Anleger können Verluste nach Umstrukturierung griechischer Staatsschulden nicht gegenüber EZB geltend machen
EuG 7.10.2015, T-79/13Zu den in Art. 127 AEUV genannten und im Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der EZB näher definierten Zielen und grundlegenden Aufgaben des ESZB zählen u.a. die Gewährleistung der Preisstabilität und eine solide Geldpolitik. In Anbetracht der Finanzkrise und der Gefahr eines Zahlungsausfalls Griechenlands vereinbarten die EZB und die nationalen Zentralbanken (NZB) der Mitgliedstaaten der Eurozone (Eurosystem) am 15.2.2012 mit Griechenland, die von der EZB und den NZB gehaltenen griechischen Schuldtitel gegen neue Titel mit gleichen Nominalwerten, Zinssätzen sowie Zins- und Rückzahlungsfälligkeiten, aber anderen Kennnummern und Daten auszutauschen.
Gleichzeitig einigten sich die griechischen Behörden und der Privatsektor hinsichtlich der von privaten Gläubigern gehaltenen Schuldtitel auf einen freiwilligen Tausch und einen Schuldenschnitt von 53,5 %. Die Eurogruppe erwartete eine hohe Beteiligung der privaten Gläubiger an diesem freiwilligen Tausch. Mit Gesetz vom 23.2.20123 führte Griechenland unter Rückgriff auf eine "Collective Action Clause" (CAC) den Tausch bei sämtlichen von privaten Gläubigern gehaltenen Schuldtiteln durch, auch wenn die privaten Gläubiger das Angebot eines freiwilligen Tauschs abgelehnt hatten. Bei den privaten Gläubigern lag der Nominalwert der neuen Titel um 53,5 % unter dem der ursprünglichen Titel. Ferner machte die EZB mit Beschluss vom 5.3.2012 bei griechischen Schuldtiteln, die nicht die Mindestanforderungen des Eurosystems an Bonitätsschwellenwerte erfüllten, die Verwendung als Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems von der Bereitstellung eines "Collateral Enhancement" durch Griechenland zugunsten der NZB in Form eines Rückkaufprogramms abhängig.
Der Sachverhalt:
Die Kläger, mehr als 200 private Inhaber griechischer Schuldtitel (im Wesentlichen italienische Staatsbürger), beantragen beim EuG, die EZB zu verurteilen, den Schaden zu ersetzen, der ihnen i.H.v. 12 Mio. € u.a. durch die Tauschvereinbarung vom 15.2.2012 und den Beschluss vom 5.3.2012 entstanden sei. Sie werfen der EZB vor, das berechtigte Vertrauen der privaten Inhaber von Schuldtiteln verletzt und gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung der privaten Gläubiger verstoßen zu haben. Die Kläger vertreten die Auffassung, die EZB habe mehrere rechtswidrige Handlungen begangen, die geeignet seien, die Haftung der EU auszulösen. In ihren Pressemitteilungen und in den öffentlichen Erklärungen ihrer Präsidenten habe sich die EZB wiederholt gegen eine Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden und einen selektiven Zahlungsausfall Griechenlands ausgesprochen.
Außerdem habe die Tauschvereinbarung vom 15.2.2012 es der EZB und den NZB ermöglicht, sich dem PSI und damit dem Schuldenschnitt gemäß der CAC zu entziehen. Ferner sei mit dem Beschluss vom 5.3.2012 allein für die NZB ein Aufkaufprogramm griechischer Schuldtitel aufgelegt worden, obwohl diese Titel nicht den Bonitätsanforderungen genügt hätten. Unter dem Vorwand ihrer geldpolitischen Aufgabe habe sich die EZB somit zu Lasten des Privatsektors den Status eines "privilegierten" Gläubigers vorbehalten. Ohne den privilegierten Gläubigerstatus der EZB und der NZB und ohne das allein den NZB zugebilligte Aufkaufprogramm wäre es bei den Schuldtiteln der privaten Gläubiger nicht zu einer solchen Wertminderung und einem solchen Verfall gekommen.
Das EuG wies die Klage ab. Gegen die Entscheidung des EuG kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden.
Die Gründe:
Die EZB haftet nicht für den Schaden, der den Inhabern griechischer Schuldtitel durch die Tauschvereinbarung vom 15.2.2012 und den Beschluss vom 5.3.2012 entstanden ist. Der geltend gemachte Schaden entspricht den wirtschaftlichen Risiken, die regelmäßig mit geschäftlichen Aktivitäten im Finanzsektor (Transaktionen mit handelbaren Staatsanleihen) verbunden sind; dies gilt umso mehr, wenn ein Staat - wie Griechenland ab Ende 2009 - ein verschlechtertes Rating aufweist.
Private Investoren können sich in einem Bereich wie dem der Geldpolitik, die ständiger Anpassung anhand der Veränderungen der wirtschaftlichen Lage unterliegt, weder auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes noch auf den Grundsatz der Rechtssicherheit berufen. Die privaten Investoren hätten die äußerst instabile wirtschaftliche Situation kennen müssen, die die Fluktuation des Werts der griechischen Titel bestimmte. Sie konnten daher das Risiko einer Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden in Anbetracht der insoweit innerhalb des Eurosystems und bei den anderen beteiligten Organisationen (Kommission, IMF und EZB) bestehenden unterschiedlichen Standpunkte nicht ausschließen.
Die Pressemitteilungen und die öffentlichen Erklärungen bestimmter Mitglieder der EZB hatten allgemeinen Charakter und kamen von einem Organ, das nicht für die Entscheidung über eine mögliche Umstrukturierung der Staatsschulden eines Mitgliedstaats zuständig war. Im Übrigen fehlten in den Mitteilungen und Erklärungen präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite, die aus diesem Grund berechtigte Erwartungen hätten begründen können. Auch der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung ist nicht anwendbar, da sich die privaten Sparer oder Gläubiger und die EZB nicht in einer vergleichbaren Situation befanden. Hinsichtlich der griechischen Finanzkrise und der damit verbundenen außergewöhnlichen Umstände berücksichtigte die EZB ausschließlich im öffentlichen Interesse liegende Ziele, wie etwa die Gewährleistung der Preisstabilität und eine solide Geldpolitik. Demgegenüber hatten die privaten Investoren in erster Linie eine höchstmögliche Rendite im Blick.
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