Dolo-agit-Einwand des Gesellschafters gegen einen vor dem 1.11.2008 entstandenen Erstattungsanspruch
BGH v. 18.4.2023 - II ZR 37/22
Der Sachverhalt:
Der BGH hatte in einer Gesellschaftsrechtssache Gelegenheit, sich zu der umstrittenen Frage zu äußern, ob der Gesellschafter seiner Inanspruchnahme wegen eines vor dem 1.11.2008 entstandenen Erstattungsanspruchs nach den sog. Rechtsprechungsregeln entsprechend §§ 30, 31 GmbHG aF den dolo-agit-Einwand aus § 242 BGB entgegenhalten kann.
Die Gründe:
Nach richtiger Auffassung kann der Gesellschafter gegen die Inanspruchnahme aus einem vor dem 1.11.2008 entstandenen Erstattungsanspruch nach den sog. Rechtsprechungsregeln entsprechend §§ 30, 31 GmbHG aF gemäß § 242 BGB einwenden, dass das zu Erstattende im Hinblick auf einen Darlehensrückzahlungsanspruch gleich wieder zurückzugewähren wäre (dolo agit, qui petit quod statim redditurus est).
Nach der Rechtsprechung des Senats kann einem auf § 31 Abs. 1 GmbHG aF gestützten Erstattungsanspruch allerdings eine Gegenforderung nicht im Wege der Aufrechnung oder der Erhebung des dolo-agit-Einwands entgegenhalten werden, denn das widerspräche dem Gebot der realen Kapital(wieder)aufbringung. § 31 GmbHG gebietet dem Empfänger der verbotenen Auszahlung, mit der einzigen Ausnahme des in seinem Absatz 2 geregelten Falls, uneingeschränkt die Rückzahlung des Betrags an die Gesellschaft. Es ist den Gesellschaftern vorbehalten, über die Verwendung der Rückzahlung nach Maßgabe der inneren Verhältnisse der Gesellschaft und etwa bestehender Verpflichtungen zu entscheiden.
Diese Grundsätze gelten für einen vor dem 1.11.2008 entstandenen Erstattungsanspruch nach den sog. Rechtsprechungsregeln entsprechend §§ 30, 31 GmbHG aF nach dem Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr, weil der Gläubigerschutz ab dem 1.11.2008 nicht mehr durch das Gebot der realen Kapital(wieder)aufbringung realisiert wird, sondern durch § 39 Abs. 1 Nr. 5, §§ 44a, 135 InsO.
Nach den aus §§ 30, 31 GmbHG aF hergeleiteten Rechtsprechungsregeln über den Eigenkapitalersatz wurde ein Gesellschafterdarlehen in der Krise der Gesellschaft wie haftendes Eigenkapital und nicht als rückzahlbares Darlehen behandelt. Daraus folgte für die Dauer der Gesellschaftskrise das Verbot, das Darlehen an den Gesellschafter zurückzuzahlen. Gleichwohl erhaltene (verbotene) Darlehenstilgungen hatte der Gesellschafter der Gesellschaft zu erstatten.
Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG in der Fassung des MoMiG vom 23.10.2008 wird § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht mehr auf die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Leistungen angewandt.
Als Ausgleich für den Verzicht auf das Rechtsinstitut des Kapitalersatzes wurden zur Vermeidung von Schutzlücken die Novellenregeln der §§ 32a, 32b GmbHG aF in das Insolvenzrecht verlagert und insbesondere § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgeweitet. Bei der insolvenzrechtlichen Behandlung von Gesellschafterdarlehen wird nunmehr generell auf das Merkmal "kapitalersetzend" verzichtet und jedes Gesellschafterdarlehen dem Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterworfen. In Konsequenz dieser Änderung wird durch eine Verschärfung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Rückgewähr jedes - und nicht nur eines kapitalersetzenden - Gesellschafterdarlehens durch die Gesellschaft binnen eines Jahres vor Antragstellung von der Insolvenzanfechtung erfasst, ohne dass wie früher das Erfordernis einer Gesellschaftskrise hinzutreten muss.
Demgegenüber kann die Rückzahlung eines zuvor eigenkapitalersetzenden Darlehens nach dem Wegfall der Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz am 1.11.2008 durch einen Gesellschafter und erst recht durch gesellschaftsfremde Dritte durchgesetzt werden.
Der vor dem 1.11.2008 entstandene Erstattungsanspruch unterliegt danach nicht mehr dem für Erstattungsansprüche nach §§ 30, 31 GmbHG vorgesehenen Gläubigerschutz.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Anfechtbarkeit der Ausschüttung eines Gewinnvortrags an einen Gesellschafter als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung
BGH vom 22.7.2021 - IX ZR 195/20
ZIP 2021, 1822
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Gesellschaftsrecht:
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BGH online
Der BGH hatte in einer Gesellschaftsrechtssache Gelegenheit, sich zu der umstrittenen Frage zu äußern, ob der Gesellschafter seiner Inanspruchnahme wegen eines vor dem 1.11.2008 entstandenen Erstattungsanspruchs nach den sog. Rechtsprechungsregeln entsprechend §§ 30, 31 GmbHG aF den dolo-agit-Einwand aus § 242 BGB entgegenhalten kann.
Die Gründe:
Nach richtiger Auffassung kann der Gesellschafter gegen die Inanspruchnahme aus einem vor dem 1.11.2008 entstandenen Erstattungsanspruch nach den sog. Rechtsprechungsregeln entsprechend §§ 30, 31 GmbHG aF gemäß § 242 BGB einwenden, dass das zu Erstattende im Hinblick auf einen Darlehensrückzahlungsanspruch gleich wieder zurückzugewähren wäre (dolo agit, qui petit quod statim redditurus est).
Nach der Rechtsprechung des Senats kann einem auf § 31 Abs. 1 GmbHG aF gestützten Erstattungsanspruch allerdings eine Gegenforderung nicht im Wege der Aufrechnung oder der Erhebung des dolo-agit-Einwands entgegenhalten werden, denn das widerspräche dem Gebot der realen Kapital(wieder)aufbringung. § 31 GmbHG gebietet dem Empfänger der verbotenen Auszahlung, mit der einzigen Ausnahme des in seinem Absatz 2 geregelten Falls, uneingeschränkt die Rückzahlung des Betrags an die Gesellschaft. Es ist den Gesellschaftern vorbehalten, über die Verwendung der Rückzahlung nach Maßgabe der inneren Verhältnisse der Gesellschaft und etwa bestehender Verpflichtungen zu entscheiden.
Diese Grundsätze gelten für einen vor dem 1.11.2008 entstandenen Erstattungsanspruch nach den sog. Rechtsprechungsregeln entsprechend §§ 30, 31 GmbHG aF nach dem Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr, weil der Gläubigerschutz ab dem 1.11.2008 nicht mehr durch das Gebot der realen Kapital(wieder)aufbringung realisiert wird, sondern durch § 39 Abs. 1 Nr. 5, §§ 44a, 135 InsO.
Nach den aus §§ 30, 31 GmbHG aF hergeleiteten Rechtsprechungsregeln über den Eigenkapitalersatz wurde ein Gesellschafterdarlehen in der Krise der Gesellschaft wie haftendes Eigenkapital und nicht als rückzahlbares Darlehen behandelt. Daraus folgte für die Dauer der Gesellschaftskrise das Verbot, das Darlehen an den Gesellschafter zurückzuzahlen. Gleichwohl erhaltene (verbotene) Darlehenstilgungen hatte der Gesellschafter der Gesellschaft zu erstatten.
Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG in der Fassung des MoMiG vom 23.10.2008 wird § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht mehr auf die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Leistungen angewandt.
Als Ausgleich für den Verzicht auf das Rechtsinstitut des Kapitalersatzes wurden zur Vermeidung von Schutzlücken die Novellenregeln der §§ 32a, 32b GmbHG aF in das Insolvenzrecht verlagert und insbesondere § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgeweitet. Bei der insolvenzrechtlichen Behandlung von Gesellschafterdarlehen wird nunmehr generell auf das Merkmal "kapitalersetzend" verzichtet und jedes Gesellschafterdarlehen dem Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterworfen. In Konsequenz dieser Änderung wird durch eine Verschärfung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Rückgewähr jedes - und nicht nur eines kapitalersetzenden - Gesellschafterdarlehens durch die Gesellschaft binnen eines Jahres vor Antragstellung von der Insolvenzanfechtung erfasst, ohne dass wie früher das Erfordernis einer Gesellschaftskrise hinzutreten muss.
Demgegenüber kann die Rückzahlung eines zuvor eigenkapitalersetzenden Darlehens nach dem Wegfall der Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz am 1.11.2008 durch einen Gesellschafter und erst recht durch gesellschaftsfremde Dritte durchgesetzt werden.
Der vor dem 1.11.2008 entstandene Erstattungsanspruch unterliegt danach nicht mehr dem für Erstattungsansprüche nach §§ 30, 31 GmbHG vorgesehenen Gläubigerschutz.
Rechtsprechung:
Anfechtbarkeit der Ausschüttung eines Gewinnvortrags an einen Gesellschafter als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung
BGH vom 22.7.2021 - IX ZR 195/20
ZIP 2021, 1822
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