12.08.2020

Zuständigkeitskonzentrationen zur Entscheidung über Erlassverfahren in Kindergeldangelegenheiten

Die Zuständigkeitskonzentrationen zur Entscheidung über Erlassverfahren in Kindergeldangelegenheiten bei der Agentur für Arbeit Recklinghausen - Inkasso-Service - und bei der Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord sind rechtlich nicht zu beanstanden.

FG Hamburg v. 27.1.2020 - 6 K 202/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger erhielt ab Juli 2013 Kindergeld für seinen 1997 geborenen Sohn A. Dieser wurde ab November 2013 bis September 2017 in Hamburg im Rahmen der Gewährung einer Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 3 SGB VIII in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht, in der er wohnte. Die Freie und Hansestadt Hamburg erließ im November 2013 einen Kostenbeitragsbescheid gegenüber dem Kläger. Damit wurde mit Wirkung ab Dezember 2013 ein Kostenbeitrag in Höhe des an den Kläger ausgezahlten Kindergeldes für die Dauer der Jugendhilfe festgesetzt. Der Kläger zahlte das Kindergeld dementsprechend monatlich an das Bezirksamt.

Die Familienkasse erfuhr aufgrund einer Melderegisterauskunft, dass A seit Dezember 2013 nicht mehr unter der Wohnung des Klägers gemeldet war. Im Mai 2015 teilte sie dies dem Kläger mit und forderte ihn auf, bis Juni 2015 anzugeben, in wessen Haushalt das Kind gelebt habe. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die Festsetzung des Kindergeldes gem. § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben werden müsse, wenn der Kläger nicht fristgemäß antworte. Mangels Antwort des Klägers hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für A mit Bescheid von Juni 2015 ab dem Monat Dezember 2013 gem. § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte das für den Zeitraum Dezember 2013 bis einschließlich Mai 2015 gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO zurück.

Der Kläger sprach im Oktober 2015 bei der Familienkasse vor und legte Einspruch gegen den Bescheid ein. Er, der Kläger, habe das Geld an das Jugendamt gezahlt und es daher nicht zurückzuerstatten. Die Familienkasse verwarf den Einspruch als unzulässig. Der Einspruch sei verfristet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) könne nicht erfolgen. Nachdem der Kläger im Juni 2018 eine Vollstreckungsankündigung des Hauptzollamtes Hamburg-2 erhalten hatte, wandte sich seine Prozessbevollmächtigte im November 2018 an die Familienkasse und beantragte das Absehen von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen sowie einen Verzicht auf die Kindergeldrückforderung einschließlich der Säumniszuschläge. Der Rückforderungsbescheid sei rechtswidrig, weil der Kläger im Zeitraum von November 2013 bis Ende Mai 2015 zu Recht Kindergeld bezogen habe. Sämtliche Kindergeldbeträge seien an das Jugendamt geleistet worden. Das Kindergeld sei gem. § 43 Abs. 3 SGB VIII von den Eltern an das Jugendamt weiterzuleiten. Folglich führe der Einzug in eine Jugendhilfeeinrichtung nicht zum Verlust des Kindergeldanspruchs der Eltern.

Die Familienkasse wertete diesen Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers als Erlassantrag, der durch Bescheid der Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service, abgelehnt wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass nach Mitteilung der Familienkasse die Forderung aufgrund einer Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers entstanden sei, daher sei eine Erlasswürdigkeit zu verneinen. Gründe für eine sachliche Unbilligkeit lägen nicht vor. Der Kläger erhob vor dem FG Düsseldorf Klage (13 K 1386/19 AO). Dieses verwies den Rechtsstreit mit Beschluss wegen eigener örtlicher Unzuständigkeit an das FG Hamburg.

Das FG gab der Klage teilweise statt. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die Gründe:
Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf Erlass der Kindergeldrückforderung nebst Säumniszuschlägen, so dass der Hauptantrag unbegründet ist, der Hilfsantrag auf Neubescheidung hat allerdings Erfolg.

Die Ablehnungsentscheidung ist ermessensfehlerhaft. Die Familienkasse nimmt ohne Würdigung der oben aufgeführten Umstände zu Unrecht an, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers vorliegt, die eine sachliche Unbilligkeit ausschließe. Vorliegend beruhte die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers für seinen damals minderjährigen Sohn A ab Juli 2013 auf der Haushaltsaufnahme des Kindes beim Kläger und nicht mehr - wie vorher - bei der Mutter (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese Haushaltsaufnahme endete zum November 2013 durch die stationäre Unterbringung des Sohnes in einer Jugendhilfeeinrichtung. Das FG ist davon überzeugt, dass der Kläger den Umzug seines Sohnes in die Jugendhilfeeinrichtung unmittelbar nach Erhalt des Kostenbeitragsbescheids des Jugendamtes in Bezug auf das Kindergeld von November 2013 der für die Kindergeldfestsetzung zuständigen Familienkasse telefonisch mitgeteilt und damit seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat.

In Bezug auf den abgelehnten Erlass der Säumniszuschläge liegt eine Ermessensunterschreitung vor, weil die angefochtenen Bescheide insoweit keine eigenständigen Ermessenserwägungen erkennen lassen. Nach § 121 AO ist ein Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist. Dies gilt insbesondere für Ermessensentscheidungen, denn die maßgebenden Erwägungen bei der Ermessensausübung müssen aus der Entscheidung erkennbar sein. Eine nicht begründete Ermessensentscheidung der Verwaltung ist im Regelfall rechtsfehlerhaft. Vorliegend hat die Familienkasse weder im angefochtenen Ablehnungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung die Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge gesondert begründet. Aus den Entscheidungen geht nicht einmal hervor, dass sich die Familienkasse des ihr eingeräumten Ermessens bezüglich der Säumniszuschläge bewusst war.

Nach alledem hat der Hilfsantrag des Klägers auf eine Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG Erfolg (§ 101 Satz 2 FGO). Die Familienkasse ist für die Neubescheidung auch zuständig und damit passivlegitimiert. Die sachliche Zuständigkeit der Finanzbehörden richtet sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, gem. § 16 AO nach dem FVG. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 FVG hat das BZSt die Aufgabe, den Familienleistungsausgleich nach Maßgabe der §§ 31, 62 bis 78 EStG durchzuführen. Dazu stellt die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) ihre Dienststellen als Familienkasse zur Verfügung. Der Vorstand der Bundesagentur kann innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen. Die Familienkassen gelten als Bundesfinanzbehörden, soweit sie den Familienleistungsausgleich durchführen, und unterliegen insoweit der Fachaufsicht des BZSt. Nach dem Beschluss des Vorstandes der Bundesagentur vom 20.9.2018 ist die Familienkasse mit Wirkung vom 1.12.2018 zuständig für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen des Inkasso-Services im Bereich des steuerlichen Kindergeldes.
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