25.11.2022

Verfassungsbeschwerden gegen OLG-Entscheidungen zu aktienrechtlicher Sonderprüfung erfolgreich

Das BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden einer börsennotierten Aktiengesellschaft stattgegeben, die sich jeweils gegen oberlandesgerichtliche Entscheidungen richteten. Die Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens - drei "Funds" amerikanischen Rechts - begehrten die Durchführung einer aktienrechtlichen Sonderprüfung bei der Beschwerdeführerin.

BVerfG v. 21.9.2022 - 1 BvR 1349/20 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2754/17 betrifft die gerichtliche Anordnung einer aktienrechtlichen Sonderprüfung bei der Beschwerdeführerin, die im Verfahren 1 BvR 1349/20 die gerichtliche Auswechslung des für eine gerichtlich angeordnete aktienrechtliche Sonderprüfung bei der Beschwerdeführerin durch das Gericht bestellten Sonderprüfers.

Die Beschwerdeführerin ist die Volkswagen AG. Die jeweils durch den eingetragenen Verein vertretenen Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens sind drei "Funds" U.S.-amerikanischen Rechts mit Sitz in New York/USA. Die Sonderprüfung bei der Beschwerdeführerin steht im Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal. Untersucht werden soll die etwaige Verantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat der Beschwerdeführerin hierfür, namentlich ab welchem Zeitpunkt diese Organe der Beschwerdeführerin Kenntnis von den Manipulationen hatten oder ihnen diese bekannt sein mussten. Dies hat u.a. Bedeutung für die Frage, ob ad-hoc-Mitteilungen erst verspätet an den Kapitalmarkt gegeben worden sind, was zu einer kapitalmarktrechtlichen Haftung führen könnte.

Das OLG hatte im Jahr 2017 die Durchführung der Sonderprüfung nach § 142 Abs. 2 AktG gerichtlich angeordnet und einen Sonderprüfer bestellt. Die diesbezüglichen Entscheidungen hat die Kammer im Verfahren 1 BvR 2754/17 behandelt. Der im Jahr 2017 vom OLG zugleich mit der Anordnung der Sonderprüfung bestellte Sonderprüfer hat nach Rechtskraft dieser gerichtlichen Entscheidung noch vor Beginn der Sonderprüfung erklärt, für das Amt aus Altersgründen nicht zur Verfügung zu stehen. Den daraufhin von den Antragstellerinnen gestellten Anträgen auf Bestellung eines anderen, namentlich benannten Sonderprüfers gab das OLG statt.

Auf die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerin hob das BVerfG die Entscheidungen des OLG auf und verwies die Verfahren dorthin zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat bei der Anordnung der Sonderprüfung und der Bestellung des Sonderprüfers im Jahr 2017 unter mehrfacher Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens angenommen. Das OLG hat in seiner angegriffenen Entscheidung vom 8.11.2017, mit der es die Sonderprüfung angeordnet hat, unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin angenommen, weder sie noch ihr Aufsichtsrat hätten "bezweifelt", "dass die Antragstellerinnen in erheblichem Umfang insoweit Rechte und Pflichten innehaben können, als sie Aktien erwerben konnten". Das ist mit dem von der Beschwerdeführerin gehaltenen Vorbringen schlechterdings unvereinbar, was nur damit erklärt werden kann, dass das OLG dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis nahm.

Die Beschwerdeführerin hatte bereits in ihrer erstinstanzlichen Antragserwiderung ausdrücklich in Abrede gestellt, dass die Antragstellerinnen "Träger von Rechten und Pflichten" sein könnten, und zwar insbesondere deshalb, weil es sich lediglich um unselbstständige Untereinheiten eines größeren Sondervermögens handle. Die Beschwerdeführerin ist sodann im weiteren Fortgang des fachgerichtlichen Verfahrens unter ausdrücklichem Verweis auf dieses frühere Vorbringen dem aus einer Depotbestätigung von den Antragstellerinnen gezogenen Rückschluss darauf entgegengetreten, diese seien Inhaber von Aktieneigentum und dividendenberechtigt. Mit ihrem Vorbringen hat die Beschwerdeführerin demnach ausdrücklich und unmissverständlich geltend gemacht, die Antragstellerinnen seien nicht Inhaberinnen von Aktieneigentum und könnten dies aus rechtlichen Gründen auch nicht sein. Davon abgesehen hat das OLG Art. 103 Abs. 1 GG auch dadurch verletzt, dass es einen nach dieser Vorschrift erforderlichen Hinweis an die Beschwerdeführerin unterlassen hat.

Auch als es im Jahr 2020 den zunächst bestellten Sonderprüfer durch einen anderen ersetzte, hat das OLG unter mehrfachem Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin sowie unter Verstoß gegen das Willkürverbot die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerinnen bejaht. Das OLG hat in seiner Entscheidung, mit der es einen neuen Sonderprüfer bestellt hat, unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG in mehrfacher Hinsicht Parteivorbringen der Beschwerdeführerin übergangen. Das gilt zum einen für Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Fähigkeit der Antragstellerinnen, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, sowie zu deren Innehabung von Aktien an der Beschwerdeführerin. Das OLG hat seine Erwägungen zur Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerinnen, die das Gericht im "Ausgangsverfahren" angestellt hatte, wörtlich wiedergegeben und an ihnen ausdrücklich festgehalten. Damit verletzte das OLG den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör.

Die von der Beschwerdeführerin erhobene Willkürrüge greift durch, weil sich insbesondere vor dem Hintergrund der Ausführungen des OLG in der die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurückweisenden Entscheidung zumindest nicht ausschließen lässt, dass es eine solche Sicht in dieser Entscheidung über die Anhörungsrüge vertreten hat. Das OLG wäre möglicherweise zu einer anderen Beurteilung der Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerinnen gelangt, hätte es geprüft, ob bzw. inwieweit den Antragstellerinnen ein Recht zustehen kann, sie also Zuordnungssubjekte eines Rechtssatzes sind. Willkürlich ist ein Richterspruch dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. So verhält es sich hier. Die Antragstellerinnen allein schon aufgrund des reinen Faktums, dass die Beschwerdeführerin die Ausübung von Aktionärsrechten durch die Antragstellerinnen in der Hauptversammlung ohne vertiefte tatsächliche und rechtliche Prüfungen zugelassen habe, als beteiligtenfähig anzusehen, ist unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und rechtfertigt unter den hier gegebenen Umständen den Rückschluss auf sachfremde Erwägungen.

Schließlich hat das OLG die Beschwerdeführerin auch in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt, als es die Rechtsbeschwerde gegen seine im Jahr 2020 ergangene Entscheidung nicht zugelassen hat. Die Zulassungsvoraussetzungen lagen zum insoweit maßgebenden Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen offenkundig vor.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Das Verhältnis von Sonderprüfung, verpflichtender Geltendmachung und Klagezulassungsverfahren zum Abschluss eines Vergleichs
Nikolai Unmuth, AG 2021, 905

Auch nachzulesen im Aktionsmodul Gesellschaftsrecht:
Mit dem Aktionsmodul stehen dem umfassend tätigen Gesellschaftsrechtler fünf Module zur Verfügung. Inklusive Beratermodul ZIP. Zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Der erste Band Scholz GmbHG Kommentar der neuen Auflage (August 2022) ist hier topaktuell online! Wichtige Gesetzesänderungen wie die im August 2022/2023 in Kraft tretenden DiRUG und DiREG sind ausführlich kommentiert. 4 Wochen gratis nutzen!
BVerfG PM Nr. 97 vom 25.11.2022
Zurück