Anforderungen an die Annahme der Verwirkung eines Widerrufsrechts
BGH 10.10.2017, XI ZR 555/16Die Kläger hatten im Februar 2003 zwecks Finanzierung einer Immobilie einen Darlehensvertrag über 175.000 € mit einem auf zehn Jahre festen Nominalzinssatz von 4,65% p.a. und einem effektiven Jahreszins von 4,63% abgeschlossen. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten diente ein Grundpfandrecht. Die Beklagte belehrte die Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrags über ihr Widerrufsrecht.
Die Kläger lösten das Darlehen Anfang 2010 gegen Zahlung einer "Vorfälligkeitsentschädigung" i.H.v. 9.693 € ab. Im Oktober 2013 forderten sie die Beklagte unter Hinweis auf die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Widerrufsbelehrung auf, bis Ende des Monats die "Vorfälligkeitsentschädigung" zurückzuzahlen. Dies lehnte die Beklagte ab. Mit Rechtsanwaltsschreiben aus Juni 2014 wiederholten die Kläger den Widerruf.
Das LG wies die Klage auf u.a. Rückzahlung der "Vorfälligkeitsentschädigung" ab; das OLG gab ihr größtenteils statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden war und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Gründe:
Zwar hatte das Berufungsgericht im Ausgangspunkt richtig erkannt, den Klägern sei gem. § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 u. 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 S. 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1.8.2002 und dem 10.6.2010 geltenden Fassung zu widerrufen. Ebenfalls zutreffend war die Auffassung, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am 13.10.2013 noch nicht abgelaufen gewesen. Richtig war überdies auch die Auffassung, der Widerruf sei nicht in entsprechender Anwendung des § 218 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Auf das Recht, die auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichtete Willenserklärung zu widerrufen, findet § 218 Abs. 1 S. 1 BGB keine Anwendung.
Revisionsrechtlicher Überprüfung anhand der neueren Senatsrechtsprechung (Urt. v. 12.7.2016, Az.: XI ZR 501/15, u. XI ZR 564/15; v. 11.10.2016, Az.: XI ZR 482/15 und v. 14.3.2017, Az.: XI ZR 442/16) nicht stand hielten aber die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hatte. Dass die Beklagte davon ausgegangen war oder ausgehen musste, die Kläger hätten von ihrem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts eine Verwirkung nicht aus. Gleiches galt für den Umstand, dass die Beklagte "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hatte. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen wie hier kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren. Das gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht.
Unzutreffend war auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Kläger seien Gesamtgläubiger i.S.d. § 428 BGB. Mitgläubigerschaft ist die Regel, Gesamtgläubigerschaft die Ausnahme. Das gilt auch im Anwendungsbereich der §§ 346 ff. BGB. Zwar konnte jeder der Kläger seine auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung gesondert widerrufen. Sowohl der hier erklärte Widerruf beider Kläger als auch der Widerruf nur eines der Kläger dann nach § 139 BGB führen aber dazu, dass sich der Darlehensvertrag im Verhältnis zu sämtlichen Klägern in ein (einheitliches) Rückgewährschuldverhältnis umwandelt. Aus dem Rückgewährschuldverhältnis resultiert eine (einfache) Forderungsgemeinschaft, die die Kläger zu Mitgläubigern nach § 432 BGB macht.
Nach Maßgabe des nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteils vom 21.2.2017 (Az.: XI ZR 467/15) rechtsfehlerhaft waren schließlich die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, die Beklagte habe sich mit Ablauf des 25.10.2013 in Schuldnerverzug befunden und schulde den Klägern daher Verzugszinsen und Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten. Anders als von der Revisionserwiderung vertreten, waren auch die Kläger aufgrund des von ihnen erklärten Widerrufs der Beklagten zur Rückgewähr verpflichtet. Die von ihnen geschuldeten Leistungen hatten sie der Beklagten nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht den Klägern auch unzutreffend aus § 291 BGB bereits ab dem Tage der Zustellung der Klageschrift am 18.6.2015 Prozesszinsen zugesprochen. Die Pflicht zur Zinszahlung besteht in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB indessen erst ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag.
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