05.08.2013

Aktionäre haben im Übernahmefall keinen individuellen Anspruch wegen unterlassener Veröffentlichung eines Pflichtangebotes

Die übrigen Aktionäre haben in Fällen, in denen ein Kontrollerwerber entgegen § 35 Abs. 2 WpÜG kein Pflichtangebot veröffentlicht hat, grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Gegenleistung. 35 Abs. 2 WpÜG ist auch nicht als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen.

BGH 11.6.2013, II ZR 80/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nahm die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von 987.000 € Zug um Zug gegen Überlassung von 300.000 Aktien der B-AG in Anspruch, hilfsweise auf Zahlung von Zinsen i.H.v. 987.000 €. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass die Beklagten kein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG veröffentlicht haben. Dazu seien sie aber ihrer Meinung nach verpflichtet gewesen, da sie unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über die B-AG durch Erwerb von mindestens 30 % der Aktien erlangt hätten.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auch die Revision der Klägerin vor dem BGH blieb erfolglos.

Gründe:
Ein Anspruch der übrigen Aktionäre gegen den Kontrollerwerber auf Zahlung der Gegenleistung für Aktien besteht weder aus § 35 Abs. 2 WpÜG noch aus einem mitgliedschaftlichen Schuldverhältnis, wenn der Kontrollerwerber pflichtwidrig ein Pflichtangebot nicht veröffentlicht hat. Zwar wird im Schrifttum auch die gegenteilige Meinung vertreten, allerdings lehnt die herrschende Meinung einen solchen Anspruch ab.

Ein solcher Zahlungsanspruch lässt sich weder aus dem Wortlaut des § 35 WpÜG herleiten, noch ist aus den Gesetzgebungsmaterialien zu entnehmen, dass dann, wenn ein nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz gebotenes Kauf- oder Tauschangebot nicht abgegeben wird, keine Ansprüche der übrigen Aktionäre auf Zahlung einer Gegenleistung aus diesem Gesetz vorgesehen sein sollten. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 2 WpÜG. Denn Ziel des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes ist es, Rahmenbedingungen bei Unternehmensübernahmen und anderen öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren in Deutschland zu schaffen, die den Anforderungen der Globalisierung und der Finanzmärkte angemessen Rechnung tragen und hierdurch den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland auch im internationalen Wettbewerb weiter stärken.

Für einen nur reflexartigen Schutz der Aktionäre spricht auch der Umstand, dass die BaFin die ihr nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zugewiesenen Aufgaben gem. § 4 Abs. 2 WpÜG nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Darin kommt zum Ausdruck, dass es bei dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz nicht vorrangig um den Schutz der Aktionäre, sondern um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte geht. Auch systematische Erwägungen sprechen für diese Auslegung. Zum einen enthält das Gesetz ausreichende Druckmittel, um ein die Kontrolle erwerbendes Unternehmen dazu zu bewegen, ein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG zu veröffentlichen. Zum anderen hätten gerichtliche Entscheidungen über Zahlungsansprüche der Aktionäre wegen des Unterlassens der Veröffentlichung eines Pflichtangebots keine Wirkung für und gegen jedermann.

Schließlich spricht auch der Anspruch auf Zinsen nach § 38 Nr. 2 WpÜG nicht für einen Anspruch der Aktionäre auf eine Gegenleistung für ihre Aktien. Denn Zinsen werden nach dieser Norm nur geschuldet, wenn und soweit ein Pflichtangebot verspätet veröffentlicht wird. Zwar versteht auch hier eine Meinung den Zinsanspruch aus § 38 WpÜG als einen selbstständigen Anspruch, der auch ohne einen Hauptleistungsanspruch entstehen kann. Die Gegenmeinung hält den Zinsanspruch jedoch richtigerweise nach den allgemeinen Grundsätzen für einen notwendig akzessorischen Anspruch, der nur bestehen kann, wenn auch ein Hauptanspruch, nämlich der Anspruch aus dem Pflichtangebot, besteht. Dafür sprechen schon der Wortlaut der Norm ("Zinsen auf die Gegenleistung") und die Begründung des Regierungsentwurfs.

Letztlich ergab sich im vorliegenden Fall auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 35 Abs. 2 WpÜG kein Zahlungsanspruch der Klägerin. Denn § 35 Abs. 2 WpÜG ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Zwar ist auch dies im Schrifttum umstritten, denn die Norm dient auch dem Schutz der Aktionäre vor den Folgen eines Kontrollerwerbs. Angesichts ihrer vorrangig kapitalmarktrechtlichen Ausrichtung und der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, an ihre Verletzung keine vertraglichen oder mitgliedschaftlichen Ersatzansprüche zu knüpfen, kann aber nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber bei einer Verletzung dieser Norm den Aktionären einen deliktischen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB geben wollte.

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