Rückgriff auf Börsenkurs einer Gesellschaft als geeignete Methode zur Schätzung des Unternehmenswerts
BGH v. 31.1.2024 - II ZB 5/22Die Antragsteller waren Aktionäre der K. AG (K).. Das Grundkapital der Gesellschaft betrug rd. 88,5 Mio. € und ist eingeteilt in ebenso viele Stückaktien. Die Aktien wurden am regulierten Markt der Frankfurter Börse gehandelt. Antragsgegnerin ist die zur Unternehmensgruppe der V. Group Plc. gehörende V. AG (jetzt V. GmbH; hier: V). Am 12.2.2013 kamen erstmals Gerüchte zu einer möglichen Übernahme der K durch V auf. Die K veröffentlichte am 12.6.2013 eine Ad-hoc Mitteilung, wonach V die K möglicherweise übernehmen wolle, allerdings keine Gewissheit bestehe, ob und zu welchen Bedingungen ein Angebot abgegeben werde. Wenige Tage später folgte eine weitere Ad-hoc Mitteilung der K mit der L. SA als möglicher Erwerberin.
Am 24.6.2013 veröffentlichte die K eine weitere Ad-hoc Mitteilung, wonach V nach wie vor die Absicht habe, die K zu übernehmen und ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot i.H.v. 84,50 € erfolgen werde. Das entsprechende Übernahmeangebot wurde am 30.7.2013 veröffentlicht. In dem Angebot und einer darauf bezogenen gemeinsamen Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat der K vom 2.8.2013 wurde die angebotene Gegenleistung als angemessen eingestuft. Als mögliche Strukturmaßnahme wurde der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bzw. ein Squeeze-out bei Erreichen der entsprechenden Mindestannahmeschwelle genannt. Am 12.9.2013 veröffentlichte V eine Ad-hoc Mitteilung, wonach die Angebotsschwelle von mindestens 75 % erreicht und nunmehr beabsichtigt sei, mit der K einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abzuschließen. Die Kartellfreigabe durch die EU-Kommission erfolgte am 20.9.2013.
In dem Dreimonatszeitraum vor dem 12.2.2013, dem 12.6.2013, dem 30.7.2013 und dem 12.9.2013 lag der von der BaFin ermittelte gewichtete Durchschnittskurs der K-Aktie bei 57,22 €, 72,11 €, 82,19 € und 84,53 € je Aktie. Die von K und V beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ermittelte in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 19.12.2013 für den beabsichtigten Stichtag 13.2.2014 nach dem Ertragswertverfahren einen Wert der K-Aktie i.H.v. 75,76 € je Aktie und, zugunsten der Minderheitsaktionäre ausgehend von dem Übernahmeangebot i.H.v. 84,50 €, einen Ausgleich von 3,77 € je Aktie. Die gerichtlich bestellte Vertragsprüferin hielt in ihrem Prüfbericht vom 20.12.2013 die vorgesehene Kompensation der außenstehenden Aktionäre für angemessen. Am 29.12.2013 schlossen K und V einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, in dem sich die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Barabfindung i.H.v. 84,53 € je Aktie und eines jährlichen festen Ausgleichs i.H.v. 3,77 € an die außenstehenden Aktionäre verpflichtete. Die Hauptversammlung der K stimmte dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag am 13.2.2014 zu, der Beschluss wurde am 13.3.2014 im Handelsregister eingetragen.
Die Antragsteller leiteten neben anderen außenstehenden Aktionären zur gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit von Abfindung und Ausgleich ein Spruchverfahren mit den Anträgen ein, eine höhere Abfindung und einen höheren Ausgleich festzusetzen. Durch Beschluss des LG München I vom 9.6.2016 wurde nach §§ 142 ff. AktG ein Sonderprüfer zur Überprüfung der Handlungen von Vorstand und Aufsichtsrat der K nach dem 31.3.2013 im Zusammenhang mit einer künftigen Übernahme der K durch einen Dritten eingesetzt. Der Sonderprüfer legte unter dem 20.8.2020 einen Bericht vor. Am 22.10.2020 gab V ein nachträgliches öffentliches Erwerbsangebot über eine Abfindung von 103 € pro Aktie ab, dessen Annahme mit der Verpflichtung einherging, das laufende Spruchverfahren zu beenden.
