22.02.2016

Zur Wirkung der Auszahlung von Kindergeld an den Sozialhilfeträger

Die Auszahlung von Kindergeld an einen Abzweigungsberechtigten führt - anders als die Zahlung an den originär Kindergeldberechtigten - nur dann zum Erlöschen des Kindergeldanspruchs, wenn der Abzweigungsbescheid bestandskräftig geworden ist.

BFH 17.12.2015, V R 18/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin erhielt von der beklagten Familienkasse Kindergeld für ihren schwerbehinderten Sohn. Nachdem die Beigeladene (Sozialhilfeträger) Sozialhilfe an die Klägerin gezahlt und deshalb die Abzweigung des Kindergeldes bei der Familienkasse beantragt hatte, zweigte diese mit Bescheid vom 5.7.2011 gem. § 74 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 76 EStG die Hälfte des Kindergeldes (92 €) an den Sozialhilfeträger ab. Nachdem die Klägerin hiergegen Einspruch erhoben hatte, um weiterhin volles Kindergeld zu erhalten, stellte die Familienkasse im November 2011 die Zahlung des Kindergeldes bis zur Klärung des Streites zwischen der Klägerin und dem Sozialhilfeträger ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 30.1.2013 entschied die Familienkasse, die Abzweigung im Zeitraum Mai bis Juli 2011 auf 78 € zu reduzieren und ab August 2012 aufzuheben.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage und beantragte zunächst, den Abzweigungsbescheid vom 5.7.2011 dahingehend zu ändern, dass ab Mai 2011 volles Kindergeld an sie zu zahlen sei. Nach einem rechtlichen Hinweis des FG auf das Urteil des BFH vom 18.4.2013 (V R 48/11), wonach davon auszugehen sei, dass ein in den Haushalt aufgenommenes behindertes Kind Unterhaltsleistungen von mehr als dem Wert des Kindergeldes erhalte, gab der Sozialhilfeträger seine Forderung nach Abzweigung des Kindergeldes ab November 2011 auf und beide Beteiligten erklärten den Rechtsstreit insoweit für erledigt.

Hinsichtlich des Zeitraums Juli bis Oktober 2011 ging der Sozialhilfeträger jedoch davon aus, dass der Abzweigungsbescheid wegen der Auszahlung an ihn nicht mehr geändert werden könne. Zur Begründung verwies er auf das BFH-Urteil vom 26.8.2010 (III R 21/08), wonach eine Auszahlung des Kindergeldes an den originär Kindergeldberechtigten zum Erlöschen des Anspruchs führe. Nach einem rechtlichen Hinweis des FG und der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung gab daraufhin die Klägerin ihren Verpflichtungsantrag auf und beantragte, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abzweigung, um eine Amtshaftungsklage gegen die Familienkasse vor dem Zivilgericht vorzubereiten.

Das FG gab der Feststellungsklage statt. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Die Gründe:
Das FG hat rechtsfehlerhaft die Fortsetzungsfeststellungsklage als zulässig beurteilt, da sich der angefochtene Verwaltungsakt mit der Auszahlung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger nicht i.S.d. § 100 Abs. 1 S. 4 FGO "erledigt" hat. Der Klägerin ist Gelegenheit zu geben, zu ihrem ursprünglich gestellten Antrag zurück zu kehren.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Auszahlung von Kindergeld an den Sozialhilfeträger zur "Erledigung" einer Klage des originär kindergeldberechtigten Elternteils auf Auszahlung des Kindergeldes führt, wenn der Abzweigungsbescheid aufgrund der Anfechtung noch geändert werden kann und infolgedessen das an den Sozialhilfeträger ausgezahlte Kindergeld an die Familienkasse zurück zu erstatten ist. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung scheidet eine Abzweigung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger oder an das Kind aus, wenn das Kindergeld zuvor bereits an den originär kindergeldberechtigten Elternteil tatsächlich ausgezahlt wurde. Der Kindergeldanspruch wird durch die Auszahlung erfüllt und erlischt damit. Der Auszahlung von Kindergeld an einen Dritten (Sozialhilfeträger) kommt hingegen nicht dieselbe Wirkung zu wie einer Auszahlung an den originär Kindergeldberechtigten.

Denn die Erfüllungszuständigkeit für erhaltenes Kindergeld ändert sich von der Person des Kindergeldberechtigten auf einen Dritten erst dann und soweit, wie ein bestandskräftiger Abzweigungsbescheid der Familienkasse ergangen ist, bei dem es sich für den Empfänger um einen begünstigenden und für den bisher Kindergeldberechtigten um einen belastenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung handelt. Wird dieser Verwaltungsakt der Familienkasse fristgerecht durch Einspruch des Kindergeldberechtigten angefochten, kann er im Einspruchsverfahren wieder aufgehoben oder eingeschränkt werden. Dadurch wird die vormalige Erfüllungszuständigkeit des Kindergeldberechtigten wieder hergestellt. Demgemäß hat der BFH bereits entschieden, dass im Hinblick auf die Sonderregelung des § 112 SGB X, wonach zu Unrecht erstattete Beträge zurückzuerstatten sind, eine entsprechende Anwendung der unter II.1.a dargestellten Grundsätze bei Zahlung von Kindergeld an den originär Kindergeldberechtigten bei einer angefochtenen Abzweigungsentscheidung nicht in Betracht kommt.

Der Sozialhilfeträger hat nach erfolgreicher Anfechtung des Abzweigungsbescheides das zu Unrecht erhaltene Kindergeld an die Familienkasse gem. § 112 SGB X zu erstatten, sodass diese das Kindergeld dem Berechtigten nachzahlen kann. Die Rechtsauffassung des FG, wonach der Kindergeldberechtigte zunächst eine Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Abzweigungsentscheidung vor dem FG erheben muss, um anschließend einen Schadensersatzanspruch im Wege der Amtshaftungsklage vor dem Zivilgericht nach § 839 BGB durchzusetzen und damit die Zivilgerichtsbarkeit mit Fragen der Kindergeldberechtigung zu befassen, wäre auch schwerlich mit den Grundsätzen der Prozessökonomie zu vereinbaren. Nach alldem war die Entscheidung des FG wegen der unzutreffenden Annahme eines Feststellungsinteresses nach § 100 Abs. 1 S. 4 FGO aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen. Trotz des Feststellungsantrags der Klägerin war die Klage nicht als unzulässig zu verwerfen, da der Wechsel vom ursprünglich gestellten Aufhebungsantrag auf den Feststellungsantrag auf Initiative des FG zustande gekommen ist.

Linkhinweis:

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