Thomas-Cook-Gruppe: Rettungsbeihilfe für Condor war unionsrechtkonform
EuG v. 18.5.2022 - T-577/20
Der Sachverhalt:
Im September 2019 beantragte die Fluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH, die hauptsächlich für Reiseveranstalter Luftverkehrsdienste von mehreren deutschen Flughäfen aus erbringt, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der Liquidation der Thomas Cook Group plc, die 100 % der Anteile an ihr hielt.
Am selben Tag meldete Deutschland bei der EU-Kommission eine Rettungsbeihilfe zugunsten von Condor an, die auf sechs Monate begrenzt war. Die angemeldete Beihilfe zielte darauf ab, den regulären Luftverkehr aufrechtzuerhalten und die durch die Liquidierung ihrer Muttergesellschaft verursachten negativen Auswirkungen für Condor, ihre Fluggäste und ihre Mitarbeiter dadurch in Grenzen zu halten, dass es Condor ermöglicht werden sollte, ihre Tätigkeit so lange fortzusetzen, bis eine Vereinbarung mit ihren Gläubigern erzielt und ggf. ihre Veräußerung durchgeführt würde.
Ohne das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten, stufte die Kommission die angemeldete Maßnahme mit Beschluss von Oktober 2019 als staatliche Beihilfe ein, die gem. Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV und den Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.
Das EuG wies die von der klagenden Fluggesellschaft Ryanair DAC erhobene Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss ab.
Die Gründe:
Der von der Klägerin gerügte von der Kommission begangenen Verstoß gegen Rn. 22 der Leitlinien war zurückzuweisen.
Gem. Rn. 22 "kommt ein Unternehmen, das einer größeren Unternehmensgruppe angehört, für Beihilfen auf der Grundlage dieser Leitlinien grundsätzlich nur dann in Frage, wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind und die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können". Im Hinblick auf den Satzbestandteil "Schwierigkeiten des Unternehmens selbst" ergibt sich aus einer wörtlichen, teleologischen und systematischen Auslegung, dass Schwierigkeiten eines einer Unternehmensgruppe angehörenden Unternehmens als ihm spezifische Schwierigkeiten anzusehen sind, wenn sie nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb dieser Gruppe zurückzuführen sind. Das Ziel dieser Randnummer besteht nicht darin, ein Unternehmen, das einer Unternehmensgruppe angehört, allein deshalb vom Geltungsbereich der Rettungsbeihilfen auszuschließen, weil seine Schwierigkeiten auf den Schwierigkeiten der restlichen Unternehmensgruppe oder einer anderen Gesellschaft der Unternehmensgruppe beruhen, sofern diese Schwierigkeiten nicht künstlich geschaffen oder innerhalb dieser Unternehmensgruppe willkürlich verteilt worden sind.
Der Klägerin ist es vorliegend nicht gelungen, die Schlussfolgerungen der Kommission zu widerlegen, dass die Schwierigkeiten von Condor hauptsächlich auf die Liquidation der Thomas-Cook-Gruppe und nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien. Insoweit hat die Klägerin also nicht dargetan, dass Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der angemeldeten Beihilfemaßnahme mit der in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzung bestanden hätten.
Dass die Schwierigkeiten von Condor insoweit damit in Zusammenhang standen, dass Forderungen in erheblicher Höhe in Wegfall gerieten, die sie im Rahmen der Liquiditätsbündelung der Thomas-Cook-Gruppe gegenüber dieser hatte, ändert an dieser Einschätzung nichts. Die Liquiditätsbündelung innerhalb einer Gruppe ist eine gängige und verbreitete Praxis von Unternehmensgruppen, die die Finanzierung der Unternehmensgruppe dadurch erleichtern soll, dass den Gesellschaften dieser Gruppe Einsparungen bei Finanzierungskosten ermöglicht werden. Außerdem war dieses System der Liquiditätsbündelung von der Thomas-Cook-Gruppe bereits vor mehreren Jahren eingeführt worden, und deren Schwierigkeiten waren nicht auf dieses System zurückzuführen. Mangels konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung der Willkürlichkeit des Systems der Liquiditätsbündelung der Thomas-Cook-Gruppe war die Kommission nicht verpflichtet, aus eigener Initiative Erhebungen zur Fairness dieses Systems anzustellen.
Der Klägerin ist es außerdem nicht gelungen, darzutun, dass bei der Prüfung der in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzung Bedenken bestanden, wonach die Schwierigkeiten eines Unternehmens, das wie Condor einer Gruppe angehört, so gravierend sein müssen, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können. Die Thomas-Cook-Gruppe befand sich selbst in Liquidation und hatte alle ihre Tätigkeiten eingestellt. Die Kommission war zudem angesichts der Dringlichkeit im Zusammenhang mit Rettungsbeihilfen und der Unsicherheiten, die mit laufenden geschäftlichen Verhandlungen immer einhergehen, nicht verpflichtet, den Ausgang der Verhandlungen über eine etwaige Veräußerung von Condor zur Bewältigung ihrer finanziellen Schwierigkeiten abzuwarten.