Das LG wies die Anträge zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller hatte vor dem OLG ebenso wenig Erfolg wie die vorliegende Rechtsbeschwerde vor dem BGH.
Die Gründe:
Das OLG ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Abfindung der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 305 Abs. 1, 3 Satz 2 AktG i.H.v. 84,53 € und der Ausgleich der außenstehenden Aktionäre nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG i.H.v. 3,77 € je Aktie angemessen sind.
Die Angemessenheit der Abfindung der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 305 AktG kann anhand des Börsenwerts der Gesellschaft bestimmt werden. Wie der Senat nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung klargestellt hat, ist der Rückgriff auf den Börsenkurs einer Gesellschaft grundsätzlich eine geeignete Methode zur Schätzung des Unternehmenswerts und des Werts der Beteiligung eines außenstehenden Aktionärs im Rahmen des § 305 AktG (BGH, v. 21.2.2023 - II ZB 12/21), wovon auch zutreffend das OLG ausgegangen ist.
Rechtsfehlerfrei hat das OLG danach für die Überprüfung der angemessenen Abfindung der außenstehenden Aktionäre den Börsenkurs der K herangezogen. Dabei hat es den Unternehmenswert der K aus ihren Börsenkursen nicht zur bloßen Plausibilisierung des Werts der Gesellschaft, sondern zur Bestimmung des "wirklichen", "wahren" Werts abgeleitet. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Wahl der marktorientierten Bewertungsmethode durch das OLG greifen nicht durch, weil sie keinen Rechtsfehler aufzeigen und i.Ü. erfolglos versuchen, die tatrichterliche Wahl durch die für besser geeignet gehaltene Ertragswertmethode zu ersetzen.
Der angemessene Ausgleich der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG kann aus dem Börsenwert der Gesellschaft abgeleitet werden. Ob die Ableitung des Ausgleichs aus dem Börsenwert einer Gesellschaft im Einzelfall den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet, ist Teil der (nur eingeschränkt überprüfbaren) tatsächlichen Würdigung des Sachverhalts durch den Tatrichter. Das OLG hat zutreffend angenommen, dass der Börsenwert einer Gesellschaft grundsätzlich geeignet ist, sowohl deren bisherige Ertragslage als auch deren künftige Ertragsaussichten im Einzelfall hinreichend abzubilden und daher Grundlage für den gem. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG zu bestimmenden angemessenen festen Ausgleich sein kann.
Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Marktteilnehmer auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich die Marktbewertung im Börsenkurs der Aktien niederschlägt. Das OLG hat für die Ableitung des festen Ausgleichs nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG ohne Rechtsfehler den Börsenwert der K. als Unternehmenswert gewählt und eine Ableitung mithilfe eines Verrentungszinssatzes von 3,75 % vorgenommen.
Kommentierung | AktG
§ 304 Angemessener Ausgleich
Häller in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4./5. Aufl.
11/2023
Kommentierung | AktG
§ 305 Abfindung
Häller in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4./5. Aufl.
11/2023
Rechtsprechung:
Börsenwert der Gesellschaft als geeigneter Maßstab für Ermittlung der bisherigen Ertragslage und künftiger Ertragsaussichten
BGH vom 21.02.2023 - II ZB 12/21
ZIP 2023, 795
ZIP0054069
Rechtsprechung:
Marktorientierte Unternehmensbewertung anhand des Börsenkurses
BGH vom 21.02.2023 - II ZB 12/21
AG 2023, 443
AG0055657
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