Schadensersatzansprüche gegen Audi wegen Umschaltlogik beim Motortyp EA 189
BGH v. 25.11.2021 - VII ZR 238/20 u.a.In den vier vorliegenden Verfahren nahmen die jeweiligen Klageparteien die beklagte Audi AG als Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Der Kläger im Verfahren VII ZR 238/20 erwarb im April 2014 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi Q5 2.0 TDI als Gebrauchtwagen zum Preis von 20.500 €. Die Klägerin im Verfahren VII ZR 243/20 erwarb im März 2014 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A3 1.6 TDI als Gebrauchtwagen zum Preis von 12.000 €. Der Kläger im Verfahren VII ZR 257/20 erwarb im November 2014 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A5 Sportback 2.0 TDI als Gebrauchtwagen zum Preis von rd. 30.000 €. Der Kläger im Verfahren VII ZR 38/21 erwarb im Juni 2009 ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug Audi A4 2.0 TDI zum Preis von rd. 30.500 €.
Die vier Fahrzeuge sind jeweils mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser verfügte über eine Software, die den Stickoxidausstoß im Prüfstand verringerte. Die Motorsteuerung war so programmiert, dass bei Messung der Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand diese Situation erkannt wird. Nach Bekanntwerden der "Umschaltlogik" verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten Software und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches auf das Fahrzeug der jeweiligen Klagepartei aufgespielt wurde.
Die Vorinstanzen gaben den in der Hauptsache zuletzt jeweils auf Erstattung des Kaufpreises abzgl. einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichteten Klagen überwiegend statt. Die Revisionen der Beklagten hatten vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG hat im Ergebnis in allen vier Fällen einen Schadensersatzanspruch der jeweiligen Klagepartei aus § 826 BGB zu Recht angenommen. Es hat in tatrichterlicher Würdigung rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten i.S.v. § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem sie Fahrzeuge mit dem von der Volkswagen AG gelieferten Motor EA 189, darunter die streitgegenständlichen Fahrzeuge, in den Verkehr brachte, obwohl nach den tatrichterlichen Feststellungen wenigstens eine verantwortlich für sie handelnde Person wusste, dass der Motor mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war.
Zwar kann das sittenwidrige Verhalten eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters einer juristischen Person entgegen der Annahme des OLG nicht mittels einer Zurechnung fremden Wissens entsprechend § 166 BGB begründet werden. Auch scheidet vorliegend die vom OLG angenommene Haftung wegen einer angeblich unzulässigen Organisation des Typgenehmigungsverfahrens aus. Ebenso wenig tragfähig sind die berufungsgerichtlichen Erwägungen, die Beklagte sei verpflichtet und in der Lage gewesen, den Motor EA 189 eigenständig auf Gesetzesverstöße zu überprüfen und zu diesem Zweck Auskünfte der Volkswagen AG einzuholen. Etwaige Versäumnisse der Beklagten in dieser Hinsicht könnten grundsätzlich nicht den für eine Haftung aus § 826 BGB erforderlichen Vorsatz, sondern lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.
Das OLG hat jedoch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise selbständig tragend die freie tatrichterliche Überzeugung gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnen, dass wenigstens ein an der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA 189 in Fahrzeugen der Beklagten beteiligter Repräsentant der Beklagten i.S.d. § 31 BGB von der - evident unzulässigen - "Umschaltlogik" gewusst habe.
Gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist es grundsätzlich Sache des Tatrichters, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehler in diesem Sinne hat die Revision jeweils nicht aufgezeigt.
Mehr zum Thema:
- Aufsatz: Konzernrechtliche Zurechnungsfragen bei § 826 BGB (Servatius, ZIP 2021, 1144)
- Kurzbeitrag: BGH zur Haftung der Audi AG im VW-Dieselskandal (ZIP 2021, R19)
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