Zur Verjährung des insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
BFH 5.5.2015, VII R 37/13Am 21.12.2006 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger ist als Insolvenzverwalter bestellt. Für seine seit dem 2.10.2006 ausgeübte Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter setzte das AG mit Beschluss vom 12.1.2010 eine Vergütung i.H.v. rd. 51.000 € zzgl. rd. 8.160 € Umsatzsteuer fest. Die Vergütung wurde im ersten Quartal 2010 aus der Insolvenzmasse dem Kläger gezahlt.
In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das erste Quartal 2010 machte der Kläger für die Insolvenzschuldnerin einen entsprechenden Vorsteuervergütungsanspruch geltend. Das Finanzamt verrechnete die Vorsteuer mit Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2000 und 2005. Hierüber erließ das Finanzamt den Abrechnungsbescheid vom 29.5.2012.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt und änderte den Abrechnungsbescheid dahin, dass der Insolvenzschuldnerin für das erste Quartal 2010 ein Vorsteuervergütungsanspruch i.H.v. rd. 8.160 € zusteht. Der Aufrechnung des Finanzamts stehe das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen, da die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters an die Insolvenzschuldnerin eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung sei. Die daraus ableitbaren Rechte seien nicht analog § 146 InsO i.V.m. §§ 195 ff. BGB verjährt. Die Verjährung beginne erst zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung.
Die Revision des Finanzamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig und keine Verjährung des Anfechtungsanspruchs eingetreten ist.
Die durch das Finanzamt erklärte Aufrechnung war gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig. Das Finanzamt hat die Möglichkeit, mit den Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2000 und 2005 gegen den Vorsteuervergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aus dem ersten Quartal 2010 aufzurechnen, durch die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters erlangt. Diese Leistung ist als eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung zu qualifizieren. Die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat nach der Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließt, zur Folge, dass sich der Insolvenzverwalter unmittelbar auf die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung berufen kann. Er kann also bei Geltendmachung der Hauptforderung (hier: des Vorsteuervergütungsanspruchs) den Aufrechnungseinwand des Finanzamts durch die Gegeneinrede des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO abwehren.
Entgegen der Auffassung des Finanzamts steht dem im Streitfall keine Verjährung entgegen. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO führt dazu, dass die Hauptforderung, die durch die Aufrechnung erloschen wäre, für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Allerdings kann der Insolvenzverwalter diese insolvenzrechtliche Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur innerhalb der Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO durchsetzen; diese Frist ist auf die Hauptforderung entsprechend anwendbar und überlagert deren allgemeine Verjährungsfristen. § 146 Abs. 1 InsO verweist auf die regelmäßige Verjährung nach dem BGB, die gem. § 195 BGB drei Jahre beträgt und nach § 199 Abs. 1 BGB am Ende desjenigen Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
Die Verjährungsfrist beginnt vielmehr frühestens mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem die Hauptforderung entstanden ist, die durch die Aufrechnung erloschen wäre, d.h. im Streitfall mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch entstanden ist. Dabei ist nicht auf die insolvenzrechtliche Begründung dieses Anspruchs abzustellen, sondern auf die steuerrechtliche Entstehung zum Ablauf des ersten Quartals 2010. Anderenfalls könnte die Hauptforderung bereits vor ihrer tatsächlichen Entstehung verjähren, was dem Sinn und Zweck des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO widerspräche. Danach kann sich das Finanzamt gegenüber dem Einwand des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht auf Verjährung berufen. Jedenfalls mit Einreichung der Klage im Januar 2013 und damit innerhalb der dreijährigen Frist des § 146 Abs. 1 InsO i.V.m. § 195 ff. BGB ist die Hauptforderung gerichtlich geltend gemacht worden.
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