26.02.2021

Zur Prüfung der Erforderlichkeit einer Inanspruchnahme des Kommanditisten zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger

Bei der Prüfung, ob eine Inanspruchnahme des Kommanditisten zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, sind nicht nur die zur Tabelle festgestellten, sondern auch vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungsanmeldungen zu berücksichtigen, sofern eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen dieser Forderungen noch ernsthaft in Betracht kommt.

BGH v. 9.2.2021 - II ZR 28/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer Schiffsfondsgesellschaft in der Rechtsform einer KG (Schuldnerin), über deren Vermögen mit Beschluss vom 7.11.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte, der mit einer Einlage i.H.v. 55.000 € als Kommanditist an der Schuldnerin beteiligt ist, erhielt in den Jahren 2003 bis 2007 nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen i.H.v. insgesamt 24.750 €, deren Rückzahlung der Kläger unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr der geleisteten Kommanditeinlage verlangt.

Das LG gab der Klage statt und verurteilte den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Nicht frei von Rechtsfehlern ist das OLG davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für das Eingreifen der sekundären Darlegungslast des Insolvenzverwalters erfüllt sind. Hierfür hat der beklagte Kommanditist schlüssig vorzutragen, dass die von seiner Außenhaftung erfassten Gesellschaftsschulden bereits durch Zahlungen anderer Gesellschafter auf ihre Haftungsschuld ganz oder teilweise gedeckt sind bzw. die zur Verfügung stehende Insolvenzmasse voraussichtlich zur Deckung eines danach verbleibenden Restbetrages zumindest in Höhe eines Teils der Klageforderung ausreicht. Ob dies hier der Fall ist, kann indes nicht abschließend beurteilt werden.

Nach den Feststellungen des OLG behauptet der Beklagte, der Kläger nehme Kommanditisten auf Rückzahlungen in Höhe einer Gesamthaftungssumme von 1,3 Mio. € in Anspruch. Dieser Betrag würde bei erfolgreicher Einziehung sämtlicher Rückzahlungsforderungen zwar ausreichen, um die zur Tabelle festgestellten Gläubigerforderungen von rd. 1,2 Mio. € im vollen Umfang zu befriedigen. Das gilt jedoch nicht bei Berücksichtigung auch der vom Kläger bestrittenen Forderungen, die sich nach der vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten und vom OLG in Bezug genommenen Insolvenztabelle auf insgesamt rd. 1,3 Mio. € belaufen. Sollten diese sämtlich bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Inanspruchnahme des Beklagten zu berücksichtigen sein, würde selbst die erfolgreiche Inanspruchnahme sämtlicher Kommanditisten in dem vom Beklagten behaupteten Umfang von 1,3 Mio. € zzgl. der aktuell vorhandenen Masse von rd. 1,2 Mio. € nicht ausreichen, um den Gesamtbetrag der angemeldeten Forderungen von rd. 2,55 Mio. € zu befriedigen. Es verbliebe eine Unterdeckung von rd. 44.000 €, die die Klageforderung gegen den Beklagten übersteigt. Eine nähere Darlegung des Klägers zur Höhe der bereits eingezogenen Kommanditistenzahlungen bedürfte es daher mangels Erheblichkeit des Einwands des Beklagten nicht.

Entgegen der Annahme des OLG sind bei der Prüfung, ob eine Inanspruchnahme des Kommanditisten nach § 171 Abs. 1 und 2, § 172 Abs. 4 HGB zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, nicht nur die zur Tabelle festgestellten, sondern auch vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungsanmeldungen zu berücksichtigen, sofern eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen dieser Forderungen noch ernsthaft in Betracht kommt. Die Deckung von bestrittenen Forderungen kann erforderlich sein, weil der gegen sie erhobene Widerspruch durch eine Feststellungsklage (§ 179 InsO) beseitigt werden kann. Zwar bringt der Insolvenzverwalter mit seinem Widerspruch zum Ausdruck, dass er die angemeldete Forderung nach der ihm obliegenden sorgfältigen Prüfung für unberechtigt hält. Insofern setzt er sich dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) aus, wenn er gleichwohl eine Inanspruchnahme des Kommanditisten wegen dieser von ihm bestrittenen Forderung geltend macht. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass der Widerspruch gegen die Forderungsanmeldung noch durch eine Feststellungsklage beseitigt wird. In diesem Fall ist der Insolvenzverwalter berechtigt, den Kommanditisten vorsorglich auch zur Bildung angemessener Rückstellungen für von ihm bestrittene Forderungen in Anspruch zu nehmen, sofern eine Haftung des Kommanditisten nicht bereits aus Rechtsgründen ausscheidet.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen der bestrittenen Forderung noch ernsthaft in Betracht kommt, obliegt dem Insolvenzverwalter. Dieser hat grundsätzlich darzulegen und zu beweisen, dass Forderungen von Gesellschaftsgläubigern, für die der Kommanditist haftet, mindestens in Höhe der Klageforderung bestehen. Stützt er sich hierbei auf eine von ihm bestrittene Forderung, hat er substantiiert darzulegen, aus welchen Gründen trotz seines Widerspruchs noch mit einer Feststellung der Forderung zur Tabelle gerechnet werden muss und daher vorsorglich auch insoweit noch eine Inanspruchnahme des Kommanditisten zur Bildung von Rückstellungen erforderlich erscheint. Das kann etwa dann auszuschließen sein, wenn nach der Lebenserfahrung keine Inanspruchnahme der Masse mehr droht, weil der Bestand der angemeldeten Forderung rechtlich zweifelhaft ist, seit dem Prüfungstermin und dem Widerspruch des Insolvenzverwalters ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist und keiner der betreffenden Gläubiger eine Feststellungsklage erhoben hat, oder wenn es sich bei den bestrittenen Insolvenzforderungen um eine Vielzahl, auf vergleichbarem Sachverhalt beruhenden Forderungen mehrerer Insolvenzgläubiger handelt, der Insolvenzverwalter sämtlichen dieser angemeldeten Forderungen widersprochen hat, ein - nicht notwendig das Insolvenzverfahren betreffender - Musterprozess über die Feststellung einer solchen Insolvenzforderung rechtskräftig verloren gegangen und der rechtliche Bestand der Insolvenzforderungen erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist.

Nach alldem war die Sache an das OLG zurückzuverweisen, um den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zur Berücksichtigungsfähigkeit der bestrittenen Forderungen zu geben.
BGH online
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