Die Kommission musste darüber hinaus auch keine Bedenken haben, ob die angemeldete Beihilfe den in Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien dargelegten Anforderungen entspricht. In dieser Bestimmung werden die Kriterien festgelegt, anhand deren die Mitgliedstaaten feststellen können, dass der Ausfall des begünstigten Unternehmens wahrscheinlich zu schwerwiegenden sozialen Härten oder zu schwerem Marktversagen führen würde. Nach Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien können die Mitgliedstaaten diesen Nachweis erbringen, indem sie dartun, dass "die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben ist, der nur schwer zu ersetzen ist, wobei es für Wettbewerber schwierig wäre, die Erbringung der Dienstleistung einfach zu übernehmen (z.B. nationaler Infrastrukturanbieter)". Es ist weder erforderlich, dass das Unternehmen, das diesen Dienst erbringt, eine wichtige systemrelevante Rolle für die Wirtschaft eines Gebiets des betreffenden Mitgliedstaats spielt, noch, dass es mit der Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder einer Dienstleistung von Bedeutung auf nationaler Ebene betraut ist.
Vorliegend hätte eine sofortige Rückholung von 200.000 bis 300.000 Condor-Fluggästen aus bis zu 150 verschiedenen Zielorten jedenfalls nicht kurzfristig von anderen miteinander im Wettbewerb stehenden Luftfahrtunternehmen übernommen werden können. Die Kommission hat daher zu Recht festgestellt, dass die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben war, der nur schwer zu ersetzen war, so dass der Marktaustritt von Condor zu schwerem Marktversagen hätte führen können. Schließlich war auch die Rüge der Klägerin, die Kommission habe die in Rn. 74 der Leitlinien vorgesehene Voraussetzung der Einmaligkeit der Rettungsbeihilfe unvollständig und unzureichend geprüft, als unbegründet zurückzuweisen. Auch der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht durch die Kommission war zurückzuweisen und folglich die Klage insgesamt abzuweisen.
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EuG PM Nr. 87 vom 18.5.2022
Im September 2019 beantragte die Fluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH, die hauptsächlich für Reiseveranstalter Luftverkehrsdienste von mehreren deutschen Flughäfen aus erbringt, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der Liquidation der Thomas Cook Group plc, die 100 % der Anteile an ihr hielt.
Am selben Tag meldete Deutschland bei der EU-Kommission eine Rettungsbeihilfe zugunsten von Condor an, die auf sechs Monate begrenzt war. Die angemeldete Beihilfe zielte darauf ab, den regulären Luftverkehr aufrechtzuerhalten und die durch die Liquidierung ihrer Muttergesellschaft verursachten negativen Auswirkungen für Condor, ihre Fluggäste und ihre Mitarbeiter dadurch in Grenzen zu halten, dass es Condor ermöglicht werden sollte, ihre Tätigkeit so lange fortzusetzen, bis eine Vereinbarung mit ihren Gläubigern erzielt und ggf. ihre Veräußerung durchgeführt würde.
Ohne das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten, stufte die Kommission die angemeldete Maßnahme mit Beschluss von Oktober 2019 als staatliche Beihilfe ein, die gem. Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV und den Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.
Das EuG wies die von der klagenden Fluggesellschaft Ryanair DAC erhobene Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss ab.
Die Gründe:
Der von der Klägerin gerügte von der Kommission begangenen Verstoß gegen Rn. 22 der Leitlinien war zurückzuweisen.
Gem. Rn. 22 "kommt ein Unternehmen, das einer größeren Unternehmensgruppe angehört, für Beihilfen auf der Grundlage dieser Leitlinien grundsätzlich nur dann in Frage, wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind und die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können". Im Hinblick auf den Satzbestandteil "Schwierigkeiten des Unternehmens selbst" ergibt sich aus einer wörtlichen, teleologischen und systematischen Auslegung, dass Schwierigkeiten eines einer Unternehmensgruppe angehörenden Unternehmens als ihm spezifische Schwierigkeiten anzusehen sind, wenn sie nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb dieser Gruppe zurückzuführen sind. Das Ziel dieser Randnummer besteht nicht darin, ein Unternehmen, das einer Unternehmensgruppe angehört, allein deshalb vom Geltungsbereich der Rettungsbeihilfen auszuschließen, weil seine Schwierigkeiten auf den Schwierigkeiten der restlichen Unternehmensgruppe oder einer anderen Gesellschaft der Unternehmensgruppe beruhen, sofern diese Schwierigkeiten nicht künstlich geschaffen oder innerhalb dieser Unternehmensgruppe willkürlich verteilt worden sind.
