Prospekthaftung: Kein "erheblicher Umstand" i.S.v. § 264a StGB bei Abweichung der Werthaltigkeit des Fonds nur um 0,1 %
BGH v. 3.2.2022 - III ZR 84/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den ehemaligen Geschäftsführer auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Beteiligung an dessen GmbH & Co. KG (V KG) in Anspruch, die Kapitalanlagemöglichkeiten anbot. Grundlage der Forderung war die Reduzierung einer Stornohaftungsregelung ggü. einem Vertriebsunternehmen, der den dem Kläger bei Zeichnung vorliegenden Prospekt der V. KG unrichtig werden ließ.
Das LG wies die Klage ab. Das Berufungsgericht wies - nach Aufhebung eines Beschlusses durch das BVerfG - die Berufung des Klägers zurück. Der BGH hob die erneute Abweisung der Klage auf. Danach verurteilte das OLG den Geschäftsführer zur Zahlung von ca. 3.000 €.
Dessen Revision, mit der er die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils anstrebte, hatte vor dem BGH Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die Gründe:
Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 3 aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht kommt. Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Verwirklichung des in § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB normierten Straftatbestands durch den Beklagten zu 3 angenommen hat.
Der dem Kläger bei Zeichnung vorliegende Prospekt der V. KG enthält insofern unrichtige Angaben, als die darin wiedergegebene Regelung über die Stornohaftung im Verhältnis zum Vertriebsunternehmen C. GmbH durch Nachtragsvereinbarung zum Nachteil der V. KG geändert worden ist. Die Nachtragsvereinbarung hat dazu geführt, dass der der V. KG gegen die C. GmbH im Falle von Vertragsstornierungen zustehende Provisionsrückzahlungsanspruch abweichend vom Prospektinhalt reduziert worden ist. Damit ist zugleich die Modellrechnung mit einem Fehler behaftet, weil die darin berücksichtigten Einnahmen durch Provisionsrückzahlungen auf der Grundlage der vorherigen Stornohaftungsregelung ermittelt worden sind.
Die bisherigen Feststellungen tragen aber nicht die Annahme, dass diese Fehler im Prospekt der V. KG erheblich sind.
Das Berufungsgericht hat bei der Bemessung des durch die Nachtragsvereinbarung verursachten durchschnittlichen Provisionsmehraufwands die Berechnungen des Beklagten von "nur 1,4 Mio. €" als richtig unterstellt. Nach dem oben Ausgeführten kann nicht angenommen werden, dass dieser Mehraufwand ein erheblicher Umstand i.S.d. § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass die Modellrechnung in dem Prospekt der V. KG einem potentiellen Anleger Rückschlüsse auf die Werthaltigkeit der Anlage ermöglicht. Es hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, aus denen hervorgeht, dass die Nachtragsvereinbarung mit der C. GmbH - angesichts der vagen und auf einen sehr langen Zeitraum bezogenen Modellrechnung - zu einer verhältnismäßig mehr als nur sehr geringfügigen Reduzierung der seinerzeit zu erwartenden Provisionsrückzahlungsansprüche der V. KG geführt hat und eine Modellrechnung auf der Grundlage der geänderten Stornohaftungsregelung ein wesentlich anderes Bild von der Werthaltigkeit der Anlage gezeichnet hätte.
Der vom Berufungsgericht unterstellte Betrag fällt schon angesichts eines planmäßigen Mittelzuflusses der V. KG aus der Emission i.H.v. 1,2 Mio. € nicht besonders in Gewicht (0,117 %). Erst recht kommt ihm mit Blick auf die Plan-Bilanzen, Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Plan-Liquiditätsrechnungen der V. KG eine untergeordnete Bedeutung zu. So beträgt etwa der Planwert für "Umsatzerlöse/Wertsteigerungen" im Planungszeitraum, bei der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die voraussichtlich zu erwartenden Provisionsrückzahlungen Berücksichtigung gefunden haben, zwischen 2 Mio. € und 4 Mio. € (ergibt einen Anteil von 0,070 % bzw. 0,035 %). Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Änderung der Stornohaftungsregelung durch die Nachtragsvereinbarung - mit den vom Berufungsgericht unterstellten Auswirkungen - nach den Erwartungen des Kapitalmarkts für die Anleger bei ihrer Investitionsentscheidung bedeutsam gewesen ist. Gleiches gilt für die Fehlerhaftigkeit der Modellrechnung.
Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann indessen auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein erheblicher Prospektfehler vorliegt. Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist.
