08.04.2022

KapMuG: Gegenstandsloser Vorlagebeschluss wegen des Vorrangs spezialgesetzlicher Prospekthaftung

Ergibt in einem Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz die Auslegung eines auf Feststellung eines Prospektfehlers gerichteten Feststellungsziels, dass der Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden soll, und wird ein solcher Anspruch durch die spezialgesetzliche Prospekthaftung verdrängt, ist der Vorlagebeschluss insoweit gegenstandslos.

BGH v. 22.2.2022 - XI ZB 32/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem KapMuG darüber, ob der am 4.7.2008 aufgestellte Prospekt zu der unter dem Namen G. G. B. angebotenen Beteiligung an der Reederei MS "G. H. " GmbH & Co. KG (Fondsgesellschaft) fehlerhaft ist und ob die Musterbeklagte hierfür aufgrund Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten in Anspruch genommen werden kann. Die Musterbeklagte ist Treuhandkommanditistin der Fondsgesellschaft. Im Prospekt ist auf den Seiten 18 und 19 zudem Folgendes ausgeführt:

"Am 20.6.2008 erfolgte eine wirtschaftliche Neugründung der Emittentin. G. H. mbH, L., sowie G. T. GmbH, L., treten mit Datum vom 20.6.2008 als Kommanditisten mit einer Einlage von jeweils TEUR 5 ein.

Gründungsgesellschafter der Emittentin im Sinne der wirtschaftlichen Neugründung der Emittentin sind G. H. mbH, G. T. GmbH, G.H.S. GmbH & Co. KG sowie als persönlich haftende Gesellschafterin die E. B. V. GmbH.

Die Einlagen der Kommanditisten sind zum Zeitpunkt der Aufstellung dieses Verkaufsprospektes eingezahlt."

Der Musterkläger und die Beigeladenen verlangen in den Ausgangsverfahren von der Musterbeklagten Schadensersatz wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beteiligung an der Fondsgesellschaft. Weitere Musterbeklagte gibt es nicht.

Das LG hat dem OLG Feststellungsziele zum Zweck der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. Mit ihnen wird soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse geltend gemacht, dass der Prospekt fehlerhaft sei, weil entgegen der Prospektdarstellung eine effektive Überwachung der prospektgemäßen Mittelverwendungskontrolle des Emissionskapitals durch einen unabhängigen Rechtsanwalt tatsächlich nicht gewährleistet gewesen sei (Feststellungsziel 4), keine Angaben zu möglichen Interessenkollisionen zwischen dem Mittelverwendungskontrolleur, der Beklagten und der G. H. mbH gemacht worden seien (Feststellungsziel 5), es aufgrund des gegen den Mittelverwendungskontrolleur eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und/oder dessen Verurteilung eines Nachtrags bedurft hätte (Feststellungsziel 6), kein ordnungsgemäßer und ausreichender Hinweis auf das Risiko des Verlustes von Schiff, Ladung und Besatzung durch Piraterie oder Kriegseinwirkungen enthalten sei (Feststellungsziel 7) und weil es eines Nachtrags hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der auf Seite 119 abgedruckten Widerrufsbelehrung bedurft hätte (Feststellungsziel 9).

Das OLG wies die Feststellungsziele mit Musterentscheid als unbegründet zurück. Gegen den Musterentscheid legten der Musterkläger und ein Beigeladener Rechtsbeschwerde ein. Sie wenden sich gegen die Zurückweisung der Feststellungsziele und verfolgen ihr Feststellungsbegehren hinsichtlich der Feststellungsziele 4, 5, 6, 7 und 9 weiter. Auf Seiten des Musterklägers sind 17 Beigeladene dem Rechtsbeschwerdeverfahren beigetreten. Der BGH hob den Musterentscheid des OLG auf, soweit die Anträge zu den Feststellungszielen 4, 5, 6, 7 und 9 zurückgewiesen worden sind, und entschied, dass der Vorlagebeschluss des LG hinsichtlich der Feststellungsziele 4, 5, 6, 7 und 9 gegenstandslos ist.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerden des Musterrechtsbeschwerdeführers und des weiteren Rechtsbeschwerdeführers haben im Ergebnis keinen Erfolg. Sie führen nur dazu, dass die von den Rechtsbeschwerden weiterverfolgten Feststellungsziele nicht als unbegründet zurückgewiesen werden, sondern dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich dieser Feststellungsziele gegenstandslos ist.

