01.02.2016

Zur Vornahme einer Schönheitsoperation bei Verdacht auf eine psychische Störung

Darf eine Schönheitsoperation bei Verdacht auf eine psychische Störung (hier: Dysmorphophobie) durchgeführt werden? Grundsätzlich bedarf die Verdachtsdiagnose Dysmorphophobie einer fachärztlichen oder psychologischen Abklärung. Bis dahin sollte von ästhetisch-chirurgischen Maßnahmen abgesehen werden.

BGH 15.12.2015, VI ZR 557/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin leidet unter einer körperdysmorphen Symptomatik mit Hang zur Autoaggression. Aus diesem Grund fügte sie sich als Jugendliche jahrelang an Armen, den Oberschenkeln und dem Gesäß Ritznarben, Schnittverletzungen und Verätzungen zu. Infolgedessen weist sie eine Vielzahl, teilweise entstellender Narben auf. Seit 2007 unterzieht sich die Klägerin wegen ihrer psychischen Probleme zweimal pro Woche einer Psychotherapie.

Im Juni 2008 hatte sich die damals 30-jährige Klägerin in der Praxis des Beklagten, einem Arzt für plastische und ästhetische Chirurgie, vorgestellt. Sie äußerte den Wunsch nach einer Schlupflidkorrektur. Der Beklagte beriet sie dahingehend, dass ihr Augenlid nur durch Straffung der Stirnhaut gehoben werden könne. In der Folge entschied sich die Klägerin für die Durchführung eines sog. offenen Stirnlifts, bei dem auch Zornesfalten beseitigt werden sollten. Im Rahmen des Aufklärungsgesprächs beantwortete die Klägern die Frage: "Neigen Sie zu überschießender Narbenbildung (Keloide)?" mit "ja".

Im August 2008 erfolgte der ästhetische Eingriff. Dieser hinterließ bei der Klägerin eine sichtbare, im Haaransatz befindliche und haarlose Narbe, die sie störte. Im November 2009 führte der Beklagte deshalb eine Narbenkorrektur durch. Im März 2012 unterzog sich die Klägerin einer weiteren Narbenkorrektur in der Schweiz, bei der auch Haarwurzeln transplantiert wurden. Mit der Klage begehrte die Klägerin u.a. ein Schmerzensgeld von mind. 20.000 € sowie die Erstattung der Operationskosten i.H.v. 3.500 €. LG und KG wiesen die Klage ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das KG zurück.

Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat zu Recht beanstandet, dass das Berufungsgericht das mit der Klageschrift vorgelegte Gutachten der Schlichtungsstelle zu Arzthaftpflichtfragen der Norddeutschen Ärztekammer aus Dezember 2011 unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG übergangen hatte.

In dem Gutachten war ausgeführt worden, dass die Operation in der vorgegebenen Situation nicht hätte durchgeführt werden dürfen. In dem um anamnestische Angaben ergänzten Aufklärungsformular sei die Frage der überschießenden Narbenbildung bejaht worden. Eine Kontrolle dieser Antwort durch den Beklagten hätte zur Kontrolle der zahllosen Narben an beiden Armen und Beinen geführt, die bereits dem laienhaften Betrachter ein tieferliegendes psychisches Problem offenbart hätten. Ob diese Zeichen letztlich i.S. eines Dysmorphophobiesyndroms zu bewerten seien, könne dahingestellt bleiben, da die Zeichen einer Autoaggressionserkrankung ohne vorangegangene Abklärung eine Kontraindikation zur Durchführung des Brauen-Lifts darstellten. Diese Ausführungen der Schlichtungsstelle standen in klarem Widerspruch zu den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen. Auf diesen Widerspruch hatte die Klägerin mehrfach, u.a. in der Berufungsbegründung, hingewiesen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet darüber hinaus zu Recht, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, wie schwer die körperdysmorphe Störung bei der Klägerin war, die Ausführungen des Privatsachverständigen in seiner mit der Klageschrift vorgelegten Stellungnahme unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht berücksichtigt hatte. Danach war die Klägerin seit Mai 2007 bei ihm in fortlaufender psychotherapeutischer Behandlung. Die sachverständigen Ausführungen standen einer Einordnung der Schwere der bei der Klägerin vorliegenden körperdysmorphoben Störung am unteren Rand der Skala entgegen.

Das KG wird im weiteren Verfahren berücksichtigen müssen, dass nicht nur der Gutachter der Schlichtungsstelle sondern auch der von der Klägerin hinzugezogene Privatsachverständige einen nicht genau abgeklärten Verdacht auf Dysmorphophobie oder andere psychische Störungen als Kontraindikation für ästhetisch-chirurgische Maßnahmen angesehen hatte. Danach träten Selbstwahrnehmungsstörungen des Körpers in der Bevölkerung mit einer Ambivalenz zwischen 1 bis 2 % auf. Die Patientinnen und Patienten häuften sich in der ästhetisch-chirurgischen oder ästhetisch-dermatologischen Praxis, wo sie bis zu 18% des Klientels ausmachten, wovon circa 5 % als schwere Fälle einzustufen seien. Die Risikogruppe, die hier besonders auffalle, seien Studentinnen: Danach sei zu entscheiden, ob eine geeignete Behandlung möglich erscheine, z.B. eine kognitive Verhaltenstherapie, und ob die Patientin dazu bereit sei. Bis dahin sei von ästhetisch-chirurgischen Maßnahmen abzusehen.

Linkhinweis:

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