23.09.2021

Verstoß gegen Fusionskontrollverordnung nach Erwerb per Aktienkaufvertrag

Das EuG hat die Klage von Altice Europe gegen den Beschluss der Kommission abgewiesen, mit dem im Rahmen des Erwerbs von PT Portugal zwei Geldbußen i.H.v. insgesamt 124,5 Mio. € gegen sie verhängt wurden. Jedoch ordnet es an, die Geldbuße wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Anmeldung des Zusammenschlusses bei der Kommission um 6,22 Mio. € herabzusetzen.

EuG v. 22.9.2021 - T-425/18
Der Sachverhalt:
Die Altice Europe NV ist ein multinationales Kabel- und Telekommunikationsunternehmen. Die PT Portugal SGPS SA ist ein Telekommunikations- und Multimediabetreiber mit Tätigkeiten in sämtlichen Telekommunikationssparten Portugals. Im Dezember 2014 schloss Altice einen Aktienkaufvertrag (Share Purchase Agreement, SPA), um über ihre Tochtergesellschaft Altice Portugal SA die alleinige Kontrolle an PT Portugal zu erlangen. Da dieser Erwerb nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (Fusionskontrollverordnung) von der Kommission zu genehmigen war, sah der SPA eine Reihe von Vorschriften zur Verwaltung der Geschäftstätigkeit von PT Portugal zwischen der Unterzeichnung dieses Vertrags und der Vollendung des Zusammenschlusses nach der Genehmigung durch die Kommission vor (im Folgenden: vorvertragliche Nebenabreden).

Im April 2015 erklärte die Kommission den Erwerb vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter Verpflichtungen für mit dem Binnenmarkt vereinbar. Im März 2016 leitete die Kommission aufgrund der Presse entnommener Informationen wegen eines möglichen Verstoßes von Altice gegen die Bestimmungen der Fusionskontrollverordnung, die zum einen die Pflicht vorsehen, den Zusammenschluss vor seinem Vollzug bei der Kommission anzumelden, und zum anderen seinen Vollzug vor seiner Anmeldung und bevor er für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt worden ist verbieten, eine Untersuchung ein.

Im Anschluss kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass Altice die Möglichkeit gehabt habe, einen bestimmenden Einfluss auf PT Portugal auszuüben bzw. diesen Betreiber vor dem Erlass ihrer Entscheidung über die Genehmigung und in bestimmten Fällen auch schon vor der Anmeldung des Zusammenschlusses kontrolliert habe. Insoweit stellte sie als Erstes fest, dass einige vorvertragliche Nebenabreden Altice ein Vetorecht bei der Bestellung der höheren Führungskräfte von PT Portugal, hinsichtlich deren Preispolitik, der mit ihren Kunden vereinbarten Geschäftsbedingungen sowie deren Fähigkeit, eine große Bandbreite von Verträgen abzuschließen, aufzulösen oder abzuändern, eingeräumt hätten. Als Zweites wies die Kommission darauf hin, dass diese Nebenabreden mehrfach getroffen worden seien, was einen Eingriff von Altice in den täglichen Geschäftsbetrieb von PT Portugal impliziere. Als Drittes wies sie auf die Existenz eines Austauschs sensibler Informationen über PT Portugal ab der Unterzeichnung des SPA hin.

Daher verhängte die Kommission im April 2018 gegen Altice eine Geldbuße von 62,25 Mio. € wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Anmeldung des Zusammenschlusses und eine Geldbuße von 62,25 Mio. € wegen Nichteinhaltung des Verbots, den Zusammenschluss vor seiner Anmeldung bei der Kommission und vor seiner Genehmigung durch diese zu vollziehen. Altice erhob Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses.

Das EuG wies die Klage teilweise ab und erläuterte in seinem Urteil die Auslegung und die Anwendung der durch die Fusionskontrollverordnung vorgesehenen Pflichten zur Anmeldung und zum Aufschub des Vollzugs von Zusammenschlüssen von europäischer Bedeutung.

