. 4 InsO. Die Entscheidung klärt eine für die Praxis wichtige Streitfrage und ist im Insolvenzeröffnungsverfahren aller Unternehmer, die umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringen, von großer Bedeutung, da § 55 Abs. 4 InsO die Steuerschuld zur Masseverbindlichkeit aufwertet.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
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BFH PM Nr. 80 vom 3.12.2014
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