Untersagung des Erwerbs eines Unternehmens von strategischer Bedeutung
EuGH, C-106/22: Schlussanträge des Generalanwalts vom 30.3.2023
Der Sachverhalt:
2021 untersagte der ungarische Minister für Innovation und Technologie vorläufig den Erwerb einer ungarischen Gesellschaft durch eine andere ungarische Gesellschaft. Die erstgenannte Gesellschaft ist Eigentümerin eines Steinbruchs, aus dem Sand, Ton, Kaolin und Kies abgebaut werden. In seinem Bescheid legte der Minister dar, dass es den nationalen Interessen Ungarns, darunter der Sicherheit der Versorgung mit diesen Rohstoffen, entgegenstünde, einer Gesellschaft, die sich in mittelbarer Eigentümerschaft einer Gesellschaft aus einem Drittstaat (Bermudas) befinde, die Übernahme der Kontrolle über eine solche "strategische" Gesellschaft zu gestatten.
Der mit der Sache befasste Hauptstädtische Gerichtshof (Ungarn) setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. Um über die Gültigkeit des Ministerbescheids zur Verhinderung des Erwerbs entscheiden zu können, möchte er vom EuGH im Wesentlichen wissen, ob es das Unionsrecht Ungarn gestattet, Rechtsvorschriften zu erlassen, die ausländische Direktinvestitionen in Gesellschaften mit Sitz in der EU beschränken, wenn diese Direktinvestitionen durch eine andere Gesellschaft mit Sitz in der EU erfolgen.
Die Gründe:
Direktinvestitionen aus Drittstaaten fallen in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2019/452 über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen. Die Verordnung erfasst jede Art von Investition, durch die der ausländische Investor eine tatsächliche Beteiligung an einer Gesellschaft mit Sitz in der EU oder die Kontrolle über eine solche Gesellschaft erlangt. Dazu gehören auch Investitionen, bei denen der Investor aus einem Drittstaat mittelbar die Kontrolle über eine Gesellschaft mit Sitz in der EU erlangt, indem er durch eine andere Gesellschaft mit Sitz in der EU, die im Eigentum dieser Gesellschaft aus einem Drittstaat steht, eine Gesellschaft mit Sitz in der EU erwirbt. Solche Investitionen fallen in den Anwendungsbereich von Art. 207 AEUV und damit in die ausschließliche Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik. Somit delegiert die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen, die die Mitgliedstaaten ermächtigt, Überprüfungsmechanismen einzuführen, Zuständigkeiten in einem Bereich an die Mitgliedstaaten zurück, in dem diese ihre Zuständigkeiten zuvor mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verloren haben.
Nationale Überprüfungsmechanismen, die nach der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zulässig sind, müssen auch mit den Binnenmarktregeln in Einklang stehen. Nationales Recht muss daher die Einrichtungen, die für den Erlass individueller Überprüfungsbescheide zuständig sind, verpflichten, legitime Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen von Kapitalbewegungen anzugeben. Aus der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen ergibt sich, dass Beschränkungen des Kapitalverkehrs nur mit Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden können. Solche Rechtfertigungsgründe können nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vorliegt. Ferner muss jegliche Maßnahme, die Kapitalbewegungen beschränkt, im Hinblick auf das mit ihr verfolgte Ziel verhältnismäßig sein.
In Bezug auf die Rechtfertigung des Vetos des Ministers im vorliegenden Fall ist anzuerkennen, dass die Gewährleistung der Versorgung mit bestimmten Rohstoffen in Krisenzeiten geeignet ist, die Beschränkung ausländischer Direktinvestitionen aus Gründen der öffentlichen Ordnung (oder öffentlichen Sicherheit) zu rechtfertigen. Diese Gründe können sogar Beschränkungen von Kapitalbewegungen aus Drittstaaten, die ansonsten nicht im Binnenmarkt anerkannt werden können, rechtfertigen. Um über die Gültigkeit des Bescheids zu entscheiden, der das in Rede stehende Rechtsgeschäft verbietet, hat das nationale Gericht zu prüfen, ob der ungarische Minister für Innovation und Technologie hinreichend dargelegt hat, warum die indirekte ausländische Eigentümerschaft an dem Steinbruch eine tatsächliche und schwere Gefährdung für die Sicherheit der Versorgung mit Kies, Sand, Ton und Kaolin in
Ungarn darstellt, und ob die Sicherheit dieser Versorgung nicht mit einer weniger restriktiven Maßnahme hätte erreicht werden können.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Öffentliche Übernahmen durch Finanzinvestoren
Matthias Kiesewetter / Nico Frehse, AG 2023, 230
AG0052742
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Mit dem Aktionsmodul stehen dem umfassend tätigen Gesellschaftsrechtler fünf Beratermodule zur Verfügung. Inklusive Beratermodul AG, GmbHR und ZIP. Zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Neuauflage Lutter/Hommelhoff GmbHG Kommentar hier topaktuell online! Die jüngsten Gesetzesreformen wie das DiRUG und DiREG sind bereits ausführlich kommentiert, auch UmRUG und MoPeG sind berücksichtigt. 4 Wochen gratis nutzen!