Die Gründe:
Die von Altice erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit, wonach die Pflicht zur Anmeldung des Zusammenschlusses (nach Art. 4 Abs. 1 der Fusionskontrollverordnung) und die bei Nichterfüllung dieser Pflicht anwendbare Geldbuße (nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung) im Verhältnis zur Pflicht, den Zusammenschluss vor seiner Anmeldung und Genehmigung nicht zu vollziehen (nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung), und zu der bei Verstoß gegen diese Pflicht anwendbaren Geldbuße (nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung) redundant seien, ist zurückzuweisen. In diesem Kontext hat Altice außerdem einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Verbots der Doppelbestrafung geltend gemacht, da die genannten Bestimmungen der Kommission ermöglichten, wegen desselben Sachverhalts eine zweite Geldbuße gegen dieselbe Person zu verhängen.

Insoweit ist festzustellen, dass Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Fusionskontrollverordnung eigenständige Ziele verfolgen. Art. 4 soll die Unternehmen verpflichten, einen Zusammenschluss vor seinem Vollzug anzumelden, während Art. 7 das Ziel hat, die Unternehmen daran zu hindern, diesen Zusammenschluss zu vollziehen, bevor die Kommission ihn für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt hat. Außerdem sieht Art. 4 Abs. 1 eine Handlungspflicht vor, wohingegen Art. 7 Abs. 1 eine Unterlassungspflicht vorsieht. Darüber hinaus ist der Verstoß gegen die erste Bestimmung eine einmalige Zuwiderhandlung, der Verstoß gegen die zweite Bestimmung aber eine fortgesetzte Zuwiderhandlung.

Art. 4 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Fusionskontrollverordnung sind demzufolge im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 2 Buchst. b nicht redundant und verstoßen weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch gegen das Verbot der Doppelbestrafung. Im Übrigen liefe die Erklärung dieser Bestimmungen für rechtswidrig nicht nur dem Ziel der Verordnung zuwider, eine wirksame Kontrolle von Zusammenschlüssen sicherzustellen, sondern nähme der Kommission auch die Möglichkeit, mit Hilfe der von ihr zu verhängenden Geldbußen die Situation, in der das Unternehmen die Anmeldepflicht einhält, aber gegen die Stillhaltepflicht verstößt, von jener, in der das Unternehmen gegen beide Pflichten verstößt, zu unterscheiden.

Die vorvertraglichen Nebenabreden räumten Altice die Möglichkeit ein, Kontrolle über PT Portugal auszuüben, indem sie ihr die Möglichkeit verliehen, einen bestimmenden Einfluss auf deren Geschäftstätigkeit auszuüben. Außerdem ergibt sich aus verschiedenen in den Akten befindlichen Schriftstücken, dass Altice mehrfach in den täglichen Geschäftsbetrieb von PT Portugal tatsächlich eingegriffen hat und dass sensible Informationen zwischen Altice und PT Portugal ausgetauscht worden sind. Altice hat bestimmenden Einfluss auf PT Portugal ausgeübt und dadurch sowohl gegen ihre Anmeldepflicht nach Art. 4 Abs. 1 der Fusionskontrollverordnung als auch gegen ihre Stillhaltepflicht nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung verstoßen.

Allerdings ist die Höhe der wegen Verstoßes gegen die Anmeldepflicht nach Art. 4 Abs. 1 der Fusionskontrollverordnung verhängten Geldbuße um 10 % herabzusetzen, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Altice vor der Unterzeichnung des SPA die Kommission von dem Zusammenschluss, den sie durchführen werde, in Kenntnis gesetzt hat und dass sie bei der Kommission unmittelbar nach dieser Unterzeichnung einen Antrag auf Bestellung eines mit der Bearbeitung ihrer Akte betrauten Teams gestellt hatte.
EuG PM Nr. 160 vom 22.9.2021
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