Aktienrechtlicher Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers schließt Insolvenzanfechtung nicht aus
BGH v. 30.3.2023 - IX ZR 121/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 12.11.2013 am 1.4.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. KGaA (Schuldnerin). Die Beklagte ist Kommanditaktionärin der Schuldnerin. Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO auf Rückgewähr von Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2009 bis 2012 in Anspruch.
Die vorinsolvenzlich erstellten und festgestellten Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die streitbefangenen Jahre wiesen Gewinne aus. Gewinnverwendungsbeschlüsse wurden gefasst. Auf der Grundlage der Gewinnverwendungsbeschlüsse erhielt die Beklagte die angefochtenen Dividendenzahlungen.
Der Kläger erhob Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der Gewinnverwendungsbeschlüsse. Für die Jahre 2009 und 2010 wurde lediglich die Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse festgestellt. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 hielt das (dortige) Berufungsgericht für unzulässig, weil der Kläger die Jahresabschlüsse zwischenzeitlich ersetzt hatte. Die Feststellung der Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse begründete das Gericht damit, dass diesen durch die Ersetzung der Jahresabschlüsse die Grundlage entzogen worden sei. Dass die Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig gewesen sein könnten, blieb offen. Für die Jahre 2011 und 2012 wurde die ursprüngliche Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und Gewinnverwendungsbeschlüsse festgestellt.
Das (hiesige) LG wies die Klage ab. Das OLG gab ihr bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die bisher getroffenen Feststellungen des OLG rechtfertigen nicht die Annahme, auch die Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 seien gem. § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar. Es steht nicht fest, dass es zum Zeitpunkt der Leistungen der Schuldnerin (§ 140 InsO) keinen Anspruch der Beklagten auf Auszahlung der Dividende gab.
Das OLG meint, die Beklagte habe keinen Anspruch auf die Dividenden für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 gehabt, weil auf die vom Kläger erhobenen Nichtigkeitsfeststellungsklagen die Nichtigkeit der entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlüsse mit der Rechtskraftwirkung des § 248 AktG festgestellt worden sei. Die Feststellung der Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse ist jedoch für die Jahre 2009 und 2010 damit begründet worden, dass diesen durch die (spätere) Ersetzung der Jahresabschlüsse durch den Kläger die Grundlage entzogen worden sei. Ob die Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig waren, ist offengeblieben. Eigene Feststellungen zur ursprünglichen Unwirksamkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Sollten die Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 ursprünglich wirksam gewesen sein, dürften die Dividendenzahlungen als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung des entsprechenden Risikokapitals entgeltlich gewesen sein. Die spätere Ersetzung der Jahresabschlüsse durch den Kläger konnte den Auszahlungsanspruch der Beklagten nicht ohne weiteres beseitigen. Weder kann eine Anfechtbarkeit durch eine rückwirkende Beseitigung des Gewinnauszahlungsanspruchs begründet werden noch wird die Anfechtbarkeit umkehrt dadurch ausgeschlossen, dass die ursprüngliche Unwirksamkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses durch Zeitablauf nicht mehr geltend gemacht werden kann.
Weiterhin schließt der Schutz des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Anfechtung nach den §§ 129 ff InsO nicht aus. Das gilt auch für eine Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO. Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten für eine entsprechende Wertentscheidung des Gesetzgebers. § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG ist Teil eines aktienrechtlichen Regelungssystems von gesellschaftsrechtlichen Rückgewähransprüchen. Indem unberechtigte Zuwendungen in das Vermögen der Gesellschaft zurückgeführt werden, dient der Anspruch dem im Recht der Aktiengesellschaft zentralen Grundsatz der Kapitalerhaltung. Es handelt sich um einen spezifisch aktienrechtlichen Anspruch, der sich im Sinne der Kapitalerhaltung von anderen Ansprüchen abgrenzt, welche die Rückforderung zu Unrecht empfangener Zuwendungen grundsätzlich ermöglichen. Vor dem Hintergrund des bezweckten Schutzes der Kapitalerhaltung ist das Gesamtgefüge der Norm zu sehen. Das gilt nicht nur für § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG, der den Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers über die Kapitalerhaltung stellt. Auch die Verjährungsregelungen in § 62 Abs. 3 AktG sind Gegenstand eines solchen Abwägungsvorgangs. Dies gilt letztlich auch für die von § 62 Abs. 2 AktG getroffenen Regelungen über die Rechtsverfolgung durch die Gesellschaftsgläubiger.
Das Insolvenzanfechtungsrecht der §§ 129 ff InsO stellt das insolvenzrechtliche Regelungssystem zur Sicherstellung einer möglichst weitgehenden Gläubigerbefriedigung dar. Das Insolvenzanfechtungsrecht hat die Aufgabe, den Bestand des den Gläubigern haftenden Schuldnervermögens dadurch wiederherzustellen, dass Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht werden, die insbesondere in der Zeit der Krise vor der Verfahrenseröffnung zum Nachteil der Gläubiger vorgenommen worden sind. Zur Rückgängigmachung der Wirkungen gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen und dem damit verbundenen Eingriff in die Rechtsposition des Anfechtungsgegners bedarf es eines rechtfertigenden Grunds. Ob ein solcher Grund vorliegt, beantworten die §§ 129 ff InsO. Bei unentgeltlichen Leistungen des Schuldners beschränkt § 134 Abs. 1 InsO die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs, während § 143 Abs. 2 InsO auf der Rechtsfolgenseite den guten Glauben des Erwerbers schützt.
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 12.11.2013 am 1.4.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. KGaA (Schuldnerin). Die Beklagte ist Kommanditaktionärin der Schuldnerin. Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO auf Rückgewähr von Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2009 bis 2012 in Anspruch.
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Der Kläger erhob Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der Gewinnverwendungsbeschlüsse. Für die Jahre 2009 und 2010 wurde lediglich die Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse festgestellt. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 hielt das (dortige) Berufungsgericht für unzulässig, weil der Kläger die Jahresabschlüsse zwischenzeitlich ersetzt hatte. Die Feststellung der Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse begründete das Gericht damit, dass diesen durch die Ersetzung der Jahresabschlüsse die Grundlage entzogen worden sei. Dass die Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig gewesen sein könnten, blieb offen. Für die Jahre 2011 und 2012 wurde die ursprüngliche Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und Gewinnverwendungsbeschlüsse festgestellt.
Das (hiesige) LG wies die Klage ab. Das OLG gab ihr bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die bisher getroffenen Feststellungen des OLG rechtfertigen nicht die Annahme, auch die Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 seien gem. § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar. Es steht nicht fest, dass es zum Zeitpunkt der Leistungen der Schuldnerin (§ 140 InsO) keinen Anspruch der Beklagten auf Auszahlung der Dividende gab.
Das OLG meint, die Beklagte habe keinen Anspruch auf die Dividenden für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 gehabt, weil auf die vom Kläger erhobenen Nichtigkeitsfeststellungsklagen die Nichtigkeit der entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlüsse mit der Rechtskraftwirkung des § 248 AktG festgestellt worden sei. Die Feststellung der Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse ist jedoch für die Jahre 2009 und 2010 damit begründet worden, dass diesen durch die (spätere) Ersetzung der Jahresabschlüsse durch den Kläger die Grundlage entzogen worden sei. Ob die Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig waren, ist offengeblieben. Eigene Feststellungen zur ursprünglichen Unwirksamkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Sollten die Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 ursprünglich wirksam gewesen sein, dürften die Dividendenzahlungen als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung des entsprechenden Risikokapitals entgeltlich gewesen sein. Die spätere Ersetzung der Jahresabschlüsse durch den Kläger konnte den Auszahlungsanspruch der Beklagten nicht ohne weiteres beseitigen. Weder kann eine Anfechtbarkeit durch eine rückwirkende Beseitigung des Gewinnauszahlungsanspruchs begründet werden noch wird die Anfechtbarkeit umkehrt dadurch ausgeschlossen, dass die ursprüngliche Unwirksamkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses durch Zeitablauf nicht mehr geltend gemacht werden kann.
Weiterhin schließt der Schutz des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Anfechtung nach den §§ 129 ff InsO nicht aus. Das gilt auch für eine Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO. Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten für eine entsprechende Wertentscheidung des Gesetzgebers. § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG ist Teil eines aktienrechtlichen Regelungssystems von gesellschaftsrechtlichen Rückgewähransprüchen. Indem unberechtigte Zuwendungen in das Vermögen der Gesellschaft zurückgeführt werden, dient der Anspruch dem im Recht der Aktiengesellschaft zentralen Grundsatz der Kapitalerhaltung. Es handelt sich um einen spezifisch aktienrechtlichen Anspruch, der sich im Sinne der Kapitalerhaltung von anderen Ansprüchen abgrenzt, welche die Rückforderung zu Unrecht empfangener Zuwendungen grundsätzlich ermöglichen. Vor dem Hintergrund des bezweckten Schutzes der Kapitalerhaltung ist das Gesamtgefüge der Norm zu sehen. Das gilt nicht nur für § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG, der den Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers über die Kapitalerhaltung stellt. Auch die Verjährungsregelungen in § 62 Abs. 3 AktG sind Gegenstand eines solchen Abwägungsvorgangs. Dies gilt letztlich auch für die von § 62 Abs. 2 AktG getroffenen Regelungen über die Rechtsverfolgung durch die Gesellschaftsgläubiger.
Das Insolvenzanfechtungsrecht der §§ 129 ff InsO stellt das insolvenzrechtliche Regelungssystem zur Sicherstellung einer möglichst weitgehenden Gläubigerbefriedigung dar. Das Insolvenzanfechtungsrecht hat die Aufgabe, den Bestand des den Gläubigern haftenden Schuldnervermögens dadurch wiederherzustellen, dass Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht werden, die insbesondere in der Zeit der Krise vor der Verfahrenseröffnung zum Nachteil der Gläubiger vorgenommen worden sind. Zur Rückgängigmachung der Wirkungen gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen und dem damit verbundenen Eingriff in die Rechtsposition des Anfechtungsgegners bedarf es eines rechtfertigenden Grunds. Ob ein solcher Grund vorliegt, beantworten die §§ 129 ff InsO. Bei unentgeltlichen Leistungen des Schuldners beschränkt § 134 Abs. 1 InsO die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs, während § 143 Abs. 2 InsO auf der Rechtsfolgenseite den guten Glauben des Erwerbers schützt.
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