Mehr zum Thema:
BGH online
Der Kläger nimmt den ehemaligen Geschäftsführer auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Beteiligung an dessen GmbH & Co. KG (V KG) in Anspruch, die Kapitalanlagemöglichkeiten anbot. Grundlage der Forderung war die Reduzierung einer Stornohaftungsregelung ggü. einem Vertriebsunternehmen, der den dem Kläger bei Zeichnung vorliegenden Prospekt der V. KG unrichtig werden ließ.
Das LG wies die Klage ab. Das Berufungsgericht wies - nach Aufhebung eines Beschlusses durch das BVerfG - die Berufung des Klägers zurück. Der BGH hob die erneute Abweisung der Klage auf. Danach verurteilte das OLG den Geschäftsführer zur Zahlung von ca. 3.000 €.
Dessen Revision, mit der er die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils anstrebte, hatte vor dem BGH Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die Gründe:
Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 3 aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht kommt. Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Verwirklichung des in § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB normierten Straftatbestands durch den Beklagten zu 3 angenommen hat.
Der dem Kläger bei Zeichnung vorliegende Prospekt der V. KG enthält insofern unrichtige Angaben, als die darin wiedergegebene Regelung über die Stornohaftung im Verhältnis zum Vertriebsunternehmen C. GmbH durch Nachtragsvereinbarung zum Nachteil der V. KG geändert worden ist. Die Nachtragsvereinbarung hat dazu geführt, dass der der V. KG gegen die C. GmbH im Falle von Vertragsstornierungen zustehende Provisionsrückzahlungsanspruch abweichend vom Prospektinhalt reduziert worden ist. Damit ist zugleich die Modellrechnung mit einem Fehler behaftet, weil die darin berücksichtigten Einnahmen durch Provisionsrückzahlungen auf der Grundlage der vorherigen Stornohaftungsregelung ermittelt worden sind.
Die bisherigen Feststellungen tragen aber nicht die Annahme, dass diese Fehler im Prospekt der V. KG erheblich sind.
Das Berufungsgericht hat bei der Bemessung des durch die Nachtragsvereinbarung verursachten durchschnittlichen Provisionsmehraufwands die Berechnungen des Beklagten von "nur 1,4 Mio. €" als richtig unterstellt. Nach dem oben Ausgeführten kann nicht angenommen werden, dass dieser Mehraufwand ein erheblicher Umstand i.S.d. § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass die Modellrechnung in dem Prospekt der V. KG einem potentiellen Anleger Rückschlüsse auf die Werthaltigkeit der Anlage ermöglicht. Es hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, aus denen hervorgeht, dass die Nachtragsvereinbarung mit der C. GmbH - angesichts der vagen und auf einen sehr langen Zeitraum bezogenen Modellrechnung - zu einer verhältnismäßig mehr als nur sehr geringfügigen Reduzierung der seinerzeit zu erwartenden Provisionsrückzahlungsansprüche der V. KG geführt hat und eine Modellrechnung auf der Grundlage der geänderten Stornohaftungsregelung ein wesentlich anderes Bild von der Werthaltigkeit der Anlage gezeichnet hätte.
Der vom Berufungsgericht unterstellte Betrag fällt schon angesichts eines planmäßigen Mittelzuflusses der V. KG aus der Emission i.H.v. 1,2 Mio. € nicht besonders in Gewicht (0,117 %). Erst recht kommt ihm mit Blick auf die Plan-Bilanzen, Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Plan-Liquiditätsrechnungen der V. KG eine untergeordnete Bedeutung zu. So beträgt etwa der Planwert für "Umsatzerlöse/Wertsteigerungen" im Planungszeitraum, bei der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die voraussichtlich zu erwartenden Provisionsrückzahlungen Berücksichtigung gefunden haben, zwischen 2 Mio. € und 4 Mio. € (ergibt einen Anteil von 0,070 % bzw. 0,035 %). Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Änderung der Stornohaftungsregelung durch die Nachtragsvereinbarung - mit den vom Berufungsgericht unterstellten Auswirkungen - nach den Erwartungen des Kapitalmarkts für die Anleger bei ihrer Investitionsentscheidung bedeutsam gewesen ist. Gleiches gilt für die Fehlerhaftigkeit der Modellrechnung.
Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann indessen auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein erheblicher Prospektfehler vorliegt. Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist.
- AUFSATZ: Anlegerschutz durch die Prospekthaftung i.w.S. - was nach der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats bleibt, Petra Buck-Heeb / Andreas Dieckmann, ZIP 2022, 145
- AUFSATZ: Entwicklungen des europäischen Prospektrechts 2019-2021, Jonathan Bauerschmidt, AG 2022, 57
- Beratermodul Kapitalmarktrecht: Diese umfangreiche Online-Bibliothek liefert Premium-Fachwissen zum Kapitalmarktrecht. 4 Wochen gratis nutzen!