Zur Haftung der Gründungsgesellschafter für den Prospekt des Immobilienfonds Cloche d'Or
OLG München v. 12.1.2023 - 8 U 2672/17
Der Sachverhalt:
Die Klagepartei macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Beteiligung an einer GmbH & Co KG geltend ("Cloche d'Or", im Folgenden: "Fonds") Der Kläger beteiligte sich 2009 i.H.v. 15.000 € nebst Agio i.H.v. 750 € mittelbar über die Beklagte zu 3) an dem Fonds. Er erhielt Ausschüttungen i.H.v. rd. 5.200 €. Die Beklagte zu 1) ist geschäftsführende Kommanditistin des Fonds mit einer Kapitaleinlage von 10.000 € und Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Die Beklagte zu 2) ist als Komplementärin persönlich haftende Gesellschafterin des Fonds und zudem Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Die Beklagte zu 3) ist (Treuhand-)Kommanditistin des Fonds mit einer Kapitaleinlage von 500 € und ebenfalls Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Das LG gab der Klage weitgehend statt. Hinsichtlich der Darstellung der Parkplatzsituation im Prospekt liege ein aufklärungspflichtiger kausaler Prospektfehler vor, für den alle drei Beklagten aus Prospekthaftung im weiteren Sinne haften würden; Verjährung sei nicht eingetreten. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Das LG veröffentlichte am 16.10.2017 auf Antrag u.a. der hiesigen Beklagten einen Musterverfahrensantrag betreffend den Emissionsprospekt über die Beteiligung an der Europa III GmbH & Co.KG im elektronischen Bundesanzeiger und beschloss, dem OLG die dort näher bezeichneten Feststellungsziele zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids vorzulegen. Die hiesigen Beklagten waren als Musterbeklagte zu 1) bis 3) an diesem Verfahren beteiligt. Mit Beschluss vom 5.3.2018 setzte das OLG den vorliegenden Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Kapitalanleger-Musterverfahren 5 Kap 3/17 des OLG aus. Mit Musterentscheid vom 26.3.2019 (5 Kap 3/17) verwarf das OLG verschiedene Anträge der Musterbeklagten; einen weiteren Antrag der Musterbeklagten wies es zurück, einen erklärte es als gegenstandslos. Auf den Antrag des Musterklägers traf das OLG u.a. die Feststellung, der Prospekt sei fehlerhaft, weil dieser an keiner Stelle darüber aufkläre, dass zum Zeitpunkt seiner Erstellung im November 2008 nur 566 Innenstellplätze der Fondsimmobilie baurechtlich genehmigt gewesen seien und dass für die weiter geplanten 634 Innenstellplätze und 78 Außenstellplätze des Fondsobjekts weder eine baurechtliche Genehmigung noch ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen bestanden habe, während 1.200 Innen- und 75 Außenstellplätze bereits vermietet gewesen seien.
Mit Schriftsatz vom 31.1.2019 teilte der Kläger mit, dass er die streitgegenständliche Fondsbeteiligung verkauft habe und entsprechend geänderte Anträge angekündigt. Mit Beschluss vom 6.10.2020 (XI ZB 28/19) hob der BGH den Musterentscheid des OLG vom 26.3.2019 (5 Kap 3/17), teilweise auf und fasste ihn zur Klarstellung insgesamt neu. Mit Schriftsatz vom 11.10.2022 nahmen die Beklagten unter Vorlage der Entscheidung des BGH vom 6.10.2020 den Rechtsstreit wieder auf. Mit Schriftsatz vom 15.11.2022 erklärte der neue Prozessbevollmächtigte des Klägers den Rechtsstreit in der Hauptsache insgesamt für erledigt und beantragte, den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Im Hinblick auf die durch den Kläger vereinnahmten weiteren Ausschüttungen sei die Hauptsache nunmehr durch Erfüllung insgesamt erledigt. Die Beklagten würden trotz der neueren Rechtsprechung. des XI. Zivilsenats des BGH zum Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung auch aus Prospekthaftung im weiteren Sinne, die nicht verjährt sei, haften. Die Beklagtenvertreter äußerten sich hierzu nicht schriftsätzlich, vertraten aber im Termin die Auffassung, dass eine Prospekthaftung im weiteren Sinne hier nach der neueren BGH-Rechtsprechung nicht mehr in Betracht komme. Der Senatsvorsitzende wies hierzu im Termin darauf hin, dass dem schon die Bindungswirkung des Musterentscheids entgegenstehen könnte.
