Dieselklage gegen Audi: Schadensersatz auch bei Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts
BGH v. 16.12.2021 - VII ZR 389/21
Hintergrund:
In dem ursprünglich ebenfalls zur Verhandlung anstehenden Verfahren VII ZR 256/21, das die Haftung der Audi AG und der Volkswagen AG für die sog. Aufheizstrategie betraf, ist die Revision der beiden beklagten Motor- bzw. Fahrzeugherstellerinnen zurückgenommen worden.
Der Sachverhalt:
Der Kläger erwarb im Februar 2017 einen von der beklagten Audi AG hergestellten Audi A6 Avant 3.0 TDI (Euro 6) als Gebrauchtwagen zum Preis von 46.800 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 897 ausgestattet. Der Kaufpreis wurde finanziert über ein Darlehen der Audi Bank. Der Darlehensvertrag verbriefte ein Rückgaberecht des Klägers dergestalt, dass er das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schlussrate in der 9. Kalenderwoche 2021 an die Verkäuferin zu einem bereits festgelegten Kaufpreis zurückübertragen konnte. Der Kläger hat davon keinen Gebrauch gemacht.
Das Fahrzeug unterlag einem im Jahr 2018 erlassenen verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems. Der Kläger ließ ein vom KBA freigegebenes Software-Update im Januar 2019 auf sein Fahrzeug aufspielen. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Erstattung des Kaufpreises und der Finanzierungskosten unter Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Schaden des Klägers ist nicht dadurch nachträglich entfallen, dass er das verbriefte Rückgaberecht, das ihm bei der Finanzierung des Fahrzeugkaufpreises eingeräumt worden war, nicht ausgeübt, sondern das Finanzierungsdarlehen vollständig abgelöst hat. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung hätte der Kläger den Kaufvertrag in Kenntnis der - revisionsrechtlich zu unterstellenden - unzulässigen Abschalteinrichtung und wegen des daraus resultierenden Stilllegungsrisikos nicht abgeschlossen. Der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung.
Dass der Kläger das Darlehen vollständig ablöste, anstatt das Fahrzeug zu den beim Erwerb festgelegten Konditionen an die Verkäuferin zurückzugeben, macht diese Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts nicht ungeschehen. Der Nichtausübung des Rückgaberechts ist keine Zustimmung zu dem ursprünglich ungewollten Vertragsschluss zu entnehmen. Allein der Fortführung des ursprünglich geschlossenen Finanzierungsvertrages durch Zahlung der Schlussrate kommt kein Bestätigungswille im Hinblick auf den Kaufvertrag zu. Dem Kläger ist auch keine Verletzung einer Obliegenheit zur Schadensminderung anzulasten. Das Risiko, bei Ausübung des Rückgaberechts wirtschaftlich schlechter zu stehen als bei einem Vorgehen - wie hier - im Wege des Schadensersatzes gem. § 249 Abs. 1 BGB, musste der Kläger nicht eingehen.
Die Rechtsprechung des Senats zur Berechnung des Nutzungsersatzes im Rahmen von Leasingverträgen (vgl. BGH v. 16.9.2021 - VII ZR 192/20 Rn. 40 ff.)ist auf den finanzierten Eigentumserwerb unter Einräumung eines Rückgaberechts nicht übertragbar. Die Darlehensraten sind keine Gegenleistung für die Einräumung der Nutzungsmöglichkeit. Ein Leasingnehmer erwirbt nur die Möglichkeit zur Nutzung für einen begrenzten, vorher festgelegten Zeitraum zu bestimmten, mit dem Leasinggeber vereinbarten Bedingungen. Dagegen beruht der fremdfinanzierte Kauf trotz der Rückgabeoption auf einer Investitionsentscheidung, die von vornherein auf den Eigentumserwerb gerichtet ist und dem Erwerber erst die Möglichkeit verschafft, das Fahrzeug dem Finanzierungsgeber zur Sicherung zu übereignen. Ein widersprüchliches, womöglich den Anspruch gem. § 242 BGB ausschließendes Verhalten des jeweiligen Klägers ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.
Da das OLG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB getroffen hat, war die Sache nicht zur Endentscheidung reif.
Mehr zum Thema:
BGH PM Nr. 228 vom 16.12.2021
In dem ursprünglich ebenfalls zur Verhandlung anstehenden Verfahren VII ZR 256/21, das die Haftung der Audi AG und der Volkswagen AG für die sog. Aufheizstrategie betraf, ist die Revision der beiden beklagten Motor- bzw. Fahrzeugherstellerinnen zurückgenommen worden.
Der Sachverhalt:
Der Kläger erwarb im Februar 2017 einen von der beklagten Audi AG hergestellten Audi A6 Avant 3.0 TDI (Euro 6) als Gebrauchtwagen zum Preis von 46.800 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 897 ausgestattet. Der Kaufpreis wurde finanziert über ein Darlehen der Audi Bank. Der Darlehensvertrag verbriefte ein Rückgaberecht des Klägers dergestalt, dass er das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schlussrate in der 9. Kalenderwoche 2021 an die Verkäuferin zu einem bereits festgelegten Kaufpreis zurückübertragen konnte. Der Kläger hat davon keinen Gebrauch gemacht.
Das Fahrzeug unterlag einem im Jahr 2018 erlassenen verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems. Der Kläger ließ ein vom KBA freigegebenes Software-Update im Januar 2019 auf sein Fahrzeug aufspielen. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Erstattung des Kaufpreises und der Finanzierungskosten unter Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Schaden des Klägers ist nicht dadurch nachträglich entfallen, dass er das verbriefte Rückgaberecht, das ihm bei der Finanzierung des Fahrzeugkaufpreises eingeräumt worden war, nicht ausgeübt, sondern das Finanzierungsdarlehen vollständig abgelöst hat. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung hätte der Kläger den Kaufvertrag in Kenntnis der - revisionsrechtlich zu unterstellenden - unzulässigen Abschalteinrichtung und wegen des daraus resultierenden Stilllegungsrisikos nicht abgeschlossen. Der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung.
Dass der Kläger das Darlehen vollständig ablöste, anstatt das Fahrzeug zu den beim Erwerb festgelegten Konditionen an die Verkäuferin zurückzugeben, macht diese Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts nicht ungeschehen. Der Nichtausübung des Rückgaberechts ist keine Zustimmung zu dem ursprünglich ungewollten Vertragsschluss zu entnehmen. Allein der Fortführung des ursprünglich geschlossenen Finanzierungsvertrages durch Zahlung der Schlussrate kommt kein Bestätigungswille im Hinblick auf den Kaufvertrag zu. Dem Kläger ist auch keine Verletzung einer Obliegenheit zur Schadensminderung anzulasten. Das Risiko, bei Ausübung des Rückgaberechts wirtschaftlich schlechter zu stehen als bei einem Vorgehen - wie hier - im Wege des Schadensersatzes gem. § 249 Abs. 1 BGB, musste der Kläger nicht eingehen.
Die Rechtsprechung des Senats zur Berechnung des Nutzungsersatzes im Rahmen von Leasingverträgen (vgl. BGH v. 16.9.2021 - VII ZR 192/20 Rn. 40 ff.)ist auf den finanzierten Eigentumserwerb unter Einräumung eines Rückgaberechts nicht übertragbar. Die Darlehensraten sind keine Gegenleistung für die Einräumung der Nutzungsmöglichkeit. Ein Leasingnehmer erwirbt nur die Möglichkeit zur Nutzung für einen begrenzten, vorher festgelegten Zeitraum zu bestimmten, mit dem Leasinggeber vereinbarten Bedingungen. Dagegen beruht der fremdfinanzierte Kauf trotz der Rückgabeoption auf einer Investitionsentscheidung, die von vornherein auf den Eigentumserwerb gerichtet ist und dem Erwerber erst die Möglichkeit verschafft, das Fahrzeug dem Finanzierungsgeber zur Sicherung zu übereignen. Ein widersprüchliches, womöglich den Anspruch gem. § 242 BGB ausschließendes Verhalten des jeweiligen Klägers ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.
Da das OLG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB getroffen hat, war die Sache nicht zur Endentscheidung reif.
- Aufsatz: Der Haftungsausfüllungstatbestand in "Dieselklagen" (Grigoleit, ZIP 2021, 1993)
- Aufsatz: Konzernrechtliche Zurechnungsfragen bei § 826 BGB (Servatius, ZIP 2021, 1144)
- Kurzbeitrag: BGH zur Haftung der Audi AG im VW-Dieselskandal (ZIP 2021, R19)
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