Zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Leistungen an Mitglieder einer Seniorenwohngemeinschaft
BFH 4.5.2011, XI R 35/10Der Kläger betrieb seit 1997 selbständig einen ambulanten Pflegedienst. Im März 2004 eröffnete er eine Seniorenwohngemeinschaft, die hauptsächlich für demenzkranke Menschen gedacht war. Das Gebäude verfügte über sieben einzeln vermietbaren Zimmer und verschiedene Gemeinschaftsräume, u.a. Wohnzimmer und Küche.
Nach dem Umbau schloss der Kläger mit sieben Senioren jeweils einen Mietvertrag über ein Zimmer ab. Außerdem schloss er jeweils den Bedürfnissen entsprechende "Pflegevereinbarungen" ab. Eine rechtliche Verknüpfung zwischen dem Mietvertrag und der Pflegevereinbarung bestand nicht. Eine Anerkennung bzw. Anzeige der Einrichtung als Heim i.S.d. HeimG lag nicht vor. Die Kosten der vom Kläger gegenüber den Senioren in den Streitjahren 2004 bis 2006 neben den Vermietungs-, Betreuungs- und Verpflegungsleistungen erbrachten Pflegeleistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V sowie nach § 37 SGB XI wurden in der überwiegenden Zahl der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen.
Das Finanzamt ging davon aus, dass für die gegenüber den Senioren in der Wohngemeinschaft erbrachten und vom Kläger als umsatzsteuerfrei angesehenen Leistungen weder § 4 Nr. 12 UStG 1999 noch § 4 Nr. 16e UStG einschlägig seien. Es handele sich dabei um eine einheitliche Leistung eigener Art. Auch § 4 Nr. 16d UStG sei nicht einschlägig, da die Einrichtung kein nach dem HeimG anerkanntes Heim sei. Es unterwarf die vom Kläger erzielten Mieterlöse, die Zahlungen der Patienten für Verpflegung und Betreuung sowie die von den Krankenkassen übernommenen Beträge für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung dem Regelsteuersatz.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage überwiegend statt. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH erfolglos.
Die Gründe:
Der Kläger hatte mit der Vermietung der Räume an Senioren und den von den Kassen erstatteten ambulanten Pflegeleistungen (Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung) jeweils umsatzsteuerfreie Hauptleistungen erbracht.
Vermietungsleistungen und individuell angepasste Pflegeleistungen, die ein Unternehmer aufgrund getrennter Verträge gegenüber Senioren im Rahmen einer Seniorenwohngemeinschaft erbringt, sind umsatzsteuerrechtlich nicht als einheitliche Leistung zu qualifizieren, sondern unterliegen als eigenständige, selbständige Leistungen der gesonderten Beurteilung. Infolgedessen handelt es sich um jeweils umsatzsteuerfreie Hauptleistungen.
Hierzu hatte das FG zutreffend ausgeführt, die Leistungen hätten zwar insofern in einem Zusammenhang gestanden, dass der Kläger beide Leistungen erbracht und diese in einem für die Leistungsempfänger vorteilhaften räumlichen und organisatorischen Zusammenhang angeboten habe. Beide Leistungen hätten allerdings wesentlich unterschiedliche Leistungen zum Gegenstand gehabt und seien klar voneinander getrennt gewesen. So seien die Mieter nicht verpflichtet gewesen, auch die Pflege- oder andere Leistungen des Klägers in Anspruch zu nehmen. Besonders deutlich werde dies an den unterschiedlichen Kündigungsfristen.
Außerdem sei das Entgelt jeweils ausschließlich auf den jeweiligen Leistungsgegenstand bezogen gewesen und habe in keiner Abhängigkeit oder Verbindung zu dem jeweils anderen Entgelt gestanden. Maßgeblich sei insofern die vertragliche Trennung mit gesonderten Entgeltvereinbarungen. Dies folge auch aus dem EuGH-Urteil "RLRE Tellmer Property", wonach bei Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern die Vermietung eines Grundstücks und die Dienstleistung der Reinigung seiner Gemeinschaftsräume als selbständige, voneinander trennbare Umsätze anzusehen seien, so dass die Reinigung nicht steuerfrei sei, was insbesondere darauf beruhe, dass für die Reinigungsleistung eine eigenständige Preisvereinbarung vorgelegen habe.
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