Die Beklagten und die Streithelferin beantragten, das Urteil des LG abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragte zuletzt, dass die Erledigung der Hauptsache festgestellt werden möge. Die Berufung der Beklagten hatte insoweit keinen Erfolg, als dass das OLG die Erledigung der Hauptsache im Umfang der Verurteilung durch das LG festgestellt hat. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Das Verfahren war gem. § 20 Abs. 4 KapMuG auf Antrag der Beklagten wieder aufzunehmen. Danach wird das Ausgangsverfahren mit der Einreichung des rechtskräftigen Musterentscheids durch einen Beteiligten des Musterverfahrens wieder aufgenommen. Das ist hier durch den Schriftsatz der Beklagten vom 11.10.2022 geschehen. Entgegen der Auffassung des Klägers musste dazu im vorliegenden Falle auch kein Rechtskraftvermerk (§ 706 ZPO) vorgelegt werden. Entscheidungen des BGH sind mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar, sodass eine Verpflichtung zur Vorlage eines Rechtskraftvermerks hier als bloße Förmelei erschiene. Ob gegen die Entscheidung des BGH vom 6.10.2020 (XI ZB 28/19) Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde, kann dabei dahinstehen, denn dieser außerordentliche Rechtsbehelf würde die Aufnahme des Verfahrens nicht hindern können.
Die Bindungswirkung des Musterentscheids gem. § 22 Abs. 1 KapMuG erfasst in objektiver Hinsicht nicht nur die Beantwortung des Feststellungsziels im Tenor der Entscheidung, sondern auch die diesen Entscheidungssatz tragenden tatsächlichen und rechtlichen Begründungselemente; sie reicht jedoch nicht über die Feststellungsziele des Musterverfahrens hinaus (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19.09.2017 - XI ZB 17/15, Rn. 54; hier bejaht für die Haftung der Beklagten als Gründungsgesellschafter aus Prospekthaftung im weiteren Sinne). Ein Urteil, das einer negativen Feststellungsklage aus sachlichen Gründen nicht stattgibt, hat grundsätzlich dieselbe Bedeutung wie ein Urteil, das das logische Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt. Da die Urteilsformel - wie bei jedem klageabweisenden Urteil - regelmäßig nicht ausreicht, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu erfassen, müssen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend herangezogen werden. Da es sich hier um ein "negatives Feststellungziel" gehandelt hat, muss - wie sonst auch bei negativen Feststellungsklagen - für die Beurteilung der Bindungswirkung auch die Entscheidungsbegründung ergänzend herangezogen werden. Bei einem "negativen Feststellungziel" muss auch umso mehr gelten, dass zur Beurteilung der Bindungswirkung des Musterentscheids auch die den Entscheidungssatz tragenden tatsächlichen und rechtlichen Begründungselemente herangezogen werden.
