Bestimmung der Angemessenheit der Abfindung außenstehender Aktionäre anhand des Börsenwerts der Gesellschaft
BGH v. 21.2.2023 - II ZB 12/21
Der Sachverhalt:
Die Antragsteller waren Aktionäre der W. AG, deren Unternehmensgegenstand der Erwerb und die Verwaltung von in- und ausländischen Immobilien und Immobiliengesellschaften war. Die Aktien der W. AG wurden im regulierten Markt der Frankfurter Börse (Prime Standard) sowie an den Börsen in Stuttgart und Hamburg gehandelt. Die Antragsgegnerin ist die T. AG. Ihr Unternehmensgegenstand ist das Betreiben von Immobiliengeschäften und damit zusammenhängenden Geschäfte. Ihre Aktien waren zum Handel im regulierten Markt der Frankfurter Börse (Prime Standard) zugelassen und gehörten u.a. dem SDAX, dem EPRA/NAREIT Global, dem EPRA/NAREIT Europe und dem EOR/NAREIT Germany an.
Am 10.5.2017 beschlossen der Vorstand und der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin, den Aktionären der W. AG ein freiwilliges Übernahmeangebot über jeweils 23 Aktien der W. AG im Tausch gegen 4 Aktien der T. AG zu unterbreiten. Der von der BaFin nach § 31 Abs. 1, 7 WpÜG i.V.m. § 5 WpÜG-AV berechnete gültige Mindestpreis der Aktie betrug für drei Monate vor dem 10.5 2017 für die W. AG 3,03 € und für die Antragsgegnerin 18,13 €. Das Angebot wurde am 27.6.2017 veröffentlicht. Bis zum Ablauf der bis zum 26.9.2017 verlängerten Annahmefrist nahmen Aktionäre mit einer Beteiligung i.H.v. 85,89 % des Grundkapitals der W. AG das Angebot an. Am 29.9.2017 gaben die W. AG und die Antragsgegnerin ihre Absicht bekannt, einen Beherrschungsvertrag mit der W. AG als beherrschter und der Antragsgegnerin als herrschender Gesellschaft zu schließen. Der Vertrag wurde am 6.10.2017 auf unbestimmte Zeit geschlossen. Der von der BaFin nach § 31 Abs. 1, 7 WpÜG i.V.m. § 5 WpÜG-AV berechnete gültige Mindestpreis der Aktie betrug für drei Monate vor dem 29.9.2017 für die W. AG 3,20 € und für die Antragsgegnerin 18,37 €. Der umsatzgewichtete Börsenkurs auf Grundlage der von S & P Capital IQ veröffentlichten Börsenumsätze für diesen Zeitraum betrug für die W. AG 3,21 € und für die Antragsgegnerin 18,36 €.
Zur Festsetzung der Höhe der angemessenen Kompensation der außenstehenden Aktionäre in dem Beherrschungsvertrag bedienten sich die W. AG und die Antragsgegnerin einer gutachterlichen Stellungnahme von V., die aufgrund der nach IDW S 1 2008 errechneten anteiligen Ertragswerte für die W. AG von 3,40 € und für die Antragsgegnerin von 20,58 € ein Umtauschverhältnis i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 AktG von 23 Aktien der W. AG zu 4 Aktien der Antragsgegnerin ermittelte. Als angemessenen festen Ausgleich der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG bestimmte das Bewertungsgutachten 0,11 € netto bzw. 0,13 € brutto je Aktie. Die nach § 293b Abs. 1 AktG vom Landgericht bestellte Vertragsprüferin B. GmbH (im Folgenden: Vertragsprüferin) bestätigte das Umtauschverhältnis. Dem Beherrschungsvertrag mit der entsprechenden Abfindung und dem entsprechenden Ausgleich stimmten die Aktionäre der W. AG am 17.11.2017 und die Aktionäre der Antragsgegnerin am 22.11.2017 zu. Die Antragsteller leiteten neben anderen außenstehenden Aktionären zur gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit von Abfindung und Ausgleich ein Spruchverfahren mit den Anträgen ein, eine höhere Abfindung und einen höheren Ausgleich festzusetzen.
LG und OLG wiesen die Anträge zurück. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Abfindung der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG i.H.v. 23 Aktien der W. AG zu 4 Aktien der Antragsgegnerin und die Festlegung des Ausgleichs der außenstehenden Aktionäre nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG auf 0,11 € netto bzw. 0,13 € brutto je Aktie angemessen sind.
Die Angemessenheit der Abfindung der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 305 AktG kann anhand des Börsenwerts der Gesellschaft bestimmt werden. Im Fall der Abfindung in Aktien nach § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG kann dazu die Wertrelation zwischen den beteiligten Gesellschaften anhand ihrer Börsenkurse ermittelt werden. Das OLG hat die Unternehmenswerte der W. AG und der Antragsgegnerin nach dem Börsenwert bestimmt und zutreffend auf den Durchschnittskurs innerhalb eines Referenzzeitraums von drei Monaten vor dem Stichtag der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme am 29.9.2017 abgestellt.