Der Klägerin ist es vorliegend nicht gelungen, die Schlussfolgerungen der Kommission zu widerlegen, dass die Schwierigkeiten von Condor hauptsächlich auf die Liquidation der Thomas-Cook-Gruppe und nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien. Insoweit hat die Klägerin also nicht dargetan, dass Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der angemeldeten Beihilfemaßnahme mit der in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzung bestanden hätten.
Dass die Schwierigkeiten von Condor insoweit damit in Zusammenhang standen, dass Forderungen in erheblicher Höhe in Wegfall gerieten, die sie im Rahmen der Liquiditätsbündelung der Thomas-Cook-Gruppe gegenüber dieser hatte, ändert an dieser Einschätzung nichts. Die Liquiditätsbündelung innerhalb einer Gruppe ist eine gängige und verbreitete Praxis von Unternehmensgruppen, die die Finanzierung der Unternehmensgruppe dadurch erleichtern soll, dass den Gesellschaften dieser Gruppe Einsparungen bei Finanzierungskosten ermöglicht werden. Außerdem war dieses System der Liquiditätsbündelung von der Thomas-Cook-Gruppe bereits vor mehreren Jahren eingeführt worden, und deren Schwierigkeiten waren nicht auf dieses System zurückzuführen. Mangels konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung der Willkürlichkeit des Systems der Liquiditätsbündelung der Thomas-Cook-Gruppe war die Kommission nicht verpflichtet, aus eigener Initiative Erhebungen zur Fairness dieses Systems anzustellen.
Der Klägerin ist es außerdem nicht gelungen, darzutun, dass bei der Prüfung der in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzung Bedenken bestanden, wonach die Schwierigkeiten eines Unternehmens, das wie Condor einer Gruppe angehört, so gravierend sein müssen, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können. Die Thomas-Cook-Gruppe befand sich selbst in Liquidation und hatte alle ihre Tätigkeiten eingestellt. Die Kommission war zudem angesichts der Dringlichkeit im Zusammenhang mit Rettungsbeihilfen und der Unsicherheiten, die mit laufenden geschäftlichen Verhandlungen immer einhergehen, nicht verpflichtet, den Ausgang der Verhandlungen über eine etwaige Veräußerung von Condor zur Bewältigung ihrer finanziellen Schwierigkeiten abzuwarten.
Die Kommission musste darüber hinaus auch keine Bedenken haben, ob die angemeldete Beihilfe den in Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien dargelegten Anforderungen entspricht. In dieser Bestimmung werden die Kriterien festgelegt, anhand deren die Mitgliedstaaten feststellen können, dass der Ausfall des begünstigten Unternehmens wahrscheinlich zu schwerwiegenden sozialen Härten oder zu schwerem Marktversagen führen würde. Nach Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien können die Mitgliedstaaten diesen Nachweis erbringen, indem sie dartun, dass "die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben ist, der nur schwer zu ersetzen ist, wobei es für Wettbewerber schwierig wäre, die Erbringung der Dienstleistung einfach zu übernehmen (z.B. nationaler Infrastrukturanbieter)". Es ist weder erforderlich, dass das Unternehmen, das diesen Dienst erbringt, eine wichtige systemrelevante Rolle für die Wirtschaft eines Gebiets des betreffenden Mitgliedstaats spielt, noch, dass es mit der Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder einer Dienstleistung von Bedeutung auf nationaler Ebene betraut ist.
Vorliegend hätte eine sofortige Rückholung von 200.000 bis 300.000 Condor-Fluggästen aus bis zu 150 verschiedenen Zielorten jedenfalls nicht kurzfristig von anderen miteinander im Wettbewerb stehenden Luftfahrtunternehmen übernommen werden können. Die Kommission hat daher zu Recht festgestellt, dass die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben war, der nur schwer zu ersetzen war, so dass der Marktaustritt von Condor zu schwerem Marktversagen hätte führen können. Schließlich war auch die Rüge der Klägerin, die Kommission habe die in Rn. 74 der Leitlinien vorgesehene Voraussetzung der Einmaligkeit der Rettungsbeihilfe unvollständig und unzureichend geprüft, als unbegründet zurückzuweisen. Auch der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht durch die Kommission war zurückzuweisen und folglich die Klage insgesamt abzuweisen.
- Aufsatz: Thole - Staatliche Finanzhilfen im Insolvenzverfahren (ZIP 2022, 97)
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