Hier hat der 5. Zivilsenat in seiner Entscheidungsbegründung eine Haftung der Beklagten aus Prospekthaftung im weiteren Sinne klar bejaht, und gemeint, deshalb komme es nicht darauf an, ob die Beklagten selbst nachträgliche Nachforschungen zum Prospektinhalt veranlasst sahen. Diese Feststellung zur Haftung der Beklagten aus Prospekthaftung im weiteren Sinne nimmt somit als zentrales rechtliches Begründungselement an der Bindungswirkung teil. Diese Feststellung reicht auch nicht über die Feststellungsziele des Musterverfahrens hinaus. Die Klagen gegen die Beklagten wurden gerichtsbekannt und auch hier in erster Linie auf Prospekthaftung im weiteren Sinne gestützt. Nach zahlreichen entsprechenden Verurteilungen durch verschiedene Senate des OLG München (s.o.) hatten die Beklagten sodann die "Flucht in das Musterverfahren" angetreten und hierfür negative Feststellungsziele formuliert. Schon diese Vorgeschichte lässt es fernliegend erscheinen, dass die Prospekthaftung der Beklagten im weiteren Sinne nicht zu den Feststellungszielen gehörten sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 I, 100 III, 101 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Ein gesonderter Ausspruch über die anteilige Kostentragungspflicht der Beklagten für die im Musterverfahren erster Instanz angefallenen Kosten war hier nicht erforderlich. Zwar entscheidet über die im Musterverfahren erster Instanz angefallenen Kosten gem. § 16 Abs. 2 KapMuG "das Prozessgericht". Das wäre im vorliegenden Falle, in dem der Senat selbst das Verfahren gem. § 8 KapMuG ausgesetzt hat, der Senat. Die im erstinstanzlichen Musterverfahren entstandenen Kosten gelten aber gem. § 24 KapMuG als Teil der Kosten (§§ 91 ff. ZPO) des jeweils zugrunde liegenden Prozessverfahrens. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll sich die Kostenentscheidung für den ersten Rechtszug des Hauptsacheverfahrens "ohne weiteres" auch auf die Kosten des erstinstanzlichen Musterverfahrens beziehen, soweit das Gericht nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Für Letzteres ist ein Anlass weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Daher ist ein gesonderter Ausspruch über Kosten des erstinstanzlichen Musterverfahrens durch den Senat nicht erforderlich.
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Rechtsprechung:
Beschwer des KapMuG-Klägers als gesetzliche Voraussetzung der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde
BGH vom 13.09.2022 - XI ZB 13/21
ZIP 2022, 2486
Rechtsprechung:
Prospekthaftung und KapMuG-Verfahren
BGH vom 14.06.2022 - XI ZB 33/19
AG 2022, 896
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Bayern.Recht
Die Klagepartei macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Beteiligung an einer GmbH & Co KG geltend ("Cloche d'Or", im Folgenden: "Fonds") Der Kläger beteiligte sich 2009 i.H.v. 15.000 € nebst Agio i.H.v. 750 € mittelbar über die Beklagte zu 3) an dem Fonds. Er erhielt Ausschüttungen i.H.v. rd. 5.200 €. Die Beklagte zu 1) ist geschäftsführende Kommanditistin des Fonds mit einer Kapitaleinlage von 10.000 € und Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Die Beklagte zu 2) ist als Komplementärin persönlich haftende Gesellschafterin des Fonds und zudem Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Die Beklagte zu 3) ist (Treuhand-)Kommanditistin des Fonds mit einer Kapitaleinlage von 500 € und ebenfalls Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Das LG gab der Klage weitgehend statt. Hinsichtlich der Darstellung der Parkplatzsituation im Prospekt liege ein aufklärungspflichtiger kausaler Prospektfehler vor, für den alle drei Beklagten aus Prospekthaftung im weiteren Sinne haften würden; Verjährung sei nicht eingetreten. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Das LG veröffentlichte am 16.10.2017 auf Antrag u.a. der hiesigen Beklagten einen Musterverfahrensantrag betreffend den Emissionsprospekt über die Beteiligung an der Europa III GmbH & Co.KG im elektronischen Bundesanzeiger und beschloss, dem OLG die dort näher bezeichneten Feststellungsziele zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids vorzulegen. Die hiesigen Beklagten waren als Musterbeklagte zu 1) bis 3) an diesem Verfahren beteiligt. Mit Beschluss vom 5.3.2018 setzte das OLG den vorliegenden Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Kapitalanleger-Musterverfahren 5 Kap 3/17 des OLG aus. Mit Musterentscheid vom 26.3.2019 (5 Kap 3/17) verwarf das OLG verschiedene Anträge der Musterbeklagten; einen weiteren Antrag der Musterbeklagten wies es zurück, einen erklärte es als gegenstandslos. Auf den Antrag des Musterklägers traf das OLG u.a. die Feststellung, der Prospekt sei fehlerhaft, weil dieser an keiner Stelle darüber aufkläre, dass zum Zeitpunkt seiner Erstellung im November 2008 nur 566 Innenstellplätze der Fondsimmobilie baurechtlich genehmigt gewesen seien und dass für die weiter geplanten 634 Innenstellplätze und 78 Außenstellplätze des Fondsobjekts weder eine baurechtliche Genehmigung noch ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen bestanden habe, während 1.200 Innen- und 75 Außenstellplätze bereits vermietet gewesen seien.