EuGH PM Nr. 57 vom 30.3.2023
2021 untersagte der ungarische Minister für Innovation und Technologie vorläufig den Erwerb einer ungarischen Gesellschaft durch eine andere ungarische Gesellschaft. Die erstgenannte Gesellschaft ist Eigentümerin eines Steinbruchs, aus dem Sand, Ton, Kaolin und Kies abgebaut werden. In seinem Bescheid legte der Minister dar, dass es den nationalen Interessen Ungarns, darunter der Sicherheit der Versorgung mit diesen Rohstoffen, entgegenstünde, einer Gesellschaft, die sich in mittelbarer Eigentümerschaft einer Gesellschaft aus einem Drittstaat (Bermudas) befinde, die Übernahme der Kontrolle über eine solche "strategische" Gesellschaft zu gestatten.
Der mit der Sache befasste Hauptstädtische Gerichtshof (Ungarn) setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. Um über die Gültigkeit des Ministerbescheids zur Verhinderung des Erwerbs entscheiden zu können, möchte er vom EuGH im Wesentlichen wissen, ob es das Unionsrecht Ungarn gestattet, Rechtsvorschriften zu erlassen, die ausländische Direktinvestitionen in Gesellschaften mit Sitz in der EU beschränken, wenn diese Direktinvestitionen durch eine andere Gesellschaft mit Sitz in der EU erfolgen.
Die Gründe:
Direktinvestitionen aus Drittstaaten fallen in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2019/452 über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen. Die Verordnung erfasst jede Art von Investition, durch die der ausländische Investor eine tatsächliche Beteiligung an einer Gesellschaft mit Sitz in der EU oder die Kontrolle über eine solche Gesellschaft erlangt. Dazu gehören auch Investitionen, bei denen der Investor aus einem Drittstaat mittelbar die Kontrolle über eine Gesellschaft mit Sitz in der EU erlangt, indem er durch eine andere Gesellschaft mit Sitz in der EU, die im Eigentum dieser Gesellschaft aus einem Drittstaat steht, eine Gesellschaft mit Sitz in der EU erwirbt. Solche Investitionen fallen in den Anwendungsbereich von Art. 207 AEUV und damit in die ausschließliche Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik. Somit delegiert die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen, die die Mitgliedstaaten ermächtigt, Überprüfungsmechanismen einzuführen, Zuständigkeiten in einem Bereich an die Mitgliedstaaten zurück, in dem diese ihre Zuständigkeiten zuvor mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verloren haben.
Nationale Überprüfungsmechanismen, die nach der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zulässig sind, müssen auch mit den Binnenmarktregeln in Einklang stehen. Nationales Recht muss daher die Einrichtungen, die für den Erlass individueller Überprüfungsbescheide zuständig sind, verpflichten, legitime Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen von Kapitalbewegungen anzugeben. Aus der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen ergibt sich, dass Beschränkungen des Kapitalverkehrs nur mit Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden können. Solche Rechtfertigungsgründe können nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vorliegt. Ferner muss jegliche Maßnahme, die Kapitalbewegungen beschränkt, im Hinblick auf das mit ihr verfolgte Ziel verhältnismäßig sein.
In Bezug auf die Rechtfertigung des Vetos des Ministers im vorliegenden Fall ist anzuerkennen, dass die Gewährleistung der Versorgung mit bestimmten Rohstoffen in Krisenzeiten geeignet ist, die Beschränkung ausländischer Direktinvestitionen aus Gründen der öffentlichen Ordnung (oder öffentlichen Sicherheit) zu rechtfertigen. Diese Gründe können sogar Beschränkungen von Kapitalbewegungen aus Drittstaaten, die ansonsten nicht im Binnenmarkt anerkannt werden können, rechtfertigen. Um über die Gültigkeit des Bescheids zu entscheiden, der das in Rede stehende Rechtsgeschäft verbietet, hat das nationale Gericht zu prüfen, ob der ungarische Minister für Innovation und Technologie hinreichend dargelegt hat, warum die indirekte ausländische Eigentümerschaft an dem Steinbruch eine tatsächliche und schwere Gefährdung für die Sicherheit der Versorgung mit Kies, Sand, Ton und Kaolin in
Ungarn darstellt, und ob die Sicherheit dieser Versorgung nicht mit einer weniger restriktiven Maßnahme hätte erreicht werden können.
Aufsatz:
Öffentliche Übernahmen durch Finanzinvestoren
Matthias Kiesewetter / Nico Frehse, AG 2023, 230
AG0052742
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Mit dem Aktionsmodul stehen dem umfassend tätigen Gesellschaftsrechtler fünf Beratermodule zur Verfügung. Inklusive Beratermodul AG, GmbHR und ZIP. Zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Neuauflage Lutter/Hommelhoff GmbHG Kommentar hier topaktuell online! Die jüngsten Gesetzesreformen wie das DiRUG und DiREG sind bereits ausführlich kommentiert, auch UmRUG und MoPeG sind berücksichtigt. 4 Wochen gratis nutzen!