30.08.2023

Aufklärungspflicht bei sog. "listiger" Unterlassungserklärung

Aus der durch eine vorangegangene Abmahnung begründeten wettbewerbsrechtlichen Sonderbeziehung eigener Art kann sich für den Verletzer, der sich nicht des der Abmahnung beigefügten Entwurfs einer Unterlassungserklärung bedient, sondern stattdessen eine eigene Erklärung formuliert, eine Pflicht zur Aufklärung ergeben, inwieweit er hierdurch seine Unterlassungspflichten - stillschweigend und insofern womöglich auf eine gewisse Art und Weise "listig" - abweichend von den üblichen Gepflogenheiten begrenzen will, wenn er gleichzeitig in einem Begleitschreiben den Eindruck vermittelt, sämtliche Beanstandungen des Abmahnenden vorbehaltlos zu akzeptieren.

OLG Hamm v. 1.6.2023 - 4 U 225/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger nahm die Beklagte, die an fünf Standorten Einrichtungshäuser sowie einen Onlineshop betreibt, auf Unterlassung, Zahlung von zwei Vertragsstrafen sowie Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch. Die Parteien stritten u.a. um die Frage, ob sich die Verpflichtung zur Angabe des Spektrums der verfügbaren Effizienzklassen bei der Bewerbung von bestimmten Elektrogeräten (hier: Haushaltsgeschirrspülern, Kühl-/Gefrierkombinationen und Backöfen) unmittelbar aus Art. 6 Unterabsatz 1 lit. a) VO (EU) 2017/1369) ergibt, oder ob es insoweit erst des Erlasses Delegierter Rechtsakte für die jeweilige Produktgruppe bedarf.

Mit Schreiben vom 10.8.2020 hatte der Kläger die Beklagte wegen eines - seiner Ansicht nach erfolgten - Verstoßes gegen die VO (EU) 2017/1369 abgemahnt. Mit anwaltlichem Antwortschreiben vom 21.8.2020 ließ die Beklagte darauf hinweisen, dass die von ihr online angebotenen Einbauküchen grundsätzlich ordnungsgemäß gekennzeichnet seien. Lediglich bei zwei Einbauküchen sei dies versehentlich entgegen bestehender Arbeitsanweisungen unterblieben, mittlerweile aber korrigiert worden. "Von daher" bedürfe "es auch keiner weiteren rechtlichen Diskussionen dazu, dass die" vom Kläger "beanstandeten Angaben bei den beanstandeten Küchen ebenfalls angegeben werden."

Im Januar 2022 erlangte der Kläger von der nunmehr streitgegenständlichen Werbung im Internet Kenntnis und mahnte die Beklagte erneut ab, Mit Schreiben vom 11.2.2022 wies die Beklagte die Ansprüche zurück, gab aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine strafbewehrte Unterlassungserklärung wegen gerügter Verstöße betreffend Werbung für Geschirrspüler und Haushaltskühlgeräte im Onlineshop ab, die der Kläger jedoch für unzureichend hielt. Die Beklagte war der Ansicht, der Klage stehe insgesamt der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG) entgegen, weil der Kläger vorprozessual offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen gefordert habe.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei nicht wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig. Der Kläger habe jedenfalls keine offensichtlich überhöhten Vertragsstrafen gefordert. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil abgeändert und der Klage insgesamt stattgegeben.

Die Gründe:
Der Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Vertragsstrafen ergab sich aus der strafbewehrten Unterlassungserklärung vom 21.8.2020 i.V.m. §§ 339 Satz 2, 315 BGB, § 15a Abs. 2 UWG.

Der Kläger konnte die in weitere Ausführungen eingebettete Unterlassungserklärung nur so verstehen, dass die Beklagte sich - was ihr freisteht - aufgrund einer freiwilligen unternehmerischen Entscheidung ungeachtet der materiellen Rechtslage bereits zum damaligen Zeitpunkt - und somit ggf. überobligatorisch - dazu verpflichten wollte, im Rahmen ihrer Werbung nicht nur die Energieeffizienzklasse eines beworbenen Geräts, sondern darüber hinaus auch das jeweilige - denknotwendig existierende - Spektrum anzugeben. Der Erklärung durfte der Kläger zwar nicht entnehmen, dass hiervon Wettbewerbsverstöße unter jeglichem denkbaren aus den in Bezug genommenen Anlagen ersichtlichen rechtlichen Gesichtspunkt umfasst sein sollten, jedenfalls aber die in der vorangegangenen Abmahnung konkret gerügten unlauteren Handlungen, zu denen auch auf die nicht erfolgte Angabe des Spektrums der auf dem Etikett verfügbaren Effizienzklassen gehörte.

Darüber hinaus war die Unterlassungserklärung so auszulegen, dass nicht etwa nur kumulativ das Fehlen der Angabe der Energieeffizienzklasse und des dazugehörigen Spektrums erfasst sein sollten, sondern auch alternativ das Fehlen einer der beiden Angaben. Berechtigte Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb begründen eine durch die Abmahnung oder auch durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung konkretisierte wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung eigener Art, die in besonderem Maße durch Treu und Glauben und das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme bestimmt wird. Daraus kann sich für den Verletzer, der sich nicht des der Abmahnung beigefügten Entwurfs einer Unterlassungserklärung bedient, sondern stattdessen eine eigene Erklärung formuliert, eine Pflicht zur Aufklärung ergeben, inwieweit er hierdurch seine Unterlassungspflichten - stillschweigend und insofern womöglich auf eine gewisse Art und Weise "listig" - abweichend von den üblichen Gepflogenheiten begrenzen will, wenn er gleichzeitig in einem Begleitschreiben den Eindruck vermittelt, sämtliche Beanstandungen des Abmahnenden vorbehaltlos zu akzeptieren.

Es ist letztlich ein kerngleicher Verstoß zu bejahen, wenn die geschuldeten Angaben zwar nicht gänzlich unterbleiben, aber unvollständig oder falsch sind. Dem Endverbraucher ist bei unvollständiger bzw. falscher Angabe des Spektrums die Einordnung der Effizienzklasse im Ergebnis ebenso wenig möglich ist wie bei einer gänzlich fehlenden Angabe. Gegen diese - im vorstehend dargestellten Sinn auszulegende - vertragliche Unterlassungsverpflichtung hat die Beklagte mit der beanstandeten Werbung auf ihrer Internetseite verstoßen, indem sie für keines der dort beworbenen Elektrogeräte das jeweils einschlägige Spektrum der Energieeffizienzklassen (vollständig bzw. korrekt) angegeben hatte. Das Verschulden der Beklagten konnte vermutet werden.

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Aufsatz:
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