Mit Schriftsatz vom 31.1.2019 teilte der Kläger mit, dass er die streitgegenständliche Fondsbeteiligung verkauft habe und entsprechend geänderte Anträge angekündigt. Mit Beschluss vom 6.10.2020 (XI ZB 28/19) hob der BGH den Musterentscheid des OLG vom 26.3.2019 (5 Kap 3/17), teilweise auf und fasste ihn zur Klarstellung insgesamt neu. Mit Schriftsatz vom 11.10.2022 nahmen die Beklagten unter Vorlage der Entscheidung des BGH vom 6.10.2020 den Rechtsstreit wieder auf. Mit Schriftsatz vom 15.11.2022 erklärte der neue Prozessbevollmächtigte des Klägers den Rechtsstreit in der Hauptsache insgesamt für erledigt und beantragte, den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Im Hinblick auf die durch den Kläger vereinnahmten weiteren Ausschüttungen sei die Hauptsache nunmehr durch Erfüllung insgesamt erledigt. Die Beklagten würden trotz der neueren Rechtsprechung. des XI. Zivilsenats des BGH zum Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung auch aus Prospekthaftung im weiteren Sinne, die nicht verjährt sei, haften. Die Beklagtenvertreter äußerten sich hierzu nicht schriftsätzlich, vertraten aber im Termin die Auffassung, dass eine Prospekthaftung im weiteren Sinne hier nach der neueren BGH-Rechtsprechung nicht mehr in Betracht komme. Der Senatsvorsitzende wies hierzu im Termin darauf hin, dass dem schon die Bindungswirkung des Musterentscheids entgegenstehen könnte.
Die Beklagten und die Streithelferin beantragten, das Urteil des LG abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragte zuletzt, dass die Erledigung der Hauptsache festgestellt werden möge. Die Berufung der Beklagten hatte insoweit keinen Erfolg, als dass das OLG die Erledigung der Hauptsache im Umfang der Verurteilung durch das LG festgestellt hat. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Das Verfahren war gem. § 20 Abs. 4 KapMuG auf Antrag der Beklagten wieder aufzunehmen. Danach wird das Ausgangsverfahren mit der Einreichung des rechtskräftigen Musterentscheids durch einen Beteiligten des Musterverfahrens wieder aufgenommen. Das ist hier durch den Schriftsatz der Beklagten vom 11.10.2022 geschehen. Entgegen der Auffassung des Klägers musste dazu im vorliegenden Falle auch kein Rechtskraftvermerk (§ 706 ZPO) vorgelegt werden. Entscheidungen des BGH sind mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar, sodass eine Verpflichtung zur Vorlage eines Rechtskraftvermerks hier als bloße Förmelei erschiene. Ob gegen die Entscheidung des BGH vom 6.10.2020 (XI ZB 28/19) Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde, kann dabei dahinstehen, denn dieser außerordentliche Rechtsbehelf würde die Aufnahme des Verfahrens nicht hindern können.
