Anlage im Schneeballsystem: Zur Kenntnis des Gläubigers von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners
BGH 8.1.2015, IX ZR 198/13Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 19.6.2006 am 1.9.2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der W-AG (Schuldnerin). Die Schuldnerin war im Jahre 1926 als Wohnungsbaugesellschaft gegründet worden. Seit 1999 hatte sie in großem Umfang Inhaber-Teilschuldverschreibungen ausgegeben.
Die Rechtsvorgängerin des Beklagten erwarb Anleihen i.H.v. 50.000 DM, die am 1.12.2005 zur Rückzahlung fällig waren. Die Schuldnerin zahlte zunächst nicht. Anfang Januar zahlte sie einen Betrag von rd. 600 € auf die Zinsforderung. Der Beklagte beauftragte am 1.2.2006 einen Anwalt. Dieser mahnte die Rückzahlung mit Schreiben vom 7.2.2006 an. Am 15.2.2006 zahlte die Schuldnerin weitere rd. 25.500 €; am 5.4.2006 zahlte sie rd. 1.400 €. Der Kläger verlangt die Rückgewähr der beiden letztgenannten Zahlungen.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die streitgegenständlichen Zahlungen sind Rechtshandlungen, die die Gläubiger benachteiligt haben. Die Schuldnerin hat die Zahlungen mit einem vom Beklagten erkannten Gläubigerbenachteiligungsvorsatz erbracht. Auch die nur drohende Zahlungsunfähigkeit stellt ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar, wenn sie diesem bei der Vornahme der Rechtshandlung bekannt war. In diesen Fällen handelt der Schuldner nur dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er auf Grund konkreter Umstände, etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen realisieren zu können, mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann. Diese Grundsätze gelten nach gefestigter Senatsrechtsprechung auch dann, wenn eine kongruente Leistung angefochten wird.
Im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen war die Schuldnerin (mindestens) drohend zahlungsunfähig. Die Schuldnerin war als Wohnungsbaugesellschaft gegründet worden. Laut Gutachten der H-GmbH stellt die etwa im Jahre 1999 begonnene Emission von Inhaber-Teilschuldverschreibungen jedoch einen erheblichen Teil ihrer geschäftlichen Aktivitäten dar. Verwendungszweck der zu Zinssätzen von 5,25 bis 7 Prozent jährlich, also recht hoch verzinsten Anleihen war die Förderung des Geschäftszwecks der Anleihen. Bereits bei der erstmaligen Fälligkeit einer Anleihe wurde zur Aufbringung des Rückzahlungsbetrages eine neue Anleihe aufgenommen. Weder die Zinsen noch die Rückzahlungen konnten also aus dem sonstigen Geschäftsbetrieb der Schuldnerin erwirtschaftet werden; sie wurden vielmehr vom Geld der neu geworbenen Anleger bezahlt. Vom 1.12.2005 war die Schuldnerin nicht mehr in der Lage, auch nur 90 Prozent der jeweils fälligen Forderungen zu befriedigen.
Der Beklagte, dem die Kenntnisse seiner Bevollmächtigten zugerechnet werden, kannte die mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin. Die Bevollmächtigten des Beklagten haben 120 Anleger gegenüber der Schuldnerin vertreten. Auf der Webseite der Kanzlei befand sich ein Artikel der Financial Times Deutschland vom 23.1.2006, in welchem unter Darlegung von Einzelheiten über den Zahlungsverzug der Schuldnerin berichtet und Rechtsanwalt R mit der Äußerung zitiert wurde, die Anleger seien nicht darauf hingewiesen worden, dass die Gewinne aus der Geschäftstätigkeit der Schuldnerin zur Bedienung der Bonds nicht ausreichten und die Liquidität nur durch den Vertrieb weiterer Bonds aufrechterhalten werden könne.
Der Kläger hat darüber hinaus zwei von Rechtsanwalt M. R. , dem für den Beklagten zuständigen Sachbearbeiter, stammende Schreiben vom 7. und 8.2.2006 vorgelegt, mit welchen dieser die Inhaberschuldverschreibungen anderer Mandanten mit der Begründung kündigte, die versprochenen Zinsen könnten nicht aus den Erträgen des Unternehmens gezahlt werden, sondern nur aus immer neu aufgelegten Anleihen. Dies lässt den Schluss zu, dass den Bevollmächtigten des Beklagten bereits im Februar 2006 das von der Schuldnerin betriebene "Schneeballsystem" bekannt war. Wussten die Bevollmächtigten des Beklagten Anfang Februar 2006, dass die Schuldnerin ein nur durch neue Anleihen zu finanzierendes "Schneeballsystem" betrieb, kannten sie auch die der Schuldnerin mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit. Ein derartiges Finanzierungsmodell ist nicht stabil. Reichen die neu eingeworbenen Gelder nicht mehr zur Begleichung der Zins- und Rückzahlungsverpflichtungen, bricht es zusammen.
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