Der Börsenwert einer Gesellschaft kann geeignet sein, sowohl deren bisherige Ertragslage als auch deren künftige Ertragsaussichten im Einzelfall hinreichend abzubilden und kann daher Grundlage für den gem. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG zu bestimmenden angemessenen festen Ausgleich sein. Bewertungsmethoden sind keine Rechtsnormen und ähneln ihnen nicht, so dass das Gericht hieran nicht gebunden ist. Eine marktorientierte Bewertung einer Unternehmensbeteiligung auf Grundlage des Börsenkurses des Unternehmens steht, genauso wie die Schätzung auf Grundlage der Ertragswertmethode, des Discounted-Cash-flow-Verfahrens und ausnahmsweise des Liquidationswerts, als Methode mit Art. 14 GG in Einklang. Eine Methode scheidet nur aus, wenn sie aufgrund der Umstände des konkreten Falls nicht geeignet ist, den "wahren" Wert abzubilden. Die marktorientierte Methode der Heranziehung des Börsenwerts einer Gesellschaft ist grundsätzlich als Grundlage für die Schätzung des Werts einer Beteiligung an dieser Gesellschaft geeignet.
Rechtsfehlerfrei hat nach diesen Grundsätzen das OLG die Angemessenheit der vereinbarten Abfindung der außenstehenden Aktionäre der W. AG anhand der Börsenkurse beider Gesellschaften überprüft. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben ohne Erfolg. Einen Rechtsfehler bei der Überzeugungsbildung zeigt die Rechtsbeschwerde mit ihren Rügen der Verletzung von § 287 ZPO und Art. 14 GG nicht auf, sondern versucht damit lediglich, die vom Tatrichter gewählte marktorientierte Bewertungsmethode durch die von ihr für besser geeignet gehaltene Ertragswertmethode zu ersetzen.
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Die Antragsteller waren Aktionäre der W. AG, deren Unternehmensgegenstand der Erwerb und die Verwaltung von in- und ausländischen Immobilien und Immobiliengesellschaften war. Die Aktien der W. AG wurden im regulierten Markt der Frankfurter Börse (Prime Standard) sowie an den Börsen in Stuttgart und Hamburg gehandelt. Die Antragsgegnerin ist die T. AG. Ihr Unternehmensgegenstand ist das Betreiben von Immobiliengeschäften und damit zusammenhängenden Geschäfte. Ihre Aktien waren zum Handel im regulierten Markt der Frankfurter Börse (Prime Standard) zugelassen und gehörten u.a. dem SDAX, dem EPRA/NAREIT Global, dem EPRA/NAREIT Europe und dem EOR/NAREIT Germany an.
Am 10.5.2017 beschlossen der Vorstand und der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin, den Aktionären der W. AG ein freiwilliges Übernahmeangebot über jeweils 23 Aktien der W. AG im Tausch gegen 4 Aktien der T. AG zu unterbreiten. Der von der BaFin nach § 31 Abs. 1, 7 WpÜG i.V.m. § 5 WpÜG-AV berechnete gültige Mindestpreis der Aktie betrug für drei Monate vor dem 10.5 2017 für die W. AG 3,03 € und für die Antragsgegnerin 18,13 €. Das Angebot wurde am 27.6.2017 veröffentlicht. Bis zum Ablauf der bis zum 26.9.2017 verlängerten Annahmefrist nahmen Aktionäre mit einer Beteiligung i.H.v. 85,89 % des Grundkapitals der W. AG das Angebot an. Am 29.9.2017 gaben die W. AG und die Antragsgegnerin ihre Absicht bekannt, einen Beherrschungsvertrag mit der W. AG als beherrschter und der Antragsgegnerin als herrschender Gesellschaft zu schließen. Der Vertrag wurde am 6.10.2017 auf unbestimmte Zeit geschlossen. Der von der BaFin nach § 31 Abs. 1, 7 WpÜG i.V.m. § 5 WpÜG-AV berechnete gültige Mindestpreis der Aktie betrug für drei Monate vor dem 29.9.2017 für die W. AG 3,20 € und für die Antragsgegnerin 18,37 €. Der umsatzgewichtete Börsenkurs auf Grundlage der von S & P Capital IQ veröffentlichten Börsenumsätze für diesen Zeitraum betrug für die W. AG 3,21 € und für die Antragsgegnerin 18,36 €.
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LG und OLG wiesen die Anträge zurück. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Abfindung der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG i.H.v. 23 Aktien der W. AG zu 4 Aktien der Antragsgegnerin und die Festlegung des Ausgleichs der außenstehenden Aktionäre nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG auf 0,11 € netto bzw. 0,13 € brutto je Aktie angemessen sind.
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Rechtsfehlerfrei hat nach diesen Grundsätzen das OLG die Angemessenheit der vereinbarten Abfindung der außenstehenden Aktionäre der W. AG anhand der Börsenkurse beider Gesellschaften überprüft. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben ohne Erfolg. Einen Rechtsfehler bei der Überzeugungsbildung zeigt die Rechtsbeschwerde mit ihren Rügen der Verletzung von § 287 ZPO und Art. 14 GG nicht auf, sondern versucht damit lediglich, die vom Tatrichter gewählte marktorientierte Bewertungsmethode durch die von ihr für besser geeignet gehaltene Ertragswertmethode zu ersetzen.
Aufsatz:
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Christian E. Decher, AG 2023, 106
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Stephan in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2020
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