Die Bindungswirkung des Musterentscheids gem. § 22 Abs. 1 KapMuG erfasst in objektiver Hinsicht nicht nur die Beantwortung des Feststellungsziels im Tenor der Entscheidung, sondern auch die diesen Entscheidungssatz tragenden tatsächlichen und rechtlichen Begründungselemente; sie reicht jedoch nicht über die Feststellungsziele des Musterverfahrens hinaus (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19.09.2017 - XI ZB 17/15, Rn. 54; hier bejaht für die Haftung der Beklagten als Gründungsgesellschafter aus Prospekthaftung im weiteren Sinne). Ein Urteil, das einer negativen Feststellungsklage aus sachlichen Gründen nicht stattgibt, hat grundsätzlich dieselbe Bedeutung wie ein Urteil, das das logische Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt. Da die Urteilsformel - wie bei jedem klageabweisenden Urteil - regelmäßig nicht ausreicht, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu erfassen, müssen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend herangezogen werden. Da es sich hier um ein "negatives Feststellungziel" gehandelt hat, muss - wie sonst auch bei negativen Feststellungsklagen - für die Beurteilung der Bindungswirkung auch die Entscheidungsbegründung ergänzend herangezogen werden. Bei einem "negativen Feststellungziel" muss auch umso mehr gelten, dass zur Beurteilung der Bindungswirkung des Musterentscheids auch die den Entscheidungssatz tragenden tatsächlichen und rechtlichen Begründungselemente herangezogen werden.
Hier hat der 5. Zivilsenat in seiner Entscheidungsbegründung eine Haftung der Beklagten aus Prospekthaftung im weiteren Sinne klar bejaht, und gemeint, deshalb komme es nicht darauf an, ob die Beklagten selbst nachträgliche Nachforschungen zum Prospektinhalt veranlasst sahen. Diese Feststellung zur Haftung der Beklagten aus Prospekthaftung im weiteren Sinne nimmt somit als zentrales rechtliches Begründungselement an der Bindungswirkung teil. Diese Feststellung reicht auch nicht über die Feststellungsziele des Musterverfahrens hinaus. Die Klagen gegen die Beklagten wurden gerichtsbekannt und auch hier in erster Linie auf Prospekthaftung im weiteren Sinne gestützt. Nach zahlreichen entsprechenden Verurteilungen durch verschiedene Senate des OLG München (s.o.) hatten die Beklagten sodann die "Flucht in das Musterverfahren" angetreten und hierfür negative Feststellungsziele formuliert. Schon diese Vorgeschichte lässt es fernliegend erscheinen, dass die Prospekthaftung der Beklagten im weiteren Sinne nicht zu den Feststellungszielen gehörten sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 I, 100 III, 101 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Ein gesonderter Ausspruch über die anteilige Kostentragungspflicht der Beklagten für die im Musterverfahren erster Instanz angefallenen Kosten war hier nicht erforderlich. Zwar entscheidet über die im Musterverfahren erster Instanz angefallenen Kosten gem. § 16 Abs. 2 KapMuG "das Prozessgericht". Das wäre im vorliegenden Falle, in dem der Senat selbst das Verfahren gem. § 8 KapMuG ausgesetzt hat, der Senat. Die im erstinstanzlichen Musterverfahren entstandenen Kosten gelten aber gem. § 24 KapMuG als Teil der Kosten (§§ 91 ff. ZPO) des jeweils zugrunde liegenden Prozessverfahrens. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll sich die Kostenentscheidung für den ersten Rechtszug des Hauptsacheverfahrens "ohne weiteres" auch auf die Kosten des erstinstanzlichen Musterverfahrens beziehen, soweit das Gericht nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Für Letzteres ist ein Anlass weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Daher ist ein gesonderter Ausspruch über Kosten des erstinstanzlichen Musterverfahrens durch den Senat nicht erforderlich.
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