Es kann dahinstehen, ob das OLG zu Recht davon ausgegangen ist, dass keine Prospektfehler vorliegen. Denn die Rechtsbeschwerden haben bereits aus einem anderen Grund im Ergebnis keinen Erfolg. Die mit den Feststellungszielen behaupteten Prospektfehler sind ausschließlich als anspruchsbegründende Tatsachen eines Anspruchs wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung geltend gemacht worden. Wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung fehlt es für die Frage, ob Prospektfehler vorliegen, jedoch am Sachentscheidungsinteresse, so dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich der mit den Rechtsbeschwerden weiterverfolgten Feststellungsziele gegenstandslos ist.

Ein Feststellungsziel ist vor dem Hintergrund der Norm zu beurteilen, aus der der Schadensersatzanspruch abgeleitet wird. Daraus ergibt sich zum einen, was überhaupt Feststellungsziel sein kann, und zum anderen, wie weit die Bindungswirkung des Musterentscheids reicht. Da ein Prospektfehler haftungsbegründend für unterschiedliche Anspruchsnormen sein kann, kann bei einem auf Feststellung eines Prospektfehlers gerichteten Feststellungsziel eine Auslegung dahingehend erforderlich sein, ob der Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung eines bestimmten Anspruchs geltend gemacht wird oder ob eine derartige Einschränkung nicht besteht. Wie bereits der Vorlagebeschluss ausführt, dienen vorliegend die Feststellungsziele ausschließlich dazu, eine Haftung der Musterbeklagten "wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten" zu begründen, da der Prospekt nach Behauptung der Antragsteller fehlerhafte oder irreführende bzw. unvollständige Angaben zu der Schiffsbeteiligung enthalte. Übereinstimmend damit stellt der Musterentscheid fest, dass die Parteien über die Frage streiten, ob die Musterbeklagte vorvertragliche Aufklärungspflichten durch die Verwendung eines Verkaufsprospekts verletzt hat.

Eine Haftung der Musterbeklagten als Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB kann nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt. Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. haften neben denjenigen, die für den Prospekt i.S.d. § 8g VerkProspG a.F. die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht. Damit sollen die Personen und Unternehmen getroffen werden, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F. ist von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes als Prospektveranlasser u.a. dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospekts verantwortlich ist. Ausschlaggebend ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist.

Nach diesen Grundsätzen ist die Musterbeklagte Prospektverantwortliche i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F., da sie - was bereits ausreicht und was sich aus dem Prospekt und dem übereinstimmenden Vortrag des Musterrechtsbeschwerdeführers und der Musterrechtsbeschwerdegegnerin ergibt - Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft ist. Ebenfalls ausreichend ist, dass es sich dabei um eine wirtschaftliche Neugründung der Fondsgesellschaft gehandelt hat. Denn diese ist Grundlage der wirtschaftlichen Initiative der Musterbeklagten und des mit dem Prospekt beworbenen Modells. Die Musterbeklagte haftete somit als Prospektveranlasserin für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen. Der Vorlagebeschluss ist dadurch hinsichtlich der mit den Rechtsbeschwerden weiterverfolgten Feststellungsziele 4, 5, 6, 7 und 9 gegenstandslos.

Mehr zum Thema:
  • Aufsatz: Buck-Heeb, Dieckmann - Anlegerschutz durch die Prospekthaftung i.w.S. - was nach der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats bleibt (ZIP 2022, 145)
  • Kurzbeitrag: Harnos, Holle - Mehr Fortschritt wagen: auch im Unternehmensrecht? (AG 